OÖ. Heimatblätter 1993, 47. Jahrgang, Heft 2

renz 1988). Es gilt einen „Identitätsstreß" zu vermeiden, der zur defensiven Aggres sion durch Übernahme fremder Werte und damit aber auch zu Selbsthaß und Selbstzerstörung führen muß. Taucht das Phänomen Identitätsstreß auf, führt der soziale Druck zur absoluten Assimilierung, gleichzeitig auch zu einer Drangst, aus der neuen Kultur verstoßen zu werden, und einer starken Verleugnung der eigenen Identität. Die Behauptung der eigenen Identität verlangt also großes Selbstbewußt sein, um nicht in ihre negativen Pole abzugleiten. Ein Pol ist dabei das Abschließen und Verurteilen von allem anderen, der zweite Pol die totale Selbstaufgabe. Volkskundler kennen dieses Sozialisierungsphänomen aus vielen Beispielen. Die vielen Burschenbräuche etwa zeigen, daß der Schwächste in einer sozialen Gruppe dann am leichtesten zu integrieren ist, wenn seine Eigenheiten berücksich tigt werden und ihm gleichzeitig Funktionen im Gemeinwesen überantwortet wer den. Die Erkenntnis daraus lautet also, unterschiedliche Gruppierungen in einem größeren Ganzen nach ihren Fähigkeiten und Bedürfnissen zu fördern und einzusetDaher gilt es, den einzelnen Regionen und ihrem Bedürfnis nach Volkskul tur, nach Regionalkultur entgegenzukommen, sie von historisch-politischem Natio nalitätsdenken wegzuerziehen zum Umgang mit multiplen Identitäten und vor allem zur Anerkennung der absoluten Gleichwertigkeit anderer Sprachen und Kul turen und damit zur selbstbewußten Anerkennung auch der eigenen Sprache und Kultur. In der Bewertung von Kulturen, Sprachen oder Volksgruppen liegt nämlich nicht nur die Gefahr der Abwertung fremder, sondern ebenso jene der Mißachtung der eigenen Kultur. Zwangsläufig muß bei einem „Gut-böse"-, „Besser-schlechter"-, „Wertvoll-minderwertig"-Denken die eigene Kultur aufgegeben werden, sobald sie in eine schwer haltbare Minderheitenpositiongerät. Auch das vornationalistische Europa, das Europa bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, stand unter dem Zeichen der Mehrsprachigkeit, des Religions- und Kulturpluralismus. Erst als die einzelnen Kul turen gegeneinander auf- und abgewertet wurden, steuerte dieses Europa in die Katastrophe. Einen Gefahrenpunkt birgt allerdings das Europa von heute wie das Europa von damals in sich: die unterschiedlichen wirtschaftlichen Möglichkeiten und Fähigkeiten der einzelnen Länder. Umso mehr ist es notwendig, nicht in den materiellen, sondern in den geistigen Werten die Identität zu finden und zu wahren. Wie in so vielen Punkten sind auch in dieser Frage Volkskulturvereine und Kulturin itiativen gleichermaßen bedeutungsvoll. Sie sollten motivieren, sich ernsthaft mit der gewachsenen Kultur am Ort zu beschäftigen, und zu Neuem ermutigen. Hilfe zur Selbsthilfe kann auch ein Schlagwort moderner Volkskulturarbeit sein. Volks kulturarbeit in diesem Sinne heißt: Mut machen zur konstruktiven Auseinanderset zung, Weckung der Kreativität, Anregung und Förderung jeder Art von eigenständi ger kultureller Entfaltung. Ermunterung und Wegbegleitung werden sich als sinn voller erweisen als die Vorgabe strikter Ziele. Am stärksten und sichersten wird jene Heimat sein, die vielfältige Interessen vereinbaren und Lebensraum und Achtung für alle garantieren kann.

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