OÖ. Heimatblätter 1992, 46. Jahrgang, Heft 2

Dieser Übergang - er impliziert ja den Walzer als Nachfolger des Deutschen in direkter Linie - ist insofern Fiktion, als der Walzer, da der Deutsche Tanz aus der Mode gekommen war, ebenfalls im Überschwang deutsch-patriotischer Gesinnung Deutscher genannt wurde, was ja aufgrund seiner geographischen Herkunft nicht unbedingt falsch war. Diese Gewohnheit wird in derart vielen Belegen offenkundig, daß ich mich darauf beschränken muß, aus der Vielzahl der Quellen nur einige zu zitieren. Einen erstaunlichen Hinweis auf das „Deutschblütige" im Walzer verdanken wir Moritz Gottlieb Saphir. Der in seinem Metier als Literaturkritiker und „Grillparzer-Vernichter" gehaßte,'"' jedoch als Satiriker überaus geschätzte Dichter schildert in einer seiner seltenen Arbeiten ernster Natur - er untertitelt sie Eine ungarische Novelle - den durch unbändiges Walzen hervorgerufenen Tod eines jungen Mädchens: Im großen Gerichtszimmer des Kishiro (Kleinrichters) wurde getanzt, und der Preis eines Nemeth-Tanzes (eines Walzers) war ein Lamm mit Bändern verziert. Das Paar, welches den Preis erhalten wollte, mußte zu walzen anfangen, wenn die kleinen St.-Nikolas-Kerzen angezündet wer den, und durfte nicht eher aufhören, bis sie herabgebrannt waren; [...]" Nun könnte man meinen, die ungarische Sprache verfüge über keine andere Bezeichnung für den Walzer. Keineswegs, „Keringö" (Dreher, Walzer) heißt der importierte Tanz direkt ins Madjarische übersetzt. Immerhin erinnert die Aus drucksweise des geborenen Ungarn Saphir daran, wie in den Kronländern bereits zur Biedermeierzeit der deutschen Art zu tanzen ausgiebig Reverenz erwiesen wor den ist. Nicht umsonst verdanken wir ursprünglich die Verkündigung des Wiener Walzers bis in die kleinsten Winkel der Donaumonarchie den Holz- und Blechblas instrumenten der deutschen Regimenter^^ in der k. k. Armee. Ein unverkennbares Beispiel tendenziöser Berichterstattung ist der mit R. O. Spazier gezeichnete Fortsetzungsartikel in der „Wiener Allgemeinen Theaterzeitung" (ab 12. Februar 1838) Strauß und der deutsche Walzer. Höchstwahrscheinlich versteckt sich hinter dem Autor der Spötter M. G. Saphir, der noch zwei Jahre zuvor Mitarbei ter der Theaterzeitung Adolf Bäuerles gewesen ist, aber seit 1837 seine eigene Zeit schrift „Der Humorist" redigiert hat."' Vgl. Eduard Engel, Geschichte der deutschen Literatur, Wien - Leipzig, S. 137. " Moritz Gottlieb Saphir, „Csäkäny und Tambura, oder: Die geistige Abendmusik. (Eine ungarische Novelle)", in: M. G. Saphir's humoristische Schriften, hrsg. v. Dr. Karl Meyerstein, Berlin 1889, S. 154. Die deutschen Truppenteile der k. k. Armee galten stets als besonders kaisertreu und verläßlich. Siehe dazu Sepp Joseph, Nachwort zur Faksimileausgabe von Alexander Baumanns „Ehrenbuschn für d'Oesterreicher Armee in Italien", Dortmund 1980, S. 137. " Karl Meyerstein, Einleitung zu M. G. Saphir's humoristischen Schriften, S. 4.

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