7,'"^ OBEROSTERREICHISCHE 45. Jahrgang Heft 3 Herausgegeben vom Institut für Volkskultur Stefan Lueginger Stadtbaukunst am Beispiel Linz Alfred Mühlbacher-Parzer Wiener Plastiker des späten 19. Jahrhunderts in oberösterreichischen Friedhöfen Plans Falkenberg Der Dreiradler im Mühlviertel Bericht über den Bau, den Nutzen und das langsame Verschwinden eines ungewöhnlichen Fahrzeuges Josef Mayr-Kern Mozart auf der Durchreise Oberösterreichische Markierungen Hans Krawarik „Villa Swente" - die Anfänge von St. Pankraz Buchbesprechungen
Medieninhaber: Land Oberösterreich Herausgeber: Institut für Volkskultur Leiter: W. Hofrat Dr. Dietmar Assmann Zuschriften (Manuskripte, Besprechungsexem plare) und Bestellungen sind zu richten an den Schriftleiter der OÖ. Heimatblätter: Dr. Alexander Jalkotzy, Institut für Volkskultur, 4020 Linz, Spittelwiese 4 (Kulturabteilung der oö. Landesregierung, Tel. 0 732127 20-0) Jahresabonnement (4 Hefte) S 190,- (inkl. 10 o/o MwSt.) Hersteller: Druckerei Rudolf Trauner Ges.m.b.H., 4020 Linz, Köglstraße 14 Grafische Gestaltung: Mag. art. Herwig Berger Für den Inhalt der einzelnen Beiträge zeichnet der jeweilige Verfasser verantwortlich Alle Rechte vorbehalten Für unverlangt eingesandte Manuskripte über nimmt die Schriftleitung keine Haftung ISBN 3-85393-057-3 Mitarbeiter: Hans Falkenberg, Wacholderweg 8, D-8540 Schwabach Dr. Hans Krawarik, Friedigasse 53,1190 Wien Arch. Dipl.-lng. Dr. Stefan Lueginger, Rainerstraße 14, 4020 Linz Prof. Dr. Josef Mayr-Kern, 4643 Rettenbach 79 Dr. phil. Dr. rer. nat. Alfred Mühlbacher-Parzer, Müller-Gutenbrunn-Straße 6, 4020 Linz Titelbild: Innenhof von Schloß Ebelsberg. Wolfgang Ama deus Mozart besuchte auf einer seiner vielen Rei sen am 29. Oktober 1781 auch eine Opernauffüh rung in Schloß Ebelsberg. Foto: Christian Schepe
Stadtbaukunst am Beispiel Linz Von Stefan Lueginger Städtetourismus ist ein neues Schlagwort geworden. Jedes Jahr pilgern viele Tausende Menschen jeden Alters und Standes in die alten Städte und Stadtzentren Europas. Dies geschieht so gründlich, daß sich einige Städte überlegen, ihre Tore zu schließen und nur mehr zeitlich und zahlenmäßig begrenzte Besichtigungen zuzu lassen. Stadtrevitalisierung, Altstadterhaltung sind auch zu Modeströmungen hochstilisiert worden. Alles, was an Fassaden älter als 50 oder 60 Jahre ist und „irgendwie verschnörkelt" aussieht, steht unter Denkmal- oder Ensembleschutz, wird vorne als Haut stehen gelassen und hinten rücksichtslos entkernt. Neubauten in Lücken werden fast nur mehr dann genehmigt, wenn sie wenigstens eine NeoGründerzeitfassade - mit Beton- und Kunststoffapplikationen - aufweisen. Und doch ist den alten Städten, Stadtkernen etwas eigen, was sie unabhän gig von formalen Modeströmungen und politischen Kurzzeitbekenntnissen macht. Nach fast hundert Jahren wissenschaftlicher Abstinenz beim Thema Stadtbaukunst beginnt wieder die intensive Erforschung von Stadt und Stadtstrukturen, geschieht Besinnung, erleben wir die Auseinandersetzung und die Suche nach neuen Pla nungskonzepten. Vor einigen Jahren schon wurde ich von einer Gruppe italienischer Touristen - profunden Fachleuten, wie sich später herausstellen sollte - aus einem abendlich grübelnden Heimweg aufgeschreckt und mit vielen Fragen konfrontiert. Die Beantwortung der Fragen mündete in einen umfassenden, aber zwei fellos persönlich geprägten Stadtrundgang. Und dann die Überraschung: Als Linzer ist man gewohnt, hinter den berühmten Städten zurückzustehen, als „kleinkariert", nebelig, umweltbelastete Wirtschaftsmetropole apostrophiert, an einer selten blauen Donau liegend. Die Gruppe aus Italien, Fachleute, wie schon erwähnt, kam bewußt nach Linz, hier stimmten in der Altstadt, im Kernbereich noch (!) Form und Inhalt überein. Gewiß, Salzburgs Altstadt ist größer, Rothenburg romantischer usw., aber die har monische Folge der Straßenräume und Plätze, die abgestimmten Flächen und Kuba turen, die formale Vielfalt in konsequenter Geschlossenheit, das wäre in Linz besich tigungswert. Mag sein, daß der Biergarten in Klosterhof die Erinnerung an Brüche, an Negatives etwas verschleiert hatte, daß die Gäste höflich zum Einheimischen sein wollten. Aber prinzipiell war die Diagnose gerechtfertigt. Im Folgenden werden anhand einiger Beispiele Einblicke in Qualitäten der Stadtgestaltung, in die Stadtbaukunst gegeben. Im Zuge von Jubiläumsfeiern ist es angebracht, ein wenig tiefer unter die übliche Oberfläche zu dringen.
