OÖ. Heimatblätter 1992, 46. Jahrgang, Heft 2

aufkommenden Kunsthandwerk (= identisch mit Kunstgewerbe) und der Geschmacksgüterindustrie als Muster hinsichtlich technischer Ausführung, vorbild licher Ornamentik und Farbgebung zur Verfügung zu stellen. In der Volkskunst entdeckte man zusätzlich antike, ja archaische Formen, und man erhoffte sich von ihr eine lebendige Wirkung, die auf Dauer anhalten sollte. Andererseits glaubte man, daß die zunehmende Begeisterung des Städters bzw. der besser verdienenden Schichten für Erzeugnisse aus dem Bereich der Volks kunst (des Hausfleißes, des Lohnwerkes, der Hausindustrie) ausreichen würde, um den durch die wirtschaftliche Entwicklung des 19. Jahrhunderts in Not geratenen Bevölkerungsschichten zusätzlichen Verdienst zu schaffen. Man hatte dabei noch nicht mit dem Zwang der Industrie zur Massenpro duktion und zum Massenabsatz und dadurch zur Herstellung immer neuer Artikel und mit den gezielt geförderten modischen Tendenzen im allgemeinen gerechnet, also mit Erscheinungsformen, die auch für unsere heutige Gesellschaft typisch sind. Ebenso ergab sich bald eine empfindliche Verteuerung, weil mehr Materialver brauch auch damals eine Preissteigerung bedeutete, weil Transportkosten zum End verbraucher und Handelsspannen dazukamen und weil ursprünglich auch die Arbeitszeit nicht oder nur zu einem geringen Teil in den Preis einkalkuliert werden mußte. Als man zudem sah, daß der Arten- und Formenreichtum der Volkskunst auch nicht unerschöpflich war, daß die Zeitmode einen immer rascheren Wechsel erforderte, erlahmte bald die Begeisterung der Geschmacksgüterindustrie, und schon Alois Riegl kam zur Ansicht, daß die alte Volkskunst deshalb nicht mehr am Leben zu erhalten wäre, weil ihr bestimmte Charakteristika, wie die „Anfertigung im eigenen Hause für den eigenen Bedarf und die Allgemeinverständlichkeit seiner durch die Tradition bedingten Formen"" fehlten. Andererseits betonte Riegl die Notwendigkeit, ja die Verpflichtung zur wissenschaftlichen Aufbereitung dieses alten ererbten Kulturgutes,™ und er vollzieht somit eine „Kehre zu einem ,Histo rismus' neuer Art, ab von der Kunstförderung und hin zur reinen Denkmalsbetrach tung. Volkskunst soll nun nicht mehr zu praktischen Zwecken, nämlich als Vorbild für die Produktion gesammelt werden. Vielmehr soll sie zum Objekt reflektierender historischer Forschung werden."^^ Damit war der Weg frei zur Gründung selbständiger Volkskundemuseen bzw. volkskundlicher Abteilungen, es entstand zum Ende des 19. Jahrhunderts aber auch ein tiefer Zwiespalt, der bis heute die Vertreter der „Volkskunde als Wissen schaft" (Terminus von Leopold Schmidt) entzweit: Die einen lehnen jede praktische Anwendung, die sich aus den Erkenntnissen der historischen Wissenschaftsdisziplin Volkskunde für die Volkskultur ergibt, rundweg ab, die anderen sind der Meinung, daß die wissenschaftlichen Ergebnisse auch für die Praxis in der Volkstumspflege Erich - Beitl, Wörterbuch der deutschen Volkskunde, 2. Auflage, Stuttgart 1955, S. 809. Riegl, a. a. O., S. 72 ff. " S. Nachwort von Mohammed Rassern in A. Riegl, a. a. O., 5. 85.

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