„Geblendet in Gaza", in dem er seinen Helden Anthony Beavis reflektieren läßt: „Die ganze Geschichte der neuesten Zeit ist eine Geschichte der Befreiung aus Institutio nen. Die ist auch die Geschichte der Versklavung an Institutionen." Auflehnung gegen InsHtutionen führe vorübergehend zur Anarchie, diese sei aber eine Verskla vung an die Natur, „und einem zivilisierten Menschen ist diese Versklavung sogar noch unerträglicher als die Versklavung an Institutionen". So würden Institutionen mit neueren vertauscht, alles bleibe aber im Grund beim alten. Der Turm Bleibt also im „Welttheater" der revolutionäre Kraftakt, die bestehende - als Unrecht gesehene - Ordnung zu stürzen, vergeblich, so bleibt Hofmannsthals letzter Versuch, den Geist des alten Europa zu beleben, um eine humane soziale Ordnung zu konstituieren: „Der Turm". An dem kaum aufgeführten „Trauerspiel in fünf Auf zügen" sind zahlreiche Interpretationen versucht worden. Es kann hier nicht darum gehen, eine weitere zu versuchen. Doch ist der „Turm" der Beweis für ein fast durch 30 Jahre gehendes Kreisen des Hofmannsthalschen Denkens um eine gerechte und dauerhafte Ordnung des staatlich-gesellschaftlichen Zusammenhaltens, zugleich auch der Ausdruck der Verzweiflung, dafür keine Lösung zu finden. Im Calderonschen „La vida es sueno" geht die Geschichte vom König Basilius, dem prophezeit war, sein Sohn Sigismund werde sich gegen ihn erheben, weshalb er ihn in einem Turm gefangenhält, gut aus: Vater und Sohn versöhnen sich am Ende. Dieser Schluß schien Hofmannsthal nach dem Krieg nicht mehr zeitgemäß. Zweimal hat Hof mannsthal um den Schluß - geradezu verzweifelt - gerungen. In beiden Neufassun gen will der König „aus Gründen der Staatsräson - um eine Rebellion zu stillen - seinen Sohn zu sich erheben". Doch kommt es zu Zerwürfnis und neuerlicher Ver bannung. Julian, des Prinzen Sigismund hochrangiger Wärter, schürt den Aufstand gegen den König. In der ersten Fassung (in der Folge: Turm I) erteilt Sigismund nach dem Sturz des korrupten Systems seines Vaters zunächst den machttechnischen Gelüsten seines zum Kanzler aufgestiegenen Vertrauten Julian eine Absage und tritt dem Pöbelaufstand, geführt von Olivier, entgegen. Julian und Olivier kommen um. Der Prinz will die Welt zum Guten führen, erlösen. Doch es gelingt ihm nicht. Tödlich vergiftet übergibt er seine Macht einem Kinderkönig, der eine Heerschar von jungen Menschen - Hofmannsthal nennt sie die „Grünen" - in der allgemeinen Revolution anführt. Er soll eine neue, bessere Ordnung aufrichten. In diesem „Jugend- und zukunftsgläubigen Ausblick" könnte, wie Oswalt von Nostitz in der NZZ vom 17.128. April 1985 berichtet, eine Reminiszenz an die Vorstellungen des in den Wirren der Münchner Räterepublik ermordeten radikalen Sozialisten Gustav Landauer liegen, mit dem Hofmannsthal zwischen 1905 und 1907 im Briefwechsel gestanden war. Landauer hatte, so Nostitz, auf „die ungeheure Bereitschaft der Kinder und aller wachsenden Jugend zu völlig Anderem, als was gerade ist", hingewiesen, eine Bereitschaft, die heute allem Anschein nach europa weit wieder im Ansteigen ist. Hofmannsthal wurde bald klar, daß der rettende Kin-
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