zösische Revolution, allgemeine Säkularisierung, Verfassungsbewegung, Liberalisie rung der Wirtschaft, technische Erfindungen und beginnende Industrialisierung, Verstärkung des Welthandels und neues koloniales oder imperialistisches Ausgrei fen der europäischen Staaten. Dies war die Welt der bürgerlichen Gelehrten, welche die neue Disziplin der Volkskunde schufen; eine Welt, in der jedermann, der auf sich etwas hielt, eine große Bildungsreise unternahm (zwischen 1780 und 1820 sind meh rere tausend Reisebeschreibungen gedruckt worden); eine Welt, in welcher die tradi tionellen Erklärungen, welche die christliche Kirche anbot für die Fragen nach der Erschaffung von Mensch und Kosmos, nach der Existenz eines Jenseits und nach dem Sinn unseres Daseins als nicht weiter gültig erachtet wurden; diese bürgerli chen Gelehrten lebten in einer Welt, in der erstmals seit 500 Jahren wieder Städte aus dem Boden schössen, Fabrikgründungen und -Zusammenbrüche einander in beäng stigender Geschwindigkeit ablösten. Von all dem schien die Welt der Bauern, die man erstmals umfassend zum Gegenstand von Beobachtungen machte, ausgeklammert: Hier unternahm man keine großen Bildungsreisen, um zu erfahren, wie man anderswo lebte, sich kleidete, aß, feierte, Häuser baute und die Felder bestellte; hier hörte man anscheinend wie eh und je gläubig auf die Worte des Pfarrers oder Klosterpredigers; die Dörfer waren zunächst ausgespart aus dem rasanten Wandel ringsum, sie blieben winzig oder klein bis überschaubar wie eh und je, und wenn man ein neues Haus baute, dann richtete man sich nach dem Muster des alten. Es ist für uns heute schon verständlich, daß man beim ersten Aufbruch zur ethnographischen Forschung meinen konnte, eine Nische in dem allgemeinen Veränderungsprozeß zu entdecken. Die Hinwen dung zur Volkskultur ist wahrscheinlich zu einem erheblichen Teil motiviert von der Sehnsucht nach einer Insel des Friedens und der Beständigkeit gegenüber den schmerzlich erfahrenen Unberechenbarkeiten des eigenen Lebens. Genausowenig wie man sich zunächst einmal vorstellen konnte, daß eine räumliche Bewegung in die Welt der Bauern und der Handwerker auf dem Land hineingekommen war, genausowenig wollte man eine Veränderung im sozialen Bereich wahrhaben. Die großen Bauern schienen schon immer aus den nämlichen Familien gekommen zu sein, ebenso wie die Kleinhäusler und Inleute oder die Schmiede, Wagner, Schneider und Schuster. Man konnte ja ausgehen von der scheinbaren Unveränderlichkeit der Ständegesellschaft, welche dem Adeligen, dem Bürger und dem Bauern schon bei der Geburt seinen Lebensweg vorzeichnete. All diese Vorstellungen verdichteten sich zu der Forschungshypothese, wel che mindestens über ein Jahrhundert hinweg eine Art Leitfunktion für die gelehrte Anschauung von der Volkskultur besaß: die Vorstellung nämlich, daß das ländliche Volk aufgrund seiner räumlichen und sozialen Erstarrung Kulturgüter über Jahrtau sende hinweg konserviert habe. Als man, angestoßen durch den Archivar Georg Landau, mit der Untersuchung der Bauernhäuser begann, da war man überzeugt, bei den Bayern, Schwaben, Franken, Thüringern, Sachsen, Holsteinern usw. noch auf die grundsätzlichen Leitformen des Hausbaues der betreffenden Stämme in der Völkerwanderungszeit zu stoßen. Nichts anderes erwartete man von der Kleidung,
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