OÖ. Heimatblätter 1994, 48. Jahrgang, Heft 2

Nadelmacher in München und Breslau, der süddeutschen Schneider in Wien und der Goldschmiede in Augsburg. Kamen schon durch die Existenz von Haupt- und Nebenladen sowie von Orts- und Landschaftszünften die Grundprinzipien des Lebens im Handwerk schnell herum - etwa die Anforderungen an das Meisterstück, die Art des Losspre chens von Gesellen, die rechte Feier des Leichenbegängnisses für einen verstorbenen Handwerksbruder etc. -, so wurde der Kontakt innerhalb der Handwerkerschaft noch wesentlich vertieft durch die Verpflichtung zur Wanderschaft, die sich bereits während des späten Mittelalters allenthalben durchzusetzen begann. Von jetzt ab waren die meisten Handwerksgesellen mehrere Jahre auf der Walz. Manch einer hat sich nicht weit hinausgetraut, er ist schon in der nächsten Stadt hängengeblieben, die meisten aber haben beachtliche Strecken hinter sich gebracht. Der Schuster Hans Sachs aus Nürnberg, der 1511 im Alter von 17 Jahren seine Wanderschaft antrat, ist keineswegs eine seltene Ausnahme. In seiner gereimten Autobiographie von 1567 beschreibt er seinen Wanderweg: „Thet der Schumacher handwerck lehrn, / Mit der handarbeit mich zu nehrn; / Daran lernet ich zwey jähr. / Als mein Lehrzeit vollendet war, / Thet ich meinem handwerck nach wandern / Von einer statte zu der andern. / Erstlich gen Regenspurg und Braunauw, / Gen Saltzburg, Hall und gen Passau, / Gen Wels, Münichen und Landhuet, / Gen Oeting und Bergkhausen guet, / Gen Würtzburg und Franckfurt, hernach / Gen Goblentz, Gölen und gen Ach. / Arbeit also das handwerck mein / In Bayern, Francken und am Rein / Fünft gantze jar ich wandern thet / In diese und vil andre stätt." Nach dieser Zeit der Wanderschaft, die ihn auch noch durch die Niederlande führte, kehrte Hans Sachs wieder in seine Vaterstadt Nürnberg zurück und ließ sich dort als Schuhmachermeister nieder. Unter diesen Umständen wäre die Vorstellung einer lokalspezifischen Hand werkskultur völlig abwegig. Es sprach sich schnell herum, wie man ein bestimmtes Werkstück am besten herstellte, wie man ein neues Werkzeug sinnvoll einsetzte, wel ches Material wozu am geeignetsten war, wie man sich bei der Arbeit und am Feier abend zünftisch, d. h. richtig und ohne Anstoß bei den anderen Handwerksgesellen zu nehmen, verhielt, welche Lieder man sang, wie man sich korrekt anzog und was man zu sagen hatte, wenn man eine fremde Herberge betrat, wie man um Arbeit vorsprach und tausend andere Dinge mehr. Die Welt des Handwerks ist ein Musterbeispiel dafür, wie Grenzüberschrei tung auch unter den erschwerten wirtschaftlichen, politischen und verkehrstechni schen Gegebenheiten der vorindustriellen Welt funktionierte. Die Kenntnis des Fremden, die Schaffung eines einheitlichen Selbstverständnisses und damit einer überregionalen Kultur war geradezu erklärtes Handlungsziel. Vor allem durch das Mittel der Gesellenwanderung war eine dauernde Beweglichkeit in der Handwerks kultur verankert, konnte lokale Abschottung kaum stattfinden. Die Straßen des mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa sind aller dings nicht nur von Pilgern, Wallfahrtszügen und wandernden Handwerksgesellen belebt worden, sondern noch durch manche andere Personen und Gruppen, die

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