Benn. Nestroy, Karl Kraus und - dreimal - Musil weisen Müller-Dietz als subtilen Kenner der öster reichischen Literatur aus. „Die Dichtung ist auf das Recht nicht gut zu sprechen - nicht nur, weil so viele Dichter entlaufene Jünger der Rechts schule sind. Das Recht, das starrste unter den Kul turgebilden, und die Kunst, die wandlungsfähig ste Ausdrucksform des wandelbaren Zeitgeistes, leben in einer natürlichen Feindschaft": das hat ei ner der größten deutschen Juristen des 20. Jahr hunderts und zugleich ein feinsinniger Kenner der schönen Literatur gesprochen, nämlich Gustav Radbruch, von dem der großartige Essay „Theo dor Fontane oder Skepsis und Glaube" stammt. Auch Müller-Dietz hat sich mit Fontane befaßt: „Recht und Gesellschaft im Werk Theodor Fonta nes" (S. 303 ff.) ist für mich der schönste Beitrag in diesem Band, auch - und besonders - von der Sprache her. „Die Moral unserer Zeit ist ... die der Lei stung." Das konstatiert nicht ein konservativer Kulturkritiker unserer Tage, sondern Robert Mu sil im „Mann ohne Eigenschaften" vor einem hal ben Jahrhundert (siehe S. 435 des Bandes). Die Be trachtung von „Recht und Staat bei Gottfried Benn" (S. 473 ff.) führt über das bezeichnete Thema weit hinaus, Hef hinein in Benns literari sches Werk, „das wie kein zweites der Moderne das Ungesicherte und Fragwürdige der menschli chen Existenz offenbart", dessen Grundgestimmtheit Max Rychner wie folgt umschrieben hat: „Verloren, vergänglich, einsam erfährt der Mensch die über ihn verhängten Lebensprozesse in seiner Grundtrauer, welche ihm die Tiefe der Welt offen bart" (S. 477). Der Strafrechtsprofessor ist ein großartiger Kenner der schönen Literatur! Der Verlag hat den Band sorgsam betreut, lediglich auf Seite 286 hat man dem sonst richtig geschrie benen Hofmannsthal - wie sonst so oft - ein zwei tes „f" verpaßt. Der Band ist Juristen wie Deutsch lehrern jeder Stufe eindringlich zu empfehlen. Josef Demmelbauer Carl Schmitt: Politische Romantik. 5. Auflage. Bertin: Verlag Duncker & Humblot, 1991, 234 Seiten, DM 48,-. Athenäum, Jahrbuch für Romantik 1991. I. Jahrgang. Paderborn: Verlag Ferdinand Schöningh, 1991. 292 Seiten. Abopreis: DM 38,-, Einzelverkaufs preis ab Band 2: DM 54,-. Ein Spitzenwerk über die Romantik ist 1991 in 5. Auflage als unveränderter Nachdruck der 1925 erschienenen 2. Auflage herausgekommen, Carl Schmitts Buch „Polihsche Romantik" aus dem Jahre 1919. Allein seit 1968 hat es drei Aufla gen erlebt. Carl Schmitt (1888-1985), von Beruf Staatsrechtler, sieht als Träger der romantischen Bewegung das neue Bürgertum, das 1789 über Monarchie, Adel und Klerus triumphiert hat, aber bereits 1848 seine Position gegen das revolutio näre Proletariat verteidigte. Ihre Vertreter in Kunst und Literatur empfinden die überlieferten Formen als künstliches Schema und gehen in ihrem Be dürfnis nach dem Natürlichen oft bis zur Auflö sung der Form. Die politische Romantik (S. 153 ff.) wird zum Sammelbecken der Gegner der Franzö sischen Revoluhon, ausgehend von England und Frankreich, markiert durch die Namen Burke („Betrachtungen über die Französische Revolu tion", 1790), Bonald, de Maistre, deren Theorien aus prakhscher (Oppositions-)Politik gespeist wa ren, während in Deutschland die schwärmerische Auffassung vom Staat als Organismus, die „orga nische" Staatsauffassung, den Humus für die Ge genrevolution bildet. Ihr Hauptvertreter ist Adam Müller (1779-1829) mit seinen Vorlesungen über die „Elemente der Staatskunst", eine der umstrit tensten Figuren der deutschen Romantik, ein Op portunist durch und durch, dessen Staatslehre Carl Schmitt „verreißt", während er Friedrich Gentz schätzt. Dieser war Adam Müllers ständi ger Fürsprecher bei Metternich. Adam Müller war auch der geishge Leiter des Bemühens der Wiener Zentrale um „Austriacisierung" des Landes Tirol, d.h. um seine Eingliederung in das zentralistische System des Gesamtstaates unter gleichzeitiger Be seitigung der Tiroler Privilegien. Die sich dagegen wendende Bittschrift der Tiroler an den Kaiser (vom 25. Juni 1814) liest sich, sieht man von der Form ab, wie eine föderalistische Stellungnahme unserer Tage (vgl. S. 73, Anm. 1). In welchem Umfeld die politischen Schrift steller damals in Osterreich ihre Schriften publi zierten, zeigt Carl Schmitt an der Äußerung eines Adeligen, „man solle die Gelehrten sich nur an ih ren Schreibtischen austoben lassen, der Hunger treibe ihre Feder, und der sonst gefährliche, allge meinmenschliche Expansionsdrang erzeuge hier nur dicke Bücher (S. 52)". Eine große Rolle spielt in Schmitts „Politischer Romantik" Friedrich Schlegel (1772-1829), der zwischen 1798 und 1800 gemeinsam mit seinem Bruder August Wilhelm Schlegel (1767-1845), dem Shakespeare-Überset zer, die Zeitschrift „Athenäum" herausgab. 1991
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