Klosterfrauen und Mönchen blieb es vorbehalten, dies auch weiterhin zu tun, aller dings mit Zählgeräten aus einfachem Material, Ffolz- oder Knochenperlen, versteht sich. Und sowohl Kaiser Joseph II. wie sein bayerischer Nachbar Kurfürst Karl Theo dor, vielfach verschwägert selbstverständlich, haben durch Androhung drakoni scher Strafen für die Schneider und eitlen Frauenzimmer dafür gesorgt, daß die Rocksäume länger und die Dekolletes kleiner geworden sind, als sich entsprechende Gelüste zu Ende des 18. Jahrhunderts diesseits und jenseits des Inns regten. Und die „Linzer Hauben" kennt man in Niederbayern vor allem unter der Bezeichnung „Pas sauer Hauben", weil sie einst auch von den vornehmen Bürgerinnen der Dreiflüsse stadt mit Vorliebe getragen worden sind. Schon seit dem 16. Jahrhundert, seitdem die Uberlieferung etwas dichter fließt, finden wir kaum ein Feld des Alltags und Festtags, das nicht durch staatliche Vorschriften reglementiert worden wäre. Beispielsweise haben die bayerischen Wit telsbacher als Kurfürsten der Pfalz den hohen Wert der Obstbaumzucht in der Rheinebene kennengelernt. Per Verordnung haben sie bald auch die Oberpfälzer darauf festgenagelt, pro Hof - gestaffelt nach Größe - eine bestimmte Anzahl von Fruchtbäumen zu setzen; ist einer verdorrt, so mußten drei neue Pelzer an seine Stelle treten. Die Vettern in München haben das entsprechende Mandat schnell abgeschrieben; und schon waren die Gerichtsdiener sowohl am Rhein wie in Bayern über Jahrzehnte hinweg damit beschäftigt, in jedem Jahr einmal die Obstbäume zu zählen und Anzeigen wegen Unterschreitung der Normzahl zu erstatten. Die Erkenntnis von der Beeinflussung des Lebensstiles der unteren und mitt leren Bevölkerungsgruppen durch die vorgesetzten Behörden kann man auch überbe tonen; dies möchte ich nicht tun. Nicht alles, was die absolutistischen Regenten ver fügt haben, wurde gleich in die Wirklichkeit umgesetzt: vieles war zu kurzatmig anberaumt, manche Verordnungen widersprachen sich, und das Überwachungssy stem war zu keinem Zeitpunkt dicht genug, als daß Abweichendes immer gleich notiert und mit Strafen belegt worden wäre. Joseph II. etwa hat seine Mandate gegen Wallfahrten und die Verwendung von individuellen Särgen noch zu seinen Lebzeiten teilweise kassiert. Trotzdem darf man den Anteil der Steuerung, den die politischen Instanzen ausgeübt haben, nicht zu gering veranschlagen. Die überregio nale Orientierung der politischen Führungsschicht hat immer wieder dazu geführt, daß neue Entwicklungen in die Dörfer gekommen sind und daß solche Entwicklun gen identisch oder nahe verwandt mit denen von anderen Regionen gewesen sind. In noch größerem Maß als der Staat stellt die Kirche ein wesentliches Element der Strukturierung der Volkskultur dar, das einer Kleinkammerung entgegenarbei tete. Uber den hohen Stellenwert, den die Kirche seit der Organisation des Christen tums vor nunmehr 1.250 Jahren bis weit ins 19., teilweise bis ins 20. Jahrhundert gehabt hat und hat, braucht nicht viel gesagt zu werden. Die Kirche lieferte nicht nur das verbindliche Modell zur Welt- und Lebensdeutung, sondern griff auch unmittel bar in den Alltag ein durch ihre Abfolge von Werk- und Feiertagen, durch die Spen dung von Sakramenten, durch Vorschriften über Fast- und Abstinenzzeiten, durch ihre Lehren vom sittlichen und sozialen Verhalten, durch ihr Bildungsangebot usw.
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