heute behauptet, obwohl er etwa vierzig Jahre lang in dessen Schatten die Tanzsäle belebt hat. Nicht nur Schrammel hat diese irrige Ansicht genährt, auch, wie man meinen müßte, eine kompetente Persönlichkeit, nämlich Eduard Strauß persönlich, tut in seinen Erinnerungen ähnliches kund: Lanner und Strauß waren Naturmusiker, ohne jede theoretische Vorbildung; doch emp fand es ihr feiner musikalischer Sinn, daß der gute, alte „Deutsche" der Erfrischung und Verjün gung bedürfe. Vor ihnen versuchten zwar schon andere Componisten Walzer zu schreiben, zwölf Nummern zu je zwölf Tacten [sie!] ohne Introduction und Coda, [.. .]^® Nunmehr listet Strauß acht beispielgebende Autoren auf, wobei er z. B. Michael Pamer und Ignatz Moscheies in einem Atemzug nennt. Obwohl die musik historische Integrität des jüngsten der Strauß-Söhne bereits mehrfach angezweifelt worden ist, hat bislang noch niemand die Widersprüchlichkeit der zitierten Aussa gen bemerkt. Wie konnte der Wiener Walzer überhaupt aus dem Deutschen gekom men sein, wenn andere Komponisten - wohlgemerkt vorher - sich an diesem Genre versucht haben? Strauß' belehrende Information zwölf Nummern zu je zwölf Tacten ohne Introduction und Coda ist bis auf die Tatsache, daß im oberösterreichischen Landler die magische Zwölf als Begrenzung der Folge tatsächlich eine bevorzugte Rolle spielt, schlichtweg falsch. Erstens wird die Landlerperiode - wie auch die des frühen Wal zers - aus acht Takten gebildet, und zweitens sind Introduktionen (z. B. Pamers Lin zer Tänze) und Rodas bereits vor Lanner und Strauß (Vater) nachweisbar. Zur teilwei sen Entschuldigung von Eduard Strauß sei jedoch betont, daß der Terminus „Deut scher" durchaus auch für den Walzer gebräuchlich war, ja nach dem Aussterben des Deutschen Tanzes förmlich auf ihn übergegangen ist. So meint der ältere Walzerkö nig in einem undatierten Brief an den Schriftsteller Sigmund Schlesinger, daß seine Phantasie die Objekte nicht erfinden könne - worunter die Deutschen [Walzer] vielleicht nicht ver standen sein werden.*'^ Wie gesagt, ist die Begriffsverwirrung rund um den Deutschen beträchtlich und hat mehr als einmal zu Fehlfolgerungen geführt. Einen brauchbaren Ansatz für den Versuch einer Aufklärung bietet die Volksmusikforschung mit einer treffenden Aussage Hermann Derschmidts: Wenn man wie Hamza (Der Ländler, S.4f.) den Ländler als eine bäuerliche (besser länd liche) Entwicklung ansieht, also nicht als „gesunkenes Kulturgut", so zeigen noch die Deutschen in ihrem Notenbild Kennzeichen der städtischen Hochkultur.^° Hochkultur! - Mit diesem Shchwort lenkt der Welser Forscher die Gedanken auf eine vielversprechende Fährte. Selbstverständlich zeigt das Attribut „deutsch", wie Reingard Witzmann meint, keinesfalls seine [des Deutschen] Herkunft aus den länd lichen und unteren Bevölkerungsschichten an.^^ Deutsch zu sein, zu denken, zu reden, zu Eduard Strauß, „Erinnerungen", Leipzig - Wien 1906, S. 12. Siehe Schönherr - Reinöhl, a.a.O., S. 101. ™ Derschmidt, a.a.O., S. 150. " Reingard Witzmann, Wiener Walzer und Wiener Ballkultur, Von der Tanzekstase zum Walzertraum, in: Bürgersinn und Aufbegehren, Biedermeier und Vormärz in Wien, 1815-1848, Wien 1988, S. 131.
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