sion eines Lebenslaufes kann gut erfaßt werden. Auch Widersprüche im Han deln und Bewußtsein sowie das Sicht barmachen von Brüchen, Grenzerfah rungen und Schnittpunkten im Laufe ei nes Lebens wird möglich. Überdies kön nen Vorgänge, Gefühle und Erwartun gen artikuliert werden, die aus statisti schen Daten nicht erkennbar sind. Karen Hagemann beschreibt biogra phische Interviews „als Erzählung in Gesprächsform'V In diesem Zusammen hang definiert Bahrdt „die Erzählung von Begebenheiten als ursprüngliche Form der Reflexion", als Nachdenken des Menschen über sich selbst, „sowohl über das individuelle Selbst wie auch über das Kollektiv, mit dem sich ein Subjekt identifiziert'^ Die Entstehung lebensgeschichtli cher Materialien setzt die Bereitschaft des Sich-Erinnerns voraus. Ghrista Wolf beschreibt die Arbeit des Gedächtnisses „als Krebsgang, als mühsam rückwärts gerichtete Bewegung, als Fallen in einen Zeitschacht".'' Über das eigene Leben zu reflektie ren, Nachschau zu halten, bedeutet aber nicht, nur Bekanntes wiederzugeben. Die Konfrontation mit sich selbst (der Blick zurück) „ist gleichzeitig Verarbei tung und Abarbeitung. Abarbeitung ist Anstrengung, ist Veränderung".'' Das aus der Rückschau Erzählte ist nicht ein exaktes, wahrheitsgetreues Ab bild des Erlebten; „Die erzählte Lebens geschichte ist reale Lebensgeschichte, was nicht identisch ist mit der wirklich abgelaufenen Lebensgeschichte. Denn sie enthält Rekonstruiertes, Verarbeite tes, Ungesagtes und Unsagbares... Auch hier stellt sich die Frage der Wahrheit ... als Spannung zwischen Handeln und Bewußtsein."® Abschließend sei darauf hingewie sen, daß die Bedeutung mündlich er zählter Lebensgeschichten auch auf einer menschlichen und kulturellen Ebene liegt. Einerseits sind sie Widerstand ge gen eine Gesellschaft, in der aufgrund vielfältiger Ursachen „die Weitergabe von Geschichten und historischen Erfah rungen ... unterbrochen (ist)", anderer seits sind sie „ein Versuch, etwas von der Kultur des Gesprächs, des Zuhörens und Aufeinander-eingehen-Könnens zu retten bzw. wiederzubeleben, auch der Versuch, Zeit zu haben, sich Zeit zu neh men für Menschen in einer Gesellschaft, die immer weniger Zeit hat".' Silvia Wendner-Prohinig " Karen Hagemann: Möglichkeiten und Pro bleme der „Oral History" für Projekte zur Frau engeschichte. In: Sozialwissenschaftliche For schung und Praxis für Frauen e.V. (Hg.): Bei träge 5 zur feministischen Theorie und Praxis. Frauengeschichte. München 1981, S. 57. ^ Hans Paul Bahrdt: Erzählte Lebensgeschichte von Arbeitern. In Martin Osterland (Hg.): Ar beitssituation, Lebenslage und Konfliktpoten tial. Frankfurt am Main 1975, S. 14. ' Christa Wolf: Kindheitsmuster. Darmstadt/ Neuwied 1979, S. 10 f. ' Christine Woesler de Panafieu, Xiane Germain: Wie Frauen Kriege bewältigen. Gespräche mit der Generation unserer Großmütter. In: Gisela Dischner (Hg.): Eine stumme Generation be richtet. Frauen der dreißiger und vierziger Jahre. Frankfurt am Mai 1982, S. 210. ® Christine Woesler de Panafieu, Xiane Germain: A.a.O., S. 213. ' Werner Trapp: Sich am eigenen Schopf aus der Geschichtslosigkeit ziehen. In: Literatur und Er fahrung 10, 1982, S. 85.
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