OÖ. Heimatblätter 1991, 45. Jahrgang, Heft 3

Zum besseren Verständnis werden vorher in einem kurzen Überblick die geistigen Wurzeln und das Wesen des Siedlungstyps Stadt vorgestellt. Zum Wesen der Stadt Die Stadt der Frühzeit, der Antike fügte, indem sie Gestalt annahm, viele ver streute Organe des gemeinsamen Lebens zusammen und förderte innerhalb ihrer Mauern deren Zusammenwirken und Verschmelzung. Die gemeinschaftlichen Funktionen, denen die Stadt diente, waren wichtig; aber noch wichtiger waren die gemeinschaftlichen Ziele, die sich aus der lebendigen Art des Umganges und der Zusammenarbeit ergaben. Die Stadt vermittelte zwischen der kosmischen Ordnung, wie sie der prie sterliche Astronom offenbarte, und den zur Einheit strebenden Unternehmungen des Königtums. Jene nahm Gestalt im Tempel und seinem heiligen Bezirk an, diese in der Zitadelle und der sie umfassenden Stadtmauer. Die Stadt aktivierte bis dahin brachliegende Bestrebungen des Menschen und faßte sie in einem zentralen politischen und religiösen Kern zusammen; dadurch vermochte sie mit der gewaltig überschäumenden Schöpferkraft der jung steinzeitlichen Kulturen fertigzuwerden. Im Lauf der Entwicklung schufen die Herren der Stadt ein inneres Gefüge aus Ordnung und Recht, das der bunt zusammengewürfelten Stadtbevölkerung mittels bewußter Anstrengung etwas von der sittlichen Festigkeit und gegenseitigen Hilfsbereitschaft des Dorfes verlieh. Auf dem Schauplatz Stadt wurden somit neue Dramen des Lebens in Szene gesetzt. Den Verbesserungen müssen jedoch auch dunklere Seiten hinzugefügt wer den : Krieg, Sklaverei, berufliche Überspezialisierung und vielerorts eine beharrliche Hinwendung zum Tod. Die positiven wie die negativen Seiten der antiken Stadt sind jedem späteren städtischen Gemeinwesen in gewissem Maße weitervererbt worden. Dank der Konzentration physischer und kultureller Macht steigerte die Stadt das Tempo menschlichen Umgangs und gab seinen Erzeugnissen eine Form, die sich aufbewahren und nachbilden ließ. Mittels ihrer Denkmäler, Urkunden und wohlgeordneten Zusammenschlüsse erweiterte die Stadt den Bereich aller menschli chen Tätigkeiten und dehnte ihn in Vergangenheit und Zukunft hinein. Dank ihrer Speichermöglichkeiten (in Gebäuden, Archiven, Denkmälern, Inschriften, Büchern usw.) war die Stadt imstande, eine komplexe Kultur von Generation zu Generation weiterzureichen, denn sie verfügte nicht nur über die äußeren Mittel, sondern auch über die Personen, die nötig waren, dieses Erbe zu mehren und zu vermitteln. Das bleibt die größte Gabe unter allen Gaben der Stadt. Im Vergleich zur komplexen menschlichen Ordnung der Stadt wirken unsere heutigen erfindungsreichen elektronischen Maschinen, die Informationen speichern, verarbeiten und wiedergeben, plump und beschränkt.

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