Zum besseren Verständnis werden vorher in einem kurzen Überblick die geistigen Wurzeln und das Wesen des Siedlungstyps Stadt vorgestellt. Zum Wesen der Stadt Die Stadt der Frühzeit, der Antike fügte, indem sie Gestalt annahm, viele ver streute Organe des gemeinsamen Lebens zusammen und förderte innerhalb ihrer Mauern deren Zusammenwirken und Verschmelzung. Die gemeinschaftlichen Funktionen, denen die Stadt diente, waren wichtig; aber noch wichtiger waren die gemeinschaftlichen Ziele, die sich aus der lebendigen Art des Umganges und der Zusammenarbeit ergaben. Die Stadt vermittelte zwischen der kosmischen Ordnung, wie sie der prie sterliche Astronom offenbarte, und den zur Einheit strebenden Unternehmungen des Königtums. Jene nahm Gestalt im Tempel und seinem heiligen Bezirk an, diese in der Zitadelle und der sie umfassenden Stadtmauer. Die Stadt aktivierte bis dahin brachliegende Bestrebungen des Menschen und faßte sie in einem zentralen politischen und religiösen Kern zusammen; dadurch vermochte sie mit der gewaltig überschäumenden Schöpferkraft der jung steinzeitlichen Kulturen fertigzuwerden. Im Lauf der Entwicklung schufen die Herren der Stadt ein inneres Gefüge aus Ordnung und Recht, das der bunt zusammengewürfelten Stadtbevölkerung mittels bewußter Anstrengung etwas von der sittlichen Festigkeit und gegenseitigen Hilfsbereitschaft des Dorfes verlieh. Auf dem Schauplatz Stadt wurden somit neue Dramen des Lebens in Szene gesetzt. Den Verbesserungen müssen jedoch auch dunklere Seiten hinzugefügt wer den : Krieg, Sklaverei, berufliche Überspezialisierung und vielerorts eine beharrliche Hinwendung zum Tod. Die positiven wie die negativen Seiten der antiken Stadt sind jedem späteren städtischen Gemeinwesen in gewissem Maße weitervererbt worden. Dank der Konzentration physischer und kultureller Macht steigerte die Stadt das Tempo menschlichen Umgangs und gab seinen Erzeugnissen eine Form, die sich aufbewahren und nachbilden ließ. Mittels ihrer Denkmäler, Urkunden und wohlgeordneten Zusammenschlüsse erweiterte die Stadt den Bereich aller menschli chen Tätigkeiten und dehnte ihn in Vergangenheit und Zukunft hinein. Dank ihrer Speichermöglichkeiten (in Gebäuden, Archiven, Denkmälern, Inschriften, Büchern usw.) war die Stadt imstande, eine komplexe Kultur von Generation zu Generation weiterzureichen, denn sie verfügte nicht nur über die äußeren Mittel, sondern auch über die Personen, die nötig waren, dieses Erbe zu mehren und zu vermitteln. Das bleibt die größte Gabe unter allen Gaben der Stadt. Im Vergleich zur komplexen menschlichen Ordnung der Stadt wirken unsere heutigen erfindungsreichen elektronischen Maschinen, die Informationen speichern, verarbeiten und wiedergeben, plump und beschränkt.
Von der ursprünglichen städäschen Verschmelzung von Altar, Zitadelle, Dorf, Werkstatt und Markt haben alle späteren Städte ihre äußere Gestalt und ihr konstitutionelles Gefüge abgeleitet. Viele Teile des Gefüges sind noch heute wichtig für einen wirkungsvollen menschlichen Zusammenschluß, nicht zuletzt soweit sie ursprünglich aus Heiligtum und Dorf stammten. Ohne die tätige Teilnahme der Urgemeinschaft Familie und Nachbarschaft erscheint es zweifelhaft, ob sich die ele mentaren sittlichen Bindungen ohne Unterbrechung (mit bösen Folgen) von einer Generation zur nächsten weiterreichen lassen. Andererseits ist es ebenso zweifelhaft, ob die vielfältigen Formen der Zusam menarbeit, die sich nicht zur Abstraktion und symbolhaften Vergeistigung eignen, ohne die Stadt weiterhin gedeihen können, da sich nur ein Teil aller Lebensinhalte urkundlich festhalten läßt. Wenn nicht viele verschiedene menschliche Tätigkeiten und viele Erfahrungsgeschichten innerhalb eines begrenzten städtischen Bereichs sich überlagern und ständig genutzt werden, müßte sich ein allzu großer Teil des Lebens auf die Herstellung von Aufzeichnungen beschränken. Je ausgedehnter der Bereich menschlichen Umgangs und je größer die Zahl der Teilnehmer ist, umso größer ist der Bedarf an zahlreichen, jederzeit zugänglichen Orten, an denen man sich von Angesicht zu Angesicht begegnen und auf allen menschlichen Ebenen Umgang pflegen kann. Zuviel und zuwenig ist dem organischen Dasein gleichermaßen abträglich. Organismen, Gesellschaften und nicht zuletzt Städte sind empfindliche Systeme, die dazu bestimmt sind, die vorhandenen Kräfte zu regeln und in den Dienst des Lebens zu stellen. Die wichtigste Funktion der Stadt besteht darin, Macht in Form zu verwan deln, Energie in Kultur, tote Materie in lebendige Kunstwerke, biologische Vermeh rung in gesellschaftliche Schöpferkraft. Die positiven Funktionen der Stadt lassen sich nicht nutzen, ohne daß geeignete institutionelle Anordnungen geschaffen (oder erhalten) werden, welche mit den Kräften, über die der heutige Mensch gebietet, umgehen können. Einige Aspekte der Stadtgestalt Das Maß- und Proportionssystem So wie jedem guten Gebäude - ob bewußt oder unbewußt, sei dahingestellt und ist für das Ergebnis auch nicht wichtig - ein konsequentes Maßsystem zu grunde liegt und alle Teile wie das Ganze in sich und aufeinander abgestimmte har monische Proportionen besitzen, verhält es sich auch mit der Stadt. Das stadtkonsti tuierende Bauwerk war das Leitmotiv, dem die übrigen Baumaßnahmen zugeordnet wurden. Die Stadtgrenze, der Umriß, die Silhouette wurden zum Inneren in Bezie hung gesetzt, und umgekehrt wirkte das Innere nach außen. Das stadtkonstituierende Bauwerk - in Linz der Hauptplatz - wurde in sei nem Maßsystem von folgenden Überlegungen geprägt, im Lichte der mittelalterli-
chen Denkkategorien: durch das Verankern am konkreten geographischen Ort, die Hinweise auf das menschliche Maß und den Bezug zur kosmischen (göttlichen) Dimension. i m m m „Das Maß- und Proportionssystem" und „Das Prinzip Versammeln" Gleichzeitig war das Maßsystem in den konkreten Zahlen so gestaltet, daß es ideell sowohl als statisch, festverwurzelt, als auch als dynamisch, offen für Ent wicklungen und Veränderungen, betrachtet werden konnte. Der Turm des Rathauses teilt die Länge des Hauptplatzes nach dem Golde nen Schnitt: * a:b = 1:1,618 a:c =1,618:1 2a :d = 2,618:1 b:d = -/^:l Die Länge des Hauptplatzes verhält sich zur Breite wie die geographische Breite zur geographischen Länge von Linz.
