- und die Jäger, Hirten und Fischer, die es hierzulande noch nie auf besonders mäch tige Zahlen gebracht haben. Volkskultur = Kultur in engen Grenzen, auch wenn man auf den sozialen Sektor sieht? Ein österreichischer Tagungsband vereinigt beide Aspekte in nahezu klassischer Weise unter der Überschrift „Minderheiten und Regionalkultur" (hg. von Olaf Bockhorn, Käroly Gaal und Irene Zucker, Wien 1981). Was ich bisher skizziert und durch einige Buchtitel belegt habe, ist keines wegs willkürlich aus 200 Jahren volkskundlicher Forschung herausgepickt, sondern gibt den vorherrschendenTrend wieder. Volkskultur ist die Kultur der engen Gren zen, sowohl im Sozialen wie im Räumlichen - im Unterschied etwa zur Massenkul tur des Industriezeitalters, die sich durch ihre Allerweltsgeltung und ihre hektische Wandlungsfähigkeit auszeichnet, ein Gedanke, der vor allem von dem Schweizer Volkskundler Richard Weiß betont worden war; sein großes Werk über die Volks kunde der Schweiz (Erlenbach 1946, neu aufgelegt 1978) hat nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik lange Zeit als das verbindliche Handbuch des Faches gegolten. Entsprechend dieser Überlegung hat jüngst ein Fachkollege die Exi stenz von Volkskultur vor den Zeiten von Renaissance und Humanismus - also für das ganze Mittelalter und frühere Epochen - bestritten, weil angeblich damals kultu relle Grundüberzeugungen für alle Gliederungen des Volkes in gleicher Weise gegolten hätten; eine soziale Segmentierung sei erst im 16. Jahrhundert eingetreten, nun erst dürfe man von „Volkskultur" sprechen (so Konrad Köstlin, Feudale Identität und dogmatisierte Volkskultur, in: Zeitschrift für Volkskunde 73 [1977], S. 216-233). Die Erscheinung von Volkskultur wird also hier unmittelbar gebunden an die beschränkte Geltung für abgegrenzte soziale Gruppen. Wenn wir ein Fazit ziehen wollen, dann müßten wir Volkskultur nach den bisherigen Überlegungen definieren als „gruppenspezifische Lebensformen inner halb enger räumlicher Grenzen". Wie man wohl aus dem Fragezeichen der Themen formulierung herausgehört hat, möchte ich Zweifel anmelden an der uneinge schränkten Geltung dieses Satzes. Ich werde im folgenden ausführen, erstens auf grund welcher Forschungshypothesen es überhaupt zur Anschauung von der Kleinkammerung der Völkskultur gekommen ist. In einem größeren zweiten Teil werde ich dann zu verdeutlichen versuchen, daß die Volkskultur ganz entscheidend geprägt wurde durch das Überspringen von engmaschigen geographischen und gesellschaftlichen Grenzen, daß sie ihre Attraktivität gerade gewonnen hat aufgrund der Durchlässigkeit nach allen Seiten, so daß nicht Stagnation und Verkümmerung ihr Schicksal geworden ist, sondern beständige Weiterbildung und neue Lebendig keit. Zunächst wende ich mich also der Frage zu: Wie kam es zur Hypothese von der engmaschigen Volkskultur, welche sich angeblich einigelt hinter den Zäunen des eigenen Dorfes, den Blick nicht erhebt über den Kirchturmhorizont und darum Bestand hat über Generationen hinweg? Als man um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert das wissenschaftliche Interesse am Leben und Schaffen der einfachen Bevölkerung entdeckte, da befand sich die geistige und wirtschaftliche Welt in einem tiefen Umbruch. Ich tippe nur einige herausragende Erscheinungen an: Fran-
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