OÖ. Heimatblätter 1994, 48. Jahrgang, Heft 2

Menschen gebracht haben; anschließend aber gab es jedesmal eine Fülle von Erb schaften, wurden viele neue Heiraten geschlossen, konzentrierte sich der Besitz in wenigen Händen. In den meisten deutschen Landschaften ist durch die Verknap pung der Bevölkerung schon im Mittelalter die Leibeigenschaft praktisch hinfällig geworden; in Bayern wurden die schlechteren ländlichen Leiheformen der Freistift, der Neustift und des Leibrechts etc. kontinuierlich verändert hin zum Erbrecht. Damit aber sind selbstverständlich auch andere Wirtschafts- und Lebensmöglich keiten verbunden gewesen. Es sind immer wieder nach solchen demographischen Einschnitten massenhaft bisherige Tagelöhner, Inleute und Knechte eingerückt in vollwertige Bauernstellen und haben anschließend auch das Leben von Bauern geführt oder Gewohnheiten beibehalten, die ihnen in ihrem bisherigen Lebensstil ans Herz gewachsen waren. In jedem Fall ist ein Kulturtransport über Standesgren zen hinweg erfolgt. In besonderer Weise bot die Kirche viele Möglichkeiten für gesellschaftli chen Aufstieg. Im Laufe der Zeit sind die Bischofsstühle zwar für den Adel reserviert worden. Und wer Erzbischof von Mainz werden wollte, der mußte eine Ahnenkette nachweisen, so als ob er eine französische Erbprinzessin hätte heiraten wollen. Aber in den Klöstern konnte es ein tüchtiger Bauernbub nach wie vor bis zum Abt, Propst, Guardian oder Prior bringen. Mögen diese Fälle auch Ausnahmen gewesen sein, sie waren jedenfalls zahlreich genug, so daß bäuerliches Denken und bäuerli che Lebensart auch in manches Kloster vordringen konnte und daß umgekehrt man ches vom klösterlichen Geist und Wirtschaften über die Verwandtschaft des Abtes auch aufs Land vermittelt wurde. So dürften die eindrucksvollen bäuerlichen Vier kanthöfe in Oberösterreich durch klösterliches Vorbild angeregt worden sein. Schließlich - und dies ist mir am wichtigsten - spielte sich das Leben der Ständegesellschaft nicht in voneinander isolierten Kreisen ab, sondern hat sich dau ernd überlappt. Man hatte einander vor Augen, war aufeinander angewiesen und hat das eine oder andere voneinander abgeschaut. Wenn ein kleiner Adeliger auf sei ner Burg oder in seinem Schloß zum Tanz aufspielen wollte, so blieb ihm gar nichts anderes übrig, als zum Schullehrer zu schicken, zu den übrigen Dorfmusikanten und vielleicht auch noch zum Türmermeister mit seinen Gesellen in der nächsten Stadt. Auf diese Weise hat manches Adelsfräulein Walzer, Polka und Mazurka ken nengelernt, und umgekehrt haben sich manches Menuett oder manche Gavotte und Francaise in die Spielhandschriften der Dorfmusikanten geschlichen. Beim Musizie ren in der Kirche haben sich ebenfalls ländliches und hochschichtliches kirchliches Musikgut berührt und beeinflußt. Grundsätzlich darf man den kulturellen Lebensformen der gesellschaftlich und geistig führenden Schichten eine Vorbildwirkung unterstellen, die gerne von der nächststehenden Gruppe kopiert wird, wenn sie dazu in der Lage ist. Manchmal freilich muß man auch auf billigere Ersatzstoffe ausweichen. Als man im 17. Jahrhun dert in den adeligen Salons begonnen hat, gezuckerten Kaffee zu schlürfen, da haben es die bessergestellten bürgerlichen Familien bald nachgemacht. Und wenig später hat man auch im bäuerlichen Haushalt und bei den Tagewerkern und Manu-

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