Das Verhältnis von Länge und Breite des Platzes ergibt mit 3,33 eine Zahl, die sich auf einige mathematisch interessante Arten darstellen läßt. Das Prinzip Versammeln Die viel später als Hauptplatz und Stadt errichtete Dreifaltigkeitssäule steht zwar nicht in der Mitte des Platzes, bildet aber den Mittelpunkt für konzentrische Kreise, die die Türme als bauliche Dominanten berühren. Die Radien der Kreise sind aus den Grundmaßen des Hauptplatzes abgeleitet. Somit „versammelt" sich die (Alt-)Stadt um ein bauliches Zentrum, erfährt von ihm seine Wirkungen und bezieht sich wieder auf dieses Zentrum zurück. Geschlossenheit Platz- und Straßenräume werden durch entsprechende Stellung der Gebäude und der Häuserblocks für das Auge geschlossen und in eine Folge ver schieden gestalteter Räume zusammengefügt. Die Flächen und Entfernungen blei ben überschaubar, ein Blick in Straßenfluchten, ein „Ausrinnen" der Plätze wird unterbunden. „Geschlossenheit"
Freihalten der Mitte Wenn man auf einem Platz alle möglichen Gehverbindungen zwischen den einmündenden Straßen und Gassen darstellt, so bleiben bestimmte Flächen ausge spart. Diese Flächen eignen sich als Standorte für Monumente, Brunnen, Markt stände usw. Die wichtigsten „Platzmöbel" stehen auf jenen Flächen, um die die mei sten Wegeverbindungen anzutreffen sind. Die Ausgestaltungselemente dürfen Fußgängerverbindungen nicht behin dern. „Freihalten der Mitte" Wegführung und Orientierung Die Fassadengestaltung und die differenzierte Sichtbarkeit von Dominanten (die Türme) ermöglichen ein sicheres Auffinden des Stadtzentrums und der wichtig sten Gebäude. Die sichtbaren Turmspitzen sind so gestaltet, daß sie im Verlauf des Weges nicht verwechselt werden können. Trotz optischer Geschlossenheit der Stra-
ßen- und Platzräume erfolgt durch verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten an den Fassaden der raumschließenden Gebäude für den Beobachter die Information über zu erwartende und mögliche Wegebeziehungen. Zur näheren Erklärung des Prinzips Orientierung werden einige Situationen in der Linzer Altstadt näher untersucht. Beginnen wir mit der Straßenkreuzung Klosterstraße - Altstadt vor dem Nordportal des Landhauses. Wir beschreiten, von der Theatergasse kommend, den Weg zum Hauptplatz (Abb. 1 und 2). Da der wichtigste Weg von der Straßenkreu zung zum Hauptplatz nach rechts schwenkt, wird dies auch in der Fassade des raumschließendenGebäudes KlosterstraßeNr. 18 dargestellt:Die Steigerungnach rechts von der Stiege über die steigenden Höhen der Traufen der Erker bzw. Vor dächer bis zum Kulminationspunkt des Turmes der Minoritenkirche. Auch die Fensterachsen werden nach rechts zu enger in ihren Abständen. Die Fassade der Minoritenkirche und der Turm führen den Blick in die Klo sterstraße, die (aufgrund der Perspektive) sich verkürzenden Abstände der Fenster achsen begleiten den Weg (Abb. 3). Der Weg nach links von unserem Blickpunkt aus zum Alten Markt wird durch das Gebäude Altstadt Nr. 17 / Klosterstraße Nr. 20 aus der Wegachse heraus soweit markiert, daß die Information über die Möglichkeit und allerdings etwas geringere Bedeutung der Wegebeziehung gegeben ist. „Wegführung und Orientierung"
Höhenstaffelung nach rechts aufwärts j Fensterachsen nach rechts enger ■ fTfXnlhn stiege nach rechts aufwärts 1 rechts vom Zielpunkt Kirchturm als Ziel- und Merkpunkt, Angelpunkt Gebäudemittelerker als Zielpunkt fü Theatergasse
Abbildung 2 \\ \ ^ Wenn man von der Minoritenkirche weitergeht in Richtung Hauptplatz, wird die Übereinstimmung zwischen äußerer Form und städtischer Struktur wieder dargestellt. Da der Hauptplatz als Zielpunkt unseres Weges vom Betrachter aus gesehen links von der Achse der Klosterstraße liegt, muß auch die Sprache der Fas saden und Gebäude dies deutlich machen. Bezogen auf die Wegachse der Klosterstraße liegt der schmale, hohe Erker des Hauses Hauptplatz Nr. 28, das gleichzeitig für den Betrachter den Straßenraum der Klosterstraße abschließt, links von dieser Achse, ebenso der Breiterker. Auch öffnet sich die linke Straßenfassade der Klosterstraße früher als die rechte, die in die südliche Platzwand des Hauptplatzes übergeht. Der Nebenweg zum Alten Dom wird durch das Öffnen einer Sichtbezie hung in die Domgasse angedeutet und durch gleiche Fensterachsabstände links und rechts vom Mittelerker als zweitwichtigster Weg bewertet. An der unmittelbaren Einmündung der Klosterstraße in den Hauptplatz wird auch die Turmspitze der Stadtpfarrkirche wieder sichtbar (Abb. 4), die Orien tierung nach links wird bestätigt und gesteigert. Der Weg zur Stadtpfarrkirche selbst wird sehr deutlich durch den Anfang der Pfarrgasse dargestellt (Abb. 5). Zwei Erker, wenn auch kaum aus der Platzwand heraustretend, so doch durch Form und Fensterachsen ausreichend merkbar, säu men die Wegachse zur Stadtpfarrkirche, wobei sich auch die sichtbare Kirchturm spitze für den Fußgänger von der Klosterstraße her (direkter Weg über den Platz) für sehr lange Zeit scheinbar genau in der Mitte zwischen den beiden Erkern befindet.
Gebäudehöhendifferenz begleitende Wegführung Sequenzgliederung ■ Angelpunkt i 1 Fassaden Wechsel
Vom Mittelerker aus gleichlaufende Fensterachsen nach links und rechts, Verstärkung der Linksrichtung durch Breiterker und durch leicht links von der Erkerachse liegende Erkerfensterachse. Abbildung 4
=fSäl;; la &, • ä 11 PP PSw ^ ! Ii I rn r;rU ppfii s f3 ^ , i RFensterachsen nach links engerer Abstand 130 ii
