Bolz: Auszug aus der entzauberten Welt. Philo sophischer Extremismus zwischen den Weltkrie gen. München: Wilhelm-Fink-Verlag 1989, 2., unveränderte Auflage 1991. 191 Seiten, kartoniert, DM 38,-. Max Weber, den Karl Jaspers - übersteigert - als den größten Deutschen des 20. Jahrhunderts bezeichnet hat, ist der Allgemeinheit geläufig mit seiner Charakterisierung der Politik als starkes, langsames Bohren von harten Brettern mit Lei denschaft und Augenmaß zugleich. Das steht am Schluß seines Vortrages im Revolutionswinter 1919 über „Politik als Beruf". Viel bedeutsamer ist aber seine These von der Entzauberung der Welt, die er um die Jahrhundertwende bewußt gemacht hat als das Ergebnis eines langen Prozesses der Intellektualisierung des Lebens, als die Rationalisie rung unserer Welt durch Wissenschaft, die „uns zwar keine fortschreitende Kenntnis unserer Le bensbedingungen, wohl aber die Gewißheit gege ben hat, daß keine geheimnisvollen Mächte in der Welt herrschen, sondern alles durch Berechnen beherrscht werden kann." Dagegen bäumt sich die Sehnsucht des einzelnen nach einem lebens immanenten Sinn auf, erhebt sich die Forderung nach einer ethnisch sinnvoll orientierten Ordnung in Staat und Gesellschaft. Kelsen hat 1933 resignativ davon gesprochen, daß der aus der rationalen Sphäre als Kompromiß erwachsene Friedensge danke immer wieder durch den Glauben an einen höheren, ja höchsten Wert verdrängt werde. Die ser Glaube sei stärker, als daß ihn irgendeine ra tionale Erwägung erschüttern könnte, auch wenn der Weg zu diesem absolut gesetzten Wert durch Blut und Tränen führe, was sich ja in der Folge in grauenhafter Weise bestätigt hat. Die Art, in der die Zeitkritiker und Denker, die Norbert Bolz - in allerdings oft komplizierter Sprache - interpretiert, den Auszug aus der ent zauberten Welt suchten, ist vielfältig und erhellt vieles aus dem Dämmerlicht, in das die Zwischen kriegszeit für die jungen Menschen von heute ge taucht ist. Vielfältig; Da stehen die orthodoxen Marxisten Georg Lukäcs und Ernst Bloch, dort die national-konservativen und antidemokrati schen Carl Schmitt, Martin fJeidegger und Ernst Jünger, die die endlose Diskussion verachten und auf Kampf, Entschlossenheit und Entscheidung setzen (siehe die Besprechung von „Die Entschei dung" von Graf von Krockow in diesen Blättern, Heft 3/1991, S. 300). Dazu kommen Max Weber, mit dem das Buch beginnt, immer wieder Walter Benjamin sowie Adorno und Gottfried Benn an dessen Schluß. Der Entzauberung der Welt muß folgerichtig der „Angriff auf den schönen Schein" folgen: In Wien führt Adolf Loos einen geradezu fanati schen Kampf gegen das Ornament. Und die „Phi losophie der neuen Musik" ist nach Adorno die, daß sie „alle Dunkelheit und Schuld der Welt auf sich genommen (hat). All ihr Glück hat sie daran, das Unglück zu erkennen; all ihre Schönheit, dem Schein des Schönen sich zu versagen. Keiner will mit ihr etwas zu tun haben, die Individuellen so wenig wie die Kollektiven. Sie verhallt ungehört, ohne Echo" (Bolz, S. 161). Asketen, die sich dem schönen Schein, der schönen Melodie versagen, machen das Hören zur Anstrengung, gönnen dem Hörer nicht Schein noch Freude, weil ihnen dies ihr künstlerisches Ethos verbietet. Was Wunder, daß sich so wenige für diese mittlerweile auch nicht mehr „neue" Mu sik etwa eines Schönberg oder Webern erwärmen können! Der Held der entzauberten Welt wird aber der „Arbeiter" Ernst Jüngers (S. 161 ff.) als der neue Funktionär der technischen Perfektion. Mit dem Arbeiter des herkömmlichen Sprachgebrau ches hat er nichts zu tun. Er kann auch Künstler sein, er ist Zeittypus. In einem Brief vom 15. Sep tember 1932 bedankt sich Alfred Kubin bei Ernst Jünger „für das schöne Buch", in dem er „völlig neugegossene Ideen, die Sie hier veröffentlichen", sieht. „Sie treten hier gleichsam als ein Führer auf - ... und dieses Werk wird gleichfalls ein starkes Echo Ihnen bringen." Im Brief vom 12. Oktober 1933 ist dann eindeutig bestätigt, daß es sich um „das Werk über die Arbeit" handelt. Vorher hatte Jünger Kubins einzigen Roman „Die andere Seite" rezensiert; es erschien ihm darin „gleichsam seismographisch ein Bild entscheidender Vor gänge unserer Zeit vorgezeichnet..." (Brief an Ku bin vom 10. Februar 1929). Aus diesem Bezug ist zu ersehen, daß der scheinbar lebensferne Meister aus Zwickledt nicht ohne Einfluß auf das Denken des Autors blieb, dessen „totaler Mobilmachung" bald der totalitäre Staat und der „totale Krieg" folgten. Derzeit spricht einiges dafür, daß sich Denk- und Handlungsformen aus der Zwi schenkriegszeit - halb bewußt - zu wiederholen beginnen. Schon deshalb ist es angebracht, der vorliegenden Studie Aufmerksamkeit zuzuwen den. Josef Demmelbauer
RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2