ten und Gewerbetreibende auf dem Dorf eine Landwirtschaft als Nebenerwerb, gin gen jetzt viele kleinere Landwirte aus einer weniger begüterten unterbäuerlichen Schicht einem Lohnnebenerwerb nach. Bei C. C. Müller als erstem größeren Betrieb der Region wurden sie Industriearbeiter. Für sie galten nicht mehr Sonnenaufgang und Sonnenuntergang als Maß der täglichen Arbeitszeit, sondern der Rhythmus der Maschinen beshmmte jetzt ihren Alltag. Den Zwang, Nahrungsmittel trotz Wetterlaunen der Natur zu erzeu gen, tauschten sie gegen den Zwang ein, den Arbeitslohn trotz oft ebenso schwer zu durchschauender Launen ihrer Dienstvorgesetzten zu verdienen. Konjunkturen und Krisen ihrer Fabrik nahmen sie jetzt hin wie einst gute Ernten und Mißernten. Die mechanische Uhr, unüberhörbar gemacht durch die Fabriksirene, band sie in den Takt der Arbeitszeit des Werkes ein. Jetzt forderte Pünktlichkeit Unterwer fung unter die Gesetze der Industrie. Landwirte und Landarbeiter wurden zu „indu strialisierten Menschen'U' Die Zeit des einzelnen ließ sich an die Papierfabrik ver kaufen. Stunden und Minuten der Arbeitszeit wandelten sich in dringend benötig tes Bargeld. Zwar kannte man den Umgang mit Zeit von der Schule, vom sonntäglichen Kirchgang, vom Mannwerdungsritual Militärdienst. Doch der Anpassungsprozeß umfaßte auch eine rigorose Erziehung zu Fleiß und arbeitsbedingter Disziplin, zum standardisierten Lebenstakt von Arbeit und Erholungszeit, den es so vorher nicht gab. Dafür erhielt der Arbeiter außer Geld eine weitere Gegenleistung. Durch gute Arbeit wuchsen sein Eigenwert, seine Bedeutung in den Augen der Kollegen und in seinen eigenen. Je fachlich anspruchsvoller die Aufgabe, um so angesehener wurde er. Neben der Hierarchie von Fabrikherr, Werkleiter und Schichtführer ent stand eine neue, ungeschriebene Klassifizierung der äußerlich gleichwertigen Arbei ter. Diese Position im Netz des Sozialgefüges der Mitarbeiter bedeutete Prestige am Arbeitsplatz. Es konnte zum sozialen Aufstieg im Betrieb führen und dem damit verbundenen Mehreinkommen. Die Stellung in der Fabrik war nicht mehr von dem Besitz abhängig, in den man hineingeboren wurde oder den man erheiratete. Man erwarb sie durch eigene Leistung. Eigentümer und Direktoren G. C. Müller gehörte zu den Pionieren der Industrialisierung Oberöster reichs. Seine Lebensgeschichte könnte „Vom Bauernsohn zum Millionär" über schrieben werden. Er erlebte fast das ganze 19. Jahrhundert: 1807 bei Zittau in Sach sen geboren und im Jahr 1899 im Mühlviertel gestorben, hinterließ er seinen Nach kommen eine Burg, große Wälder und eine moderne, gutgehende Papierfabrik. Thema des 28. Deutschen Volkskundekongresses Hagen 1991, „Der industrialisierte Mensch", lat. industria = eifrige Tätigkeit, Betriebsamkeit, Unternehmungslust, Fleiß.
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