Das wichtigste Gebäude am Hauptplatz, das Rathaus, liegt vollkommen ein geordnet in der östlichen Platzwand. Diese strenge Form der Fassaden begrüridet den Saalcharakter des Hauptplatzes, freilich geschwächt durch die zu große Öff nung zur Nibelungenbrücke und die viel zu starke Höhendifferenzierung des Bodens. Trotzdem ist das Rathaus eindeutig durch seinen Eckturm erkennbar (Abb. 6). Im Grundriß ist er kaum größer als die übrigen größeren Erker in der Alt stadt, er bezeichnet ebenso eine Straßeneinmündung (Rathausgasse). Aber er erhebt sich als einziger über die Traufe der Gebäude um ein knappes Geschoß, aber hoch genug. Der Rathausturm, Anfang des 16. Jahrhunderts errichtet, ist übrigens der ein zige sichtbare Bauteil, der sich aus dieser Zeit erhalten hat. Durch die gestalterische Einmaligkeit des Eckturmes ist auch die besondere Bedeutung des Hauptbauwerks gesichert. Deshalb ist verständlich, warum kein zweites Haus am Hauptplatz einen gleichen oder ähnlichen turmartigen Erker oder Eckturm aufweisen kann. Abbildung 6 Foto: Christian Schepe Von besonderer Bedeutung ist auch der Weg zwischen Hauptplatz und Schloß. Die Sichtbeziehung aus der Hofgasse in Richtung Hauptplatz bestätigt wie der den Turm der Stadtpfarrkirche als Orientierungsschwerpunkt, der Rathausturm schließt das räumliche Sichtfeld ab und ist zugleich Zielpunkt des Weges (Abb. 7). Beim Beschreiten des Weges vom Hauptplatz zum Schloß werden die bisher aufgezeigten Gestaltelemente erneut deutlich: An der Einmündung der Hofgasse der Erker (Abb. 8), der sichtfeldbezogene Abschluß des Straßenraumes durch das Gebäude Altstadt Nr. 2, die an diesem Gebäude sichtbare Rechtsorientierung (Fen sterachse nach rechts enger, Erker rechts von der Wegachse, die Straßenfassade der
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[H- nüt. ■* ii il Ei M 1 lES • -'«f* A Foto: Christian Schepe Abbildung 9 Foto: Christian Schepe Hofgasse öffnet rechts früher, Abb. 9). Beim Weitergehen gibt das räumliche Sicht feld den Aufgang zum Schloß frei (Abb. 10), und am Beginn des kleinen Platzes, als Höhepunkt der Sequenz, die beidseitige Einsäumung des Weges Am Hofberg durch die Erker (Abb. 11). Durch die Höhendifferenz der beiden Gebäude wird sogar - unbewußt - die Richtung bergauf zum Eingang des Schlosses angedeutet. Auch der Turm des Landhauses ist für etliche Wege in der Stadt zur Orien tierung geeignet. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch der Umstand, daß der Turm aus der Sicht der Herrenstraße Richtung Landhaus nach der Krümmung des Straßenverlaufes immer weiter mit seiner Achse in die Wegachse rückt (Abb. 12 und 13), um schließlich die Lage des Hauptzuganges zum Landhaus zu vermerken. Etwas verwirrend ist zunächst die Stellung des Landhausturmes aus der Blickrichtung Altstadt (Abb. 14). Der Turm bezieht sich aber auf das Landhaus selbst und nicht auf die heutige Situation, den Gesamtkomplex der Bauten der Lan desregierung, in den auch das ehemalige Minoritenkloster einbezogen ist. Als letztes Beispiel wird das Gefüge von Waltherstraße und Hafnerstraße mit dem Neuen Dom als Orientierungsschwerpunkt angeführt (Abb. 15, Waltherstraße, Blick nach Süden). Obwohl in der heutigen Form viel später als der Bereich der Linzer Altstadt entstanden, entspricht das Viertel in gleicher Weise den genannten Kriterien der
pif* eW'ifilj Foto: Christian Schepe Abbildung 11 Foto: Christian Schepe Abbildung 15 Foto: Christian Schepe Wegführung und Bezeichnung der Zugänge zum Hauptbauwerk. Die feinfühlige und unaufdringliche Orientierung über die Gestaltung der Fassaden ist aber nur mehr in abgeschwächter Form vorhanden.
Wegziel, Raumabschluß Räumliche Geschlossenheit durch gedeckte Ecke Erker, Gasseneinmündung Sequenzmarkierung Sequenzmarkierung I Sequenzmarkierung ! S i
Zusammenfassend können die folgenden Gestaltelemente, die für Wegfüh rung und Orientierung maßgebend sind, genannt werden: Die Fensterachsen der Fassaden, Erker, Anbauten, Vorsprünge oder Rücksprünge, Veränderungen der Traufhöhe, Wechsel in der Fassadengestaltung und im Rhythmus der Fensterachsen, Türme oder sonstige markante Gebäudeteile, die über die Traufen bzw. Dächer der am Weg befindlichen Gebäude hinausragen und deren Systemlinien im Verhältnis zur jeweiligen Mittelachse des Weges. Es darf angefügt werden, daß alle diese Grundsätze in ihrer Anwendung nicht nur in der Linzer Altstadt festgestellt werden können, sondern in vielen mittel alterlichen und frühneuzeitlichen Stadtanlagen. Stadtbaukunst bedeutet also nicht nur, in sich formal schlüssige und wohl proportionierte Gebäude zu errichten, es geht auch um die Stellung dieser Gebäude zueinander in Ubereinstimmung mit der inneren und äußeren Funktion der Straßen und Plätze. Es ist auch entscheidend, daß die raumbildenden Elemente eine Vielzahl von Informationen speichern, die für jeden Betrachter unterschiedlich sichtbar wer den, dem ständig Beobachtenden immer wieder neue Facetten aufzeigen. Diese Grundsätze sind auch mit heutiger Architektursprache zu ver wirklichen. Literaturverzeichnis Braunfels, Wolfgang: Abendländische Stadtbaukunst. Köln 1976. Breitling, Peter: In der Altstadt leben. Graz 1982. Breitling, Peter: Was heißt und zu welchem Ende studiert man Städtebau? Graz 1977. Brunner, Othmar: Fenster, Türen, Breiterker. In: Oberösterreich-Kulturzeitschrift, 36. Jg., Heft 4/1986, Linz 1986. Dimitriou, Sokratis: Stadterweiterung von Graz. Graz, Wien 1979. Gebhard, Helmut: System, Element und Struktur in Kernbereichen alter Städte. Stuttgart, Bern 1969. Gebhard, H., Breitling, R: Alte Stadt heute und morgen. Gestaltwert und Nutzen alter Stadtkerne. Mün chen 1975. Gruber, Karl: Die Gestalt der deutschen Stadt. München 1914 und Leipzig 1937. Guidoni, Enrico: Die europäische Stadt. Stuttgart 1960. Knapp, Werner: Landbaukunst. Wege zu bewußtem Gestalten. Stuttgart 1951. Krier, Rob.: Stadtraum in Theorie und Praxis. Stuttgart 1975. Lynch, Kevin: Das Bild der Stadt, Braunschweig 1975. Mumford, Lewis: Die Stadt. Geschichte und Ausblick. München 1979. Naredi-Rainer, Paul von: Architektur und Harmonie. Köln 1984/2. Norberg-Schulz, Christian: Genius Loci. Stuttgart 1982. Peters, Paulhans: Stadt für Menschen. München 1973. Simon, Hans: Das Herz unserer Städte. 6 Bände: Essen 1963, 1965, 1967, 1974, 1980,1981. Sitte, Camillo: Der Städtebau nach seinen künstlerischen Grundsätzen. Wien 1901,1972. Tessenow, Heinrich: Geschriebenes. Gedanken eines Baumeisters. Wiesbaden 1982. Sämtliche Zeichnungen stammen vom Verfasser.
