Der erste Absatz enthält fünf Sätze oder besser Satzgefüge, von denen jedes auf diese Wirkung hin angelegt ist. So wird der Stimmungsgehalt des Ausdruckes Einsamkeit schärfer umrissen oder vertieft durch den Ausdruck märchenhaft. Denn unter Märchen stellen wir uns etwas vor, das ganz vom Alltagsleben entfernt ist, ähnlich wie sich der Wanderer völlig vom Alltagsleben entfernt, wenn er diesen See besucht. Der zweite Satz bringt uns die allgemeine Lage des Sees durch den Vergleich mit einem Tuch näher. Er macht uns dadurch die Vorstellung sozusagen handlicher, legt sie fester ins Bewußtsein. Wir haben nun nicht mehr bloß die Vorstellung See, sondern auch die Vorstellung Tuch. Wir fassen daher die Gesetzmäßigkeiten schär fer, die sich sowohl im See als im Tuch zeigen. Es ist schwer zu entscheiden, ob die Schilderung des zweiten Satzes nicht noch wirkungsvoller wäre, wenn dieser Ver gleich dadurch noch schärfer ausgeführt wäre, daß der Satz nach dem Wort,ernst' abschlösse. Wir hätten dann die Vorstellungen Tuch ohne Falte, gespannt, weich, gesäumt, dunkel, in einer völligen Einheit, während bei Stifter der Nachsatz diesen vollkomme nen Vergleich wieder in Vergessenheit drängt, durch einen neuen Vergleich: Schaft und Säule. Im dritten Satz haben wir zwei Bilder, die einander unterstützen, Bühnenwand und Mauer. Nur das zweite Bild wird voller ausgezeichnet, indem eine Art Gliede rung der Mauer gegeben wird: Grünes Moos, Schwarzföhren. Die flöhe der Mauer wird veranschaulicht durch den Gegensatz Schwarzföhre - Rosmarinkräutlein. Der vierte Satz zeigt uns ein weiteres Mittel, um die Schilderung besonders stark in unserem Bewußtsein zu verankern, die Vermenschlichung. Die Ausdrücke gräßlich, Verwirrung, traurig, alt, sind aus unserer eigenen seelisch-biologischen Vorstellungswelt genommen. Sie führen also den Gedanken der Einheit unserer Erscheinungen, unserer seelisch-biologischen Erscheinungen, mit der geologisch biologischen Erscheinung des Sees durch. Sie machen dadurch den See in ganz besonderer Weise zu einem Bestandteil unseres Bewußtseins. Gerade hier zeigt sich das so ganz andere, das eigene Sein unseres Geistes, unsere eigene Dreieinheit in Sein, Erkennen und Wollen. Sie faßt nicht nur nach ihrer eigenen Ordnung, nach ihrer eigenen Einheit in der Vielheit, Vorstellungen zu einer Einheit zusammen, die uns von außen zukommen, sie ordnet auch unsere eige nen Gefühlsvorstellungen, fügt Innenwelt und Außenwelt zu einer eigenen Einheit zusammen. Im fünften Satz geht diese Verlebendigung weiter. Die gesamte Umgebung des Sees wird zu einem Lehewesen: Die Seewand treibt empor und schweift sich herum, so als wenn auch sie wie wir einen ordnenden Willen in sich hätte, ein eige nes Sein mit gewollten Äußerungen, mit Handlungen wäre. Im zweiten Absatz liegen die Höhepunkte der Schilderung wohl in dem Gegensatz des schwarzen Glasspiegels und der eintönigen Himmelsbläue. Aber auch die ser Gegensatz erscheint nicht etwa als ausschließender Gegensatz, sondern wieder als eine Einheit, angedeutet durch die Ausdrücke ,ungeheuer schwarz' einerseits, ,Hef und eintönig' andererseits, die beide für uns denselben Gefühlsgehalt ergeben.
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