Wesentlich leichter tut man sich mit dem Begriff Gemeinschaftskultur, der aller dings mit einem sehr vehement geführten und sich sehr nachhaltig auswirkenden Wissenschaftsstreit in der Volkskunde um ihren Forschungsgegenstand belastet ist. Nach tians Naumann ist dabei nämlich zu unterscheiden, ob es sich um ein „von unten gekommenes primitives Gemeinschaftsgut oder von oben gekommenes gesunkenes Kulturgut"' handelt. Eine derart reine „Primitivenkunde" lastet der Volkskultur im landläufigen Sinne immer noch an, auch wenn sich sogleich nam hafte Kritiker zu Wort gemeldet haben. Die „Unterschicht" als Forschungsgegen stand der Volkskunde ist allerdings keine Erfindung Naumanns, sondern geht auf fioffmann-Krayer zurück, der zwei Jahrzehnte zuvor bereits vom „vulgus in populo"*^ gesprochen hat. Da zudem ganz im Sinne der Romantik, die nach den Wurzeln der „Volks seele" suchte, der Bauernstand als besonderer Träger dieser Gemeinschaftskultur hervorgehoben wurde, haftet dem Begriff Volkskultur auch dieses Odium an, was nicht erst der schon erwähnte Bausinger vehement zu bekämpfen versuchte, der dabei aber auch feststellte, daß es sich bei intensiverer Betrachtung der Erscheinun gen der heutigen Volkskultur erweist, daß sie „zum Teil sehr tiefliegende geistesge schichtliche Wurzeln, zum Teil sehr auffallende historische Parallelen haben, und daß es mitunter schwierig ist, das eigentlich Neue, das oft nur in einer kleinen Verla gerung der Akzente besteht, überhaupt zu entdecken".' Wurde also bis weit in unser Jahrhundert hinein bei der Erforschung der Volkskultur der „Bauernkultur" der Vorrang gegeben, so wurde schließlich in neue rer Zeit die „Arbeiterkultur" in ähnlicher Weise verklärt, wie dies z.B. K. Köstlin in pointierter Weise ausdrückte: „Die Arbeiter wurden die Bauern der neuen Volkskul turauffassung."' Es gibt selbstverständlich kulturelle Äußerungen, die auf eine bestimmte Klasse, einen Stand, aber auch auf bestimmte Berufszweige beschränkt sind und dabei geradezu international wirksam werden, wir verstehen aber unter Volkskultur eine „Kultur der vielen", letztlich sogar, wie fi. Gschnitzer einmal aus führte, eine „Kultur aller",' eine Kultur, an der der eine mehr, der andere weniger Anteil hat. Sowohl H. Gschnitzer wie auch der Autor beziehen sich dabei, was den Begriff „Volk" anbelangt, auf Arbeiten von K. Ilg.'° Wichtig in diesem Zusammenhang ist eine andere Eingrenzung, nämlich jene auf ein bestimmtes Territorium, eine gewisse Region. Bei einer Gleichung „Volkskultur = Regionalkultur" sind aber ebenfalls sogleich Vorbehalte vonnöten. ' Hans Naumann: Grundzüge der deutschen Volkskunde, Leipzig 1922, S, 2. ' Eduard Hoffmann-Krayer: Die Volkskunde als Wissenschaft, Zürich 1902, S, 6. ' Wie Anm. 2, S. 10 " Konrad Köstlin: Die Wiederkehr der Volkskultur. Der neue Umgang mit einem alten Begriff. In: Ethnologia Europaea XIV (1984), S. 27. ' Hans Gschnitzer: Volkskultur - Kultur der vielen? In: Der Trachtler, 8. Jg. (1980), Nr. 22, S. 2f. "Vgl. Karl Ilg: Volk, Volkskunde, Europäische Ethnologie. In: Innsbrucker Beiträge z. Kulturwiss., Bd. 16 (1971), S. 445 ff.
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