OÖ. Heimatblätter 1993, 47. Jahrgang, Heft 2

Volkskultur als Grundlage kultureller Entfaltung vom Kleinen zum Großen* Von Ulrike Kammerhofer-Aggermann Das Werl: „Volkskultur" gehört in den neunziger Jahren neben den Worten „Regionalität" und „Regionalkultur" zu den grol3en Zauberworten unserer Zeit. Was hat es nun mit diesem Wort Volkskultur auf sich? Im Zuge der Aufarbeitung der Vergangenheit, der Suche nach neuen Inhal ten und Zielen schienen vielen die Begriffe Heimatpflege, Volkstumspflege und Brauchtumspflege zu eng geworden. Die Debatten um Folklorismus, Innovation, Akkulturation haben wir bereits hinter uns. An Positivem haben sie uns die Erkennt nis beschert, daß Volkskultur an Zeit, Ort und sozialer Gruppe orientiert ist. Sie ist damit auch in stetem Wandel begriffen und kein zeit- und wertfreies Absolutum. Volkskultur ist also nicht nur Pflege der Tradition, des Vergangenen, des Uberliefer ten, sondern auch Entwicklung der Gegenwart, Veränderung nach dem jeweiligen Bedürfnis der Zeit. So scheinen nach „Heimatschutz und Heimatpflege" der Jahr hundertwende, nach der „Volkstumspflege" der zwanziger und dreißiger Jahre und der „Heimat- und Brauchtumspflege" der Nachkriegszeit „Volkskultur und Regiona lität" die Schlagworte der neunziger Jahre zu sein. Mit einem neuen Wort hat sich bei vielen auch der Inhalt verändert und um die gegenwärtigen Kulturprojekte erweitert; bei anderen allerdings ist der Inhalt gleichgeblieben und das Wort eine Art Beschönigung allzu traditionalistischer und ahistorischer Inhalte geworden; für dritte wird das Wort gleichsam zu einem Ret tungsanker in der modernen Welt, der Rückbesinnung auf geistige Werte und enga gierte Kulturarbeit bedeutet; für vierte bedeutet es Flucht in eine neue Idylle. Auch dieses neue alte Wort birgt bereits viele Schattierungen in sich und hat bereits viele Nuancen erfahren. Rollen wir also unsere Betrachtung nicht vom Wort her auf, sondern vom dahinterliegenden Bedürfnis nach der Sache und von der Definition der Sache selbst. Nicht zu übersehen und nicht zu leugnen ist, daß weiterhin ein großes Bedürfnis nach Volkskultur, nach Regionalkultur, nach lokalen Besonderungen fest stellbar ist. Es ist, je mehr unsere Welt international wird, je lauter vom offenen Europa gesprochen wird, umso häufiger spürbar. Dahinter steckt wohl zum einen das menschliche Bedürfnis nach Uberschaubarkeit, nach Bekanntem und Altherge brachtem, das Sicherheit und Ruhe garantiert. Zum anderen, im Vergleich mit der zunehmenden Angleichung aller Lebensumstände in allen westlichen Ländern, wird Regionalkultur zu einem Synonym für „Individualkultur", das aus der VereinheitVortrag, gehalten für das „OÖ. Forum Volkskultur" in Linz am 26. März 1993.

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