OÖ. Heimatblätter 1993, 47. Jahrgang, Heft 2

deutete der aus den Stahlgewittern des Weltkrieges heimgekehrte Ernst Jünger im Jahre 1921, in dem Hofmannsthal an seinem „Großen Welttheater" arbeitete, in einem Brief nach Zwickledt wie folgt; „Eine nackte Gestalt, die mit fliegendem Haar auf einem Spiralband hinabfährt, dessen Anfang und Ende im Dunkel verborgen sind." Hier fand Jünger „die persönliche und die politische Ungewißheit in eine höhere und unabänderliche eingebettet, die sich stärker und doch auch tröstlicher empfinden ließ". Acht Jahre später schreibt Jünger an Kubin am 10. Februar 1929, ein halbes Jahr vor Hofmannsthals jähem Tod, er möchte einen Aufsatz über sein Buch „Die andere Seite" verfassen: „Und zwar möchte ich vor allem von dem Gedanken dabei ausgehen, daß Sie hier gleichsam seismographisch ein Bild entscheidender Vor gänge unserer Zeit vorgezeichnet haben." Dieser 1908 entstandene Roman spielt in einer seltsamen Stadt in einer asiatischen Einöde, in der das Leben, durch den Man gel an Aufgaben und Werten sinnentleert geworden, immer tiefer in den Abgrund des Traumes versinkt, bis es von einer riesigen Masse aus Schmutz, Abfall, Gedär men, Tier- und Menschenkadavern wie ein Lavastrom verschlungen wird. Das Bemerkenswerteste an ihm ist nach Jünger, „daß hier ein Tastvermögen von emp findlichster Feinheit, lange bevor ein ,Zauberberg' geschrieben wurde, den langsa men Angriff der Verwesung, ihr unterirdisches Kriechen erfaßt, ihre auflösende Unerbittlichkeit, ihre Schauder, ihre Visionen, ihre verräterische Süßigkeit." „So zeigt sich dem Blick des Abendländers, wenn er sich der Zukunft zuwen det, nur zu gern Endzeitliches; in gläubigen Epochen ein Weltgericht, in weniger gläubigen die Verwirklichung einer Utopie oder, wenn sich diese nicht erreichen läßt, Absturz, Untergang, rettungslose Katastrophe." Das sagt Gertrud Fussenegger in ihrer Rede anläßlich der Feier ihres 80. Geburtstages im Frühjahr 1992 angesichts der permanenten Weissagung vom Untergang des Abendlandes, „und fast litaneienhaft folgen einander die Wehe-Rufe: In Europa gehen die Lichter aus. Europa stirbt..(in: Facetten '92). Von der Höhe der Erfahrungen in einem langen und bewußt hellwachen Leben widerlegt sie mit einfachen und einleuchtenden Gründen diese „Litanei", der Abbau der Zölle, die sich abzeichnende Tendenz zu einer europäischen Einigung sind alles andere als Zeichen der Vergreisung. Die zunehmende Gewalt und was sich darum rankt, deuten auf „etwas Rabiates, Pubertäres" hin. Hier liegen gewiß Gefahren und laufen Parallelen zu den späten zwanziger Jahren. Hier heißt es gegensteuern. Die Dichterin vertraut auf die Lernfähigkeit unse rer Gesellschaft, die sie etwa in ihrer Einstellung zur Umwelt beweist: „Jahrtausende lang hat der Mensch die Natur sorglos verschmutzt; binnen zwei, drei Jahrzehnten hat ein Umdenken eingesetzt." Zunächst muß man sich der Gefahr bewußt werden, daß die zwanziger Jahre mit veränderten Feindbildern wiederkehren. „Ein zwar auf gewühltes, schwer überblickbares Feld" ist es, in dem sich das Treiben der neunziger Jahre abspielt. „Doch eine Wüste der Hoffnungslosigkeit ist es nicht." Daraus spricht die Zuversicht der tapferen und weisen Dichterin. Soll der wachsenden Gewalt ent-

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