Wiener Plastiker des späten 19. Jahrhunderts in oberösterreichischen Friedhöfen Von Alfred Mühlbacher-Parzer ^A^erke der Grabskulptur „zählen zu den ältesten und auch bedeutendsten künstlerischen Leistungen der Mensch heit."^ In der klassischen Antike durften die Toten nur außerhalb der Stadtmauern beigesetzt werden, während im Frühchri stentum der Kirchenraum zum Bestat tungsort wurde, und zwar möglichst in der Nähe des Altars, d. h. dem Platz des Märtyrergrabes. Diese Kirchenbestat tung - das Vorrecht gewisser Schichten - wurde im 18. Jahrhundert aufgegeben. In der Antike gab es - abgesehen von der Stele - zwei wesentliche Anlagen: das Mausoleum und den Sarkophag. Im Mittelalter kam es zu einem weitgehen den Verzicht auf den Sarkophag (und damit zum Aufgeben der Grabplastik), da aus Platzgründen bei der Kirchenbe stattung ein neuer, spezifisch mittelalter licher Grabmaltypus entstand: die Grab platte (niveaugleich mit der Bodenfläche verlegt). Erst aus der skulptierten Grab platte (II. Jahrhundert) kam es über Flachrelief und Hochrelief zur Statue. Durch Anheben über das Fußboden niveau entstanden Tumha und Tischgrab (besonders in der Hochromanik und Gotik). Wandel der Todesanschauung Die wesentliche Voraussetzung der Grabmalplastik liegt im Wandel der To desanschauung: - Für das Mittelalter gilt das „Memento mori" - der Tod als Ende und Schranke des Menschlichen und Irdi schen. - In der Barockzeit will der Mensch über den Tod triumphieren und „im Bilde" (in effigie) weiterleben. - Der Klassizismus will den Tod be wältigen helfen („der verdrängte Tod"): der Tote ist der „Entschlafene". Das Grab mal wird das bevorzugte Todesmotiv! Neben die christliche Deutung des To desgeschehens treten Bilder aus der grie chischen und römischen Mythologie. Statt des figürlichen Schmuckes kom men symbolische Andeutungen: Pyra mide, Obelisk, Auge im Dreieck. Weiters finden wir den Genius mit der verlö schenden Fackel. Mit dem Abschieds motiv kommen verhüllte Frauengestal ten. - Die Romantik (die „Nachtseite" nach der Tageshelle des Klassizismus) sucht die Rechtfertigung des Todes („der verherrlichte Tod"). Dabei wird auch der „Tod für das Vaterland" verherrlicht! An stelle des Grabmals tritt der Friedhof als „melancholische Gattung von Gärten" (Theorie der Gartenkunst, Hirschfeld, 1775). - Im 19. Jahrhundert wird der Grab malkult zum Denkmalkult: Das Grab denkmal wird eine der zentralen künstle rischen und gesellschaftlichen Aufgaben des Historismus. ' Kitlitschka, Grabkult - Grabskulptur, S. 7.
Hinsichtlich der plastischen Ausfornaung lassen sich einige Gattungen her ausstellen: Die Trauernde: Als sitzende Frauenge stalt - als Frau mit Urne - Rosen streu end. Christusstatuen: Von Bedeutung ist der „Thorvaldsen-Christus" (1819) von Bertel Thorvaldsen (1770-1844). Es ist ein segnender Christus - verstanden als Wesensdarstellung Christi. Davon gibt es zahlreiche Variationen - auch die späte „Herz-Jesu-Darstellung" zählt dazu. Kruzifixe wurden in vielen Variatio nen als Hochkreuze oder Grabkreuze verwendet. Engeldarstellungen: Im Gegensatz zum Protestantismus gibt es eine Erhöhung des Engelkultes in Angleichung an die Heiligen Verehrung: Totenauferstehungs engel mit der Posaune - betende Engel - Blumen streuende Engel - für Anmut und Unschuld stehen Putten und geflü gelte Engelsköpfchen. Madonnen mit Jesuskind und als Pietä. Szenische Gruppen (Kreuzigung, Aufer stehung) sind selten. Das Grabmal als Denkmal Es geht um die Manifestation des tief eingewurzelten menschlichen Bedürfnis ses, die Vergänglichkeit allen Lebens durch Erinnerung zu überwinden. Der Schritt zum Grabdenkmal geht konform mit der Situation des Denkmals im 19. Jahrhundert. Es besteht ein Zusam menhang mit der Selbsthuldigung des Bürgertums und dem Herausstellen ei nes Menschenbildes, das durch Leistung und innere Größe bestimmt ist. Dies heißt schließlich: das private Grabmal wird zum öffentlichen Denkmal. So entstehen aufwendige Familien grüfte und Arkadenanlagen im Zusam menhang mit bedeutenden Familienun ternehmen (Werndl und Holub in Steyr), aber auch die Kriegerdenkmäler - in ih rer heroisierenden Ausgestaltung bis in die Zwischenkriegszeit reichend - sind dazuzuzählen. Die Ausformungen sind verschie den: Die Vollplastik (Tumba) ist selten; häufig ist das Büstendenkmal auf hohem Sockel; Kopfplastik und Porträtrelief über wiegen. Zusammenfassend ist festzuhalten, daß das „Jahrhundert des Denkmals" mit seiner Denkmalwut aus den zeiteigenen Denkformen zu verstehen ist. Man denke auch an die Begriffe „Dichterfürst" oder „Malerfürst"! An den Anfang wird in Wels die Gruft Koffer (1910) gestellt: Wandpyra mide der bedeutenden Welser Patrizierfamilie.^ Die Beziehung zu Canova (Grabmal der Maria Christina, Gemah lin des Herzogs Albert von SachsenTeschen..., „Albertina"!)^ ist nicht nur of fensichtlich gegeben, sondern laut Mit teilung der Grufthalterin von den Erstbe- ^ Vgl. dazu Alfred Mühlbacher-Parzer, Grabbau ten, Gruftkapellen und begehbare Grüfte in Oberösterreich. In: OO. Heimatblätter, Jg. 45, Heft 2, 1991, S. 120 f. ^ Antonio Canova (1757-1822) war der bedeu tendste Bildhauer des Klassizismus - allbe kannt ist „Amor und Psyche" (1793, ParisLouvre). Das Grabmal für Maria Christina geht zurück auf ein Modell (1795) für ein TizianGrabmal in der Frari-Kirche in Venedig, das nicht zur Ausführung gekommen war. Auch das Grabmal für Canova selbst nahm dieses Modell zum Vorbild. Da er in seiner Heimat stadt Possagno (Treviso) bestattet liegt, handelt es sich beim Canova-Grab in der Frari-Kirche, Venedig, um einen Marmorkenotaph. (ThiemeBecker)
