Anneliese Ratzenböck und Rudolf Fochler haben in ihrem gemeinsamen Buch ein Werk ge schaffen, das in mehrfacher Hinsicht von Bedeu tung ist: 1. Oberösterreich besitzt als einziges Bundesland eine tiefgreifende Monographie, die ausschließlich das Lebensbrauchtum behandelt. 2. Rudolf Fochler schildert, ausgehend vom alten Herkommen, den Zustand der Bräuche in unserer Gegenwart. 3. Anneliese Ratzenböck betreut be sonders die pflegerische Seite, sie betont das Menschliche und gibt viele wertvolle praktische Hinweise, wie man sich in einer besonderen Situa tion jeweils richtig verhalten kann. Schließlich be ruht das Werk 4. auf umfangreichen Erhebungen, die das Landesinstitut für Volksbildung und Hei matpflege 1982/83 auf dem Gebiete des Hochzeit brauchtums durchgeführt hat, und auf einer ebenso umfangreichen Fragebogenaktion, die von den oberösterreichischen Goldhaubengruppen in 269 über ganz Oberösterreich verstreuten Beleg orten unternommen wurde. Die Antworten sind in 46 Tabellen zusammengefaßt, die über viele Ge biete des Lebensbrauchtums, wie es in den einzel nen Landesteilen noch gehandhabt wird, stati stisch Auskunft geben. Unter anderem finden wir hier Aufzeichnungen über die verschiedenen Vor gänge bei der Taufe, Patenschaft und Patenpflich ten, Namengebung, Täuflingskleidung, Taufge schenke und Taufessen; ferner über Geburtstags und Namenstagsfeiern bei Kindern und Erwach senen, Erstkommunion und Firmung; über die verschiedenen Brauchhandlungen bei Hochzeits feier, Reihungsmodelle beim Hochzeitszug, Reihungsmodelle für Trauerzüge, Häufigkeit und Verbreitung einzelner Grablieder. Es sind dies wichtige Hinweise für jeden, der eine solche Feier gestalten muß, und für jeden, der wissenschaftlich über den Volksbrauch arbeitet. Wie sehr sich manche Gepflogenheiten geän dert haben, mögen die Kapitel über die Namengebung verdeutlichen. Diese war nach alter volks tümlicher Auffassung keine Modesache, sondern ein für den Charakater und das Schicksal des Kin des bedeutungsvolles, brauchmäßig geregeltes Anliegen. So wurden die ersten Kinder häufig nach den Großeltern benannt, denn diese kehren, nach altem Volksglauben, in ihren Enkeln (mhd. enenkel = kleiner Ahn) wieder. Auch die Namen der Eltern, der Paten und später der biblischen und besonders verehrten Heiligen wurden gerne verwendet. Von Fochler erfahren wir nun, daß heute zwar „alte" Namen wieder bevorzugt wer den, daß aber andererseits die Namen von Eltern und Heiligen (teilweise) keinerlei Rolle mehr spie len. Die Taufnamen der Eltern und Paten finden sich aber als Zweitnamen. Modetrends und Nachtaufen nach öffentlich bekannten Vorbildern gab es früher und gibt es heute. Man kann dabei vorsichtig auch auf die „Einstellung" der Eltern rückschließen, z.B. bei Franz-Josef, Wilhelm, So phie, Horst, Adolf oder, wie Frau Ratzenböck an führt, Elvis und Jaqueline. Frau Ratzenböck be dauert aufgrund des statistischen Materials, daß man nicht den Eindruck habe, die Eltern wollen ihren Kindern mit den Namen „etwas Besonderes, Wohlüberlegtes" mitgeben. Sehr oft ist es das Be streben nach etwas Exotischem, und ob ein Name gefällt oder nicht, hat viele, nicht durchschaubare Gründe. Sie warnt daher vor dem Allzumodi schen und empfiehlt den Eltern im Interesse des Kindes, das seinen Vornamen ein ganzes Leben hindurch tragen muß, über den Sinn und die Be deutung des gewählten Vornamens gründlich nachzudenken. In diesem Zusammenhang sei ein Hinweis erlaubt: Es gibt noch manche Familien, die auf Tradition achten, vielleicht findet man diese im bäuerlichen und im gewerblichen Be reich häufiger. Gerade bei letzterem ist, wenn sich ein Betrieb durch einige Generationen im Famili enbesitz befindet, das Nachtaufen üblich, und es wird dem Vornamen eine wie bei den Aristokra ten übliche Geschlechtsziffer nachgesetzt, z.B. Eduard H. L, II., III. usw. Das Brauchtum des Jahres- und des Arbeits kreises wird von einer größeren Gemeinschaft ge tragen, der Lebenskreis ist hingegen von einer mehr individuellen Art; trotzdem sind seine Aus drucksformen auch brauch- und gemeinschafts gebunden. Die Lebensbräuche sind Ubergangs bräuche (rites de passage), der Eintritt von der Nicht-Existenz bei der Geburt in die Gemein schaft der Lebenden, der Ubertritt von der Kind heit in die Jugend (Erstkommunion, Firmung, Konfirmation, Burschen- und Jugendbünde, staat liche Bürgerfähigkeit), der Ubergang zum Erwach senen durch das gemeinhin höchste Fest im Le ben, durch die Hochzeit, und schließlich der unwi derruflich letzte Ubergang in das Reich der Toten. Der Mensch fühlt sich bei diesen Ubergängen in dem Niemandsland zwischen dem alten und dem neuen Zustand in besonderem Maße den bösen Mächten ausgesetzt und auf (übersinnliche) Hilfe angewiesen. Daher haben wir es im Lebens brauchtum vorwiegend mit Trennungsriten, mit Abwehr- und Segensriten und besonders bei der Hochzeit auch mit Fruchtbarkeitsbräuchen zu tun.
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