Welt, ruhelos weiterwandernd von einem heiligen Ort zum anderen. Auch in dieser Form der Nachfolge Christi könne man das ewige Heil erringen. Millionen von gläubigen Christen sind das ganze Mittelalter hindurch diesem Ruf gefolgt. Sie haben sich für Jahre hin auf den Weg gemacht zu den heiligen Stätten der Christen heit, zum wundertätigen Volto Santo nach Lucca, zu den Gebeinen der Apostelfür sten in Rom, ins Heilige Land, zur Begräbnisstätte des hl. Jacob im fernen Santiago di Compostela, zu den Reichsheiligtümern in Aachen oder zum hl. Blut nach Wils nack, um nur einige herausragende Orte zu nennen. Diese Pilger gehörten zum ver trauten Erscheinungsbild der mittelalterlichen Welt. Sie sprachen in den Pfarrhäu sern und an den Klosterpforten um eine milde Gabe vor und erzählten in den Her bergen von ihren Erlebnissen. Unter den technischen und hygienischen Gegebenheiten des Mittelalters waren solche Pilgerreisen eine gefahrvolle Unternehmung; viele sind auf dem Weg geblieben, irgendwo verscharrt auf einem Friedhof des Balkans, Syriens oder Süd frankreichs, vielleicht sogar von den Mitgliedern einer Bruderschaft, die sich eigens zusammenschlössen, um diesen letzten Liebesdienst an den herumziehenden Pil gern zu vollziehen. Manch ein Pilger aber ist auch wieder in seinen Heimatort zurückgekehrt und brachte nun etwas vom Duft der weiten Welt zu den Zuhausege bliebenen. Kenntnisse von fremden Ländern, Sitten und Gewohnheiten haben so die Runde gemacht. Seit dem 13. Jahrhundert erhalten die Pilger Konkurrenz durch die Wallfah rer, die sich nun in geschlossenen Prozessionen auf den Weg machten, um eine Gna denstätte der nahen oder weiten Nachbarschaft aufzusuchen. Sicher, so weit herum gekommen wie die Pilger sind die Wallfahrer nicht; doch Entfernungen von 70,100 oder 150 km hat man spielend überbrückt. Und vor allem, wallfahrten ging ein jeder oder nahezu jeder katholische Christ; und dies nicht nur einmal im Jahr, sondern an wiederholten Terminen. Während der Zeit der Gegenreformation brachten es die bayerischen und oberösterreichischen Pfarreien im jährlichen Durchschnitt auf 15 bis 20 kleinere oder größere Kreuzgänge, wie aus Erhebungen der Diözesen Passau und Regensburg um 1720 hervorgeht. Pilgerschaft und Wallfahrt sind selbstverständlich zunächst einmal religiöse Erlebnisse, herausgewachsen aus den individuellen Nöten des menschlichen Lebens. Doch stellten sie gleichzeitig auch Reisen dar, mit deren Hilfe man aus dem vertrau ten Alltagstrott ausbrechen konnte, fremden Menschen begegnete, neue Eindrücke und Anregungen sammelte, neue Erkenntnisse und Beobachtungen mit nach Hause nahm. Diese Erfahrung des Fremden und des Ausbrechens aus dem kleinen Kreis des häuslichen Lebens beschreibt eindrucksvoll der Theologe und populäre Schrift steller Alban Stolz (1808-1883), der seinerzeit die Auseinandersetzungen um das Wallfahrtswesen noch persönlich oder aus der Erfahrung seiner Elterngenerahon miterlebte: „Wenn ich auf mein gewöhnliches Zuhause zurücksehe, so steht es mir viel objektiver und klarer vor der Seele in der Fremde, als wenn ich mitten ins Getriebe des Berufs hineingestellt mein Tun und Lassen beurteilen will. Ähnlich mag es vielen anderen gehen; deshalb ist es, abgesehen von manchen anderen Gründen,
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