Wandgruft Koffer (1910) in Wels. Foto: A. Mühlbacher-Parzer sitzern auch geplant gewesen. Daher gel ten auch dieselben Bezüge: die unmittel bare Nähe zum Betrachter durch die nie deren Stufen anstelle eines Sockels. Durch den Verzicht auf einen Sarko phag erhält die Pyramide mit ihrem Ein gang die ursprüngliche Funktion eines Grabbaues. Die Konzeption der Gruft Koffer stammt vom Tilgner-Schüler Fritz Zerritsch d. Ä. (1865-1938) - Zerritsch arbei tete acht Jahre im Atelier Tilgners und übernahm dieses nach dessen Tod (1896). Gegenüber der Vielzahl an Figu ren bei Canova gibt es hier eine einzige Frauengestalt im Chiton, die - mit der rechten Hand zur Tür weisend - zum Be trachter herausblickt. Statt des Medail lons an der Pyramidenspitze ist hier ein Kreuz, das vom Ouroboros umfangen wird. An der rechten Seite ist eine dra pierte Urne mit Blütenkranz aufgestellt. Links steht eine Marmorbank mit volutenförmigen Armlehnen. Ein Sammelplatz von Wiener Arbei ten ist der Tabor-Friedhof in Steyr, und zwar bedingt durch die erwähnte Manifesta tion der Denkmalwürdigkeit. Zentralfi gur war der „Waffenkönig" Josef Werndl - - - - A In das geöffnete Tor der flachen Wandpyramide schreitet - von zwei Mädchen mit Totenfackeln begleitet - die Tugend mit der Urne. Ihr folgt die Wohltätigkeit, einen blinden Greis am Arm führend. Rechts erscheint ein geflü gelter Genius neben dem trauernden Lö wen mit dem sächsischen Wappen. Oben trägt der Genius der Glückse ligkeit das Medaillon der Toten. il Gruftanlage Josef Werndl (1890) in Steyr. Foto: Kranzmayr, Steyr
(1831-1889), der mit V. Tilgnei^ befreun det war und diesen nach Steyr verpflich tete (Werndl-Grabstätte, Werndl-Denkmal auf der Handel-Mazzetti-Promenade, Denkmal A. Bruckners, 1898). Werndls Töchter - Anna, Gräfin von Bamberg, und Karoline, Freiin von Imhoff - ließen das Grabmal von Viktor Ti/^ner errichten; Die Freianlage (2. Fried hof, Feld) - hinsichtlich der plastischen Gestaltung eine der schönsten Grüfte - besteht aus einer Berggalerie mit einer Grabhöhle, aus welcher der antike Marmorsarkophag vorsteht. An diesen sind die beiden Töchter gelehnt. Anna blickt zum - schon lange verschollenen - Por trätmedaillon der verstorbenen Eltern, während Karoline den Kopf schmerzer füllt auf ihre Schwester legt. Vor dem & 1»* 1 Gruftdeckel steht eine Betbank aus wei ßem Marmor. Bei den organisch aufge faßten menschlichen Figuren sehen wir das Ringen um einen klassischen Stil, dem die Errungenschaften des barocken Illusionismus integriert sind. Eine Groteske um dieses Grabmal gab es in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg: Man fand heraus, daß diese letzte Ruhestätte kein Ehrengrab sei und daß eine Nachzahlung der Grabgebüh ren ab 1889 zu verlangen wäre. Der Name dieses Schildbürgers kam nie an die Öffentlichkeit. Ein Großneffe des verstorbenen fegte die Sache vom Tisch. Im Sog Viktor Tilgners stehen wei tere Wiener Plastiker: Für Ludwig Werndl (Bruder Josef Werndls, 11888) gestaltete Otto König (1838-1920) - 30 Jahre Profes sor an der Kunstgewerbeschule in Wien - die von der Fa. Turbain in Bronze ge gossene Christusfigur: Auf einem Block aus Untersberger Marmor liegt der vom Kreuz abgenommene Erlöser. Maria beugt sich über den Leichnam, aber nicht von Gram gebrochen, sondern er haben in ihrem Schmerz. Die Bespre chung aus dem Jahre 1911 spricht „von der modernen Auffassung, wobei die alte Uberlieferung verworfen wurde, daß Christus nach der Kreuzabnahme in den Schoß der Mutter gelegt wurde"® (2. Friedhof, Sektion II). Von der fland Josef Tautenhayns (Tautenhayn d. Ä., 1837-1911) stammt die Ghristusstatue für Eduard Werndl (t 1917) - signiert „Tautenhayn 1894". Die für den Gruftanlagt Josef Werndl (1890) in Steyr. Foto: Kranzmayr, Steyr ^ Viktor Tilgner (1844-1896) war bevorzugter Porträtist der Wiener Gesellschaft. Es speiste seine Schöpfungen aus der zeitgenössischen französischen Plastik, aus Raphael Donner und Hans Markart. ' Linzer Volksblatt, 1911/44.
I H'' I Wandgrufl Ludwig Werndl (1888) in Steyr. Foto: A. Mühlhacher-Parzer Raum zu große Statue ist aus feinem Sandstein. Sie steht inmitten einer schlichten Renaissance-Architektur. Als Motiv dient der Vers der Bergpredigt: „Selig sind die Trauernden, denn sie wer den getröstet" (Mt. 5,4). Von Anton Paul Wagner (1834-1891) ist die plastische Gestaltung der Gruft Sommerhuher (1880/1915): Gedrungene, längs geriefte Pilaster mit Korbkapitellen tragen einen Halbkreisbogen in welliger Konfiguration (man denkt an Rudolf Steiner). Der Bogen trägt - nach Art ei nes Schlußsteines - ein Kreuzrelief mit Sonnenstrahlen. Die Bogennische wird von einem Bronze-Rundrelief (signiert „A. Wag ner"), das von einem ornamentalen, reliefierten Kreis umschlossen ist, ausge füllt. Das Relief zeigt eine Pietä, davor Wandgruft Eduard Werndl (1917) in Steyr. Foto: A. Mühlbacher-Parzer zwei Engel mit Kelch. Die Decke und die begrenzenden Arkadenpfeiler tragen Fresken mit Renaissancemotiven (1. Friedhof, Sektion I). Die Gruft Reder (1. Friedhof, Sektion II) wird beherrscht von einem großen Bronzerelief (signiert: „A. Düll fecit 1886").^ Der Auferstehungsengel schwebt hernieder und hebt die Schlum merdecke weg. Staunend sieht der Jüng ling die Gestalt. Plastisches und Maleri sches ist hier in Pathos umgesetzt. Die prägnante Ausmodellierung von Ge wand und Gebärde verrät den reifen Späthistorismus. Der Aufbau ist aus Carraramarmor. Alois Düll (1843-1900) war bis 1879 Leiter der allgemeinen Bildliauerschule in Wien. (ThiemeBecker)
i . T-r—■■.—r—iiy'iyitf^ . ■--i - • ' ■-•V .1 ; #;■ re äS^iTBc Wandgruft Sommerhuber (1880) in Steyr. " - - ; ¥olo: Kranzmayr, Steyr Den Guß besorgten C. Turbains Söhne - ein kleines Unternehmen in Konkurrenz zur k. k. Kunsterzgießerei/ Eine Grabplastik in Sierning - einer Nachbargemeinde von Steyr - ist nicht eindeutig identifizierbar (die heute 92jährige Grufthalterin konnte keine An gaben machen). Es handelt sich um die Bronzeplastik der Gruft Christ: Eine alle gorische Frauengestalt schreibt „Ruhet sanft" an die Wand. Die Qualität einer seits, die Nähe zu Steyr und die Tatsa che, daß verschiedene hier Bestattete in Steyr in gehobener Position tätig waren andererseits, läßt einen Künstler des Wiener Kreises um Tilgner (ipse?) an nehmen. Eine von der Interpretation her inter essante Figurengruppe zeigt die Gruft Poche am St.-Barbara-Friedhof in Linz Wandgruft Reder (1886) in Steyr. Foto: A. Mühlhacher-Parzer Diese Gruft ist im „Thieme-Becker" unter den Werken Dülls namentlich erwähnt.
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(Sektion XXX, Wand): Es ist eine symbo lisch-allegorische Darstellung des Ab schiedes und Hinüberganges in die Welt des Todes. Zum Problem wird die zu rückblickende Frauengestalt: Das Ab schiedsthema griechischer Stelen wird hier übernommen, wie es schon Thorvaldsen im Grabrelief für Gräfin Borkowska (1816) vorweggenommen hatte.® Die Lösung gibt die Gruft Schmid in St. Pölten (1911): Dort ist die Gruppe noch um eine gramgebeugte Kniende und ein sich umschlungen haltendes Paar (die Kinder) in Blickrichtung der Frau erweitert. Die Plastik schuf Wilhelm Frass.^ Die zweifigurige Kunststeinversion von Linz findet sich noch einmal im Hietzinger Friedhof in Wien. ® Vgl dazu Römisches Jahrbuch für Kunstge schichte, Bd. XII, 1969. ' Wilhelm Frass, gebürtiger St. Pöltner (18861968), absolvierte seine Studien (mit Unterbre chung durch den Ersten Weltkrieg) in Wien und hatte 1919 ein Staatsatelier im Prater. Sein erster Großauftrag war das fünffigurige Hochrelief in Marmor für Prim. Dr. Schmid in St. Pölten (1909). Von Frass stammt auch die Plastik „Der tote Soldat" im Heldendenkmal im Wiener Burgtor - sie inspirierte Josef Weinheber zu sei nem Gedicht „Die Gefallenen". Literaturverzeichnis Aries, Ph.: Studien zur Geschichte des Todes im Abendland (München 1982). „Die letzte Reise", Ausstellungskatalog (München - Stadtmuseum 1984). Kasseler Studien zur Sepulkralkultur (Band 1-4, Kassel 1979-1986). KüUtschka, .W: Grabkult & Grabskulptur in Wien und Niederösterreich (St. Pölten 1987). Krause, .W: Die Plastik der Wiener Ringstraße (Die Wiener Ringstraße, Band IX, Wiesbaden 1980). Memmesheimer, .P A.: Das klassizistische Grabmal (phil. Diss., Bonn, Rheinische Friedrich-WilhelmUniversität, 1969). Mitteilungen der Österr. Galerie (1971, Beitrag: W. Frass). Mühlbacher-Parzer, A.: Beiträge zur Sepulkralkunst des 19. Jahrhunderts in Oberösterreich. Grab und Grabmal (Salzburg 1988. Ungedruckte Diss. an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der ParisLodron-Universität). Oberösterreich: Kulturzeitschrift (29. Jg. 4/1979, Bei trag: Jos. Werndl). Römisches Jahrbuch f. Kunstgeschichte (Band XII, 1969, Beitrag: Die Genien des Lebens und des Todes). Schweizer, ].: Kirchhof und Friedhof (Linz 1956). Thieme-Becker: Allgem. Lexikon der bildenden Künstler (37 Bände, Leipzig 1907-1950).
Der Dreiradler im Mühlviertel Bericht über den Bau, den Nutzen und das langsame Verschwinden eines imgewöhnlichen Fahrzeuges Von Hans Falkenberg Als ich Ende der 60er Jahre zum er sten Mal durch das Mühlviertel fuhr, be geisterten mich nicht nur die unberührte Landschaft und die malerischen Orte. Neben Mähdreschern und Traktoren gab es Leiterwagen, von Pferden gezo gen, und Bauern, die mit Pferden oder Ochsen pflügten. Die Mechanisierung der bäuerlichen Welt war in vollem Gang, aber noch sah man in vielen Dör fern und Ortschaften Arbeitsgeräte der traditionellen Wirtschaftsformen im täg lichen Gebrauch. Das Mühlviertel gehört zu den an mutigsten Landschaften Oberöster reichs. Für Jahrhunderte lag es abseits der großen Verkehrswege, holte den Rückstand in den Jahrzehnten seit dem Zweiten Weltkrieg aber schnell auf. So gehört heute ein Pferdefuhrwerk zu den seltenen Anblicken auf den Mühlviertler Straßen.^ Es gibt nicht viele Arbeiten über bäu erliche Arbeitsfahrzeuge in der volks kundlichen und technischen Literatur.^ Sie werden meist in Werken über bäuer liche Geräte und den Fahrzeugbau be schrieben. Eine erfreuliche Sonderstellung nimmt in der so spärlichen Dokumentie rung das Mühlviertel ein. Der Wissen schaftler Olaf Bockhorn' bearbeitete sy stematisch die Wagen und Schlitten die ser oberösterreichischen Bezirke Ende der 60er Jahre. Das Ergebnis veröffent lichte der Oberösterreichische Museal verein 1973 und 1978.'' Die Fülle der damals noch vorgefun denen Fahrzeuge ergab eine umfassende Bestandsaufnahme, bevor sich die weit fortgeschrittene Mechanisierung und Motorisierung endgültig durchsetzte. Heute, 25 Jahre später, könnte eine so materialreiche Arbeit nicht mehr ge schrieben werden. Die erstaunliche Ausnahme von den in diesem Vierteljahrhundert ver schwundenen Wagen bildet der Mühl viertler Dreiradler, das letzte eisenbe reifte Holzfahrzeug, schmucklos, klobig. Die „Mühlviertler Rundschau" veröffentlichte am 4. 7. 1991 ein Foto mit dem Titel „Heuernte mit einem PS" als wissenswerte Information. Es zeigt einen pferdegezogenen, heubeladenen Leiterwagen. In der gleichen Ausgabe wird ein Traktor abgebildet: „Feldarbeit anno dazumal". Die Aufnahme stammt von 1958 und brachte dem Einsender ein Honorar von 100 Schilling ein. Ältere Geräte der landwirtschaftlichen Me chanisierung sind bereits museumsreif. ' Für die Dokumentation aus der Nachkriegszeit in Osterreich seien u.a. genannt: Karoly Gaal, Karl Haiding, Helmut Prasch, Franz Simon, für Bayern Wolfgang Beck, Jürgen Heinrich Mestemacher, Helmut Sperber, Torsten Gebhard (s. Literaturverzeichnis). ' Dr. Olaf Bockhorn ist am Institut für Volks kunde an der Universität in Wien tätig. ' Olaf Bockhorn, Wagen und Schlitten im Mühl viertel, Bd. 1 Linz 1973, Bd. 2 Linz 1978.
mit hohem Rollwiderstand, nicht lenk bar. Wohl niemand unternahm den Ver such, ihn mit kugelgelagerten Luftreifen zu versehen oder gar den fiolzaufbau durch Blech zu ersetzen. Der kleine Wa gen bleibt, wie er immer war: vernünftig, freundlich, nützlich, friedlich. Wer mit wachen Augen durch das obere Mühlviertel fährt, entdeckt beson ders im südlichen Teil des Bezirkes Rohrbach das urtümlich wirkende Fahr zeug gelegentlich neben einem Bauern hof oder auf einem Acker. Welche Auf gaben erfüllte oder erfüllt es? Alle ande ren bäuerlichen Fahrzeuge mit eisenbe schlagenen Holzrädern verschwanden fast völlig von den Mühlviertier Straßen und Feldern. Der „Gummiwagen", der Wagen mit Luftreifen, hat sie verdrängt. Mit dem schnellfahrenden Traktor konnten hölzerne Fahrzeuge nicht Schritt halten. Sie waren für den Zug durch Pferde konstruierf oder für ge mächlich schreitende Ochsen. Traktoren benötigen stabilere Anhänger mit eiser nem Traggestell und leicht laufenden, elastischen Rädern. Es besteht der Eindruck, daß der Wandel des bäuerlichen Transportwe sens im oberen Mühlviertel am Dreirad ler vorbeiging.' So leben und arbeiten heute hochtechnisierte Mähdrescher ' Westlich der Kleinen Mühl heißt der Dreiradler meist Kotwagerl, wohl vom Mistfahren so be nannt. Der Einfachheit halber wird in diesem Bericht nur vom Dreiradler gesprochen. '1^ » ^ . ■ "V." ' Steintransport bei Pfarrkirchen im Mühlviertel, Sommer 1990. Eigentümer des Dreiradlers: Karl Scherrer, Gastwirt. Foto: Hans Falkenherg
vj Ein ungewöhnlicher Fahrzeugzug. Hinler dem Traktor ein zweirädriger Hänger, dann ein vierrädriger Lei terwagen, gebaut vor 1918 als Trainfahrzeug der k. u. k. Armee, zum Schluß der Dreiradler, Kartoffelklauhen, Herbst 1990, Nähe Niederkappel. Foto: Hans Falkenberg und Heulader, leistungsstarke Traktoren und große Anhänger mit dem kleinen dreirädrigen Fahrzeug auf einem Hof, ein schönes Beispiel für die „Gleichzei tigkeit des Ungleichzeitigen". Was ließ diesen Dreiradler bis heute überleben, was läßt ihn langsamer ster ben als seine Gefährten aus der Zeit vor der Mechanisierung? Selbst ein „ökolo gisch" wirtschaftender Bauer, um diesen noch sehr unscharfen Begriff zu verwen den, muß mit modernen Maschinen und Fahrzeugen arbeiten, wenn sein Betrieb am Markt bestehen will. Dreirädrige Wagen, ob mit oder ohne Motor, bleiben in der Fahrzeug technik Einzelerscheinungen. Entweder verschwinden sie wieder völlig, oder sie erhalten ein viertes Rad, wenn sie als Typ überleben wollen. Einst war der Dreirad ler im gesamten Mühlviertel verbreitet. Im unteren Mühlviertel fand Bock horn schon Ende der 60er Jahre keines dieser Fahrzeuge mehr vor, während es im oberen Mühlviertel auch 1991 noch vereinzelt anzutreffen ist. Welche beson deren Bedingungen herrschen in der kleinen Welt eines Bauernhofes, daß die ses seltsame Fahrzeug, wenn auch in we nigen Gebieten, noch heute benutzt wird? Und warum läßt sich sein schlei chender Tod trotzdem nicht aufhalten?
Was einstmals auf drei Rädern rollte Zweirädrige und vierrädrige Wagen transportierten zu allen Zeiten, in Krieg und Frieden, Menschen und Dinge. Fahrzeuge mit drei Rädern bildeten die Ausnahme. Einige dieser ungewöhlichen Konstruktionen sollen erwähnt werden, um zu zeigen, wie unser Mühlviertler Karren in die Welt der dreirädri gen Fahrzeuge einzuordnen ist. Im 16. Jahrhundert findet sich ein dreirädriger Reisewagen als Kupferstich im Theatrum Instrumentorum von Jac ques Besson, in Wirklichkeit wohl ein zweirädriger Karren mit Verdeck und ei nem kleinen vorderen Stützrad.^ In Altdorf bei Nürnberg hatte im Jahr 1689 der Uhrmacher Stephan Farff1er bei einem Unfall beide Beine verlo ren. Er baute sich einen dreirädrigen Wa gen, den er mit einem Kurbelantrieb am Vorderrad bewegte. Dieses Fahrzeug wurde Ahnherr vieler ähnlicher Typen für Körperbehinderte.^ Seit es die großen Versandhäuser gibt, in Deutschland zum Beispiel Stukenbrok® in Einbeck um 1912 und in den USA Sears, Roebuck & Co.' in Chicago um 1902, bieten deren Kataloge Knaben dreiräder mit und ohne Pferd, Fahrräder als Transportdreiräder und dreirädrige Handkarren an. Ein selbstgebautes, hölzernes Kin derdreirad mit Scheibenrädern, großem Vorderrad, aber ohne Tretkurbel, steht im Bezirksheimatmuseum Spittal a. d. Drau. Kinder im Vorschulalter spielten damit. Sie bewegten sich vorwärts, in dem sie sich mit den Beinen abstießen. „Kunstwagen" des lahmen Uhrmachers Stephan Farffler (1632-1689) aus Altdorf hei Nürnberg. (Original in Kupfertiefdruck im Reichspostmuseum Berlin). Wer denkt heute noch an die zahlrei chen Dreiradkarren in allen großen eu ropäischen Städten, mit denen Milch ge liefert, Speiseeis verkauft, Post verteilt, Scheren zum Schleifen und Brötchen zu den Kunden gebracht wurden?" Zahlreiche dreirädrige Motorfahr zeuge belebten seit der Erfindung des Automobils die Straßen. Bereits der er ste selbsttätig mit einer Dampfmaschine fahrende Wagen des Monsieur Cugnot (1769) besaß drei Räder und zerschellte wegen seiner schwergängigen Vorder radlenkung an einer Mauer. ® Treue, S. 239. ' Tarr, S. 246, Abb. 275. ® Shikenbrok, S. 15, 16. ' Sears, Roebuck and Co., S. 714. " Backhouse, S. 1,16, 20, 24, 30, 31.
Belgische Karre mit drehbarem vorderem Stützrad zum Düngerfahren (Feldpostkarte v. 3. .7 1917). Der erste Motorwagen von Benz (1885) fuhr mit drei Rädern. Seitdem er scheinen immer wieder ähnliche Fahr zeuge, besonders viele Typen in England, aber auch in anderen europäischen Län dern und in Deutschland. Die bekannte sten deutschen Fabrikate waren Goliath, Gutbrod und Tempo, alle drei zeitweise als Lieferwagen recht erfolgreich, als Per sonenwagen kaum gefragt." Selbst in Pfarrkirchen im Mühlviertel fährt heute ein englischer dreirädriger Personenwa gen. Alle erwähnten Dreiradfahrzeuge besitzen ein drehbares oder lenkbares Einzelrad. Sie gehören damit, technisch gesehen, nicht zum gleichen Typus wie der Mühlviertler Dreiradler mit seinem starren Vorderrad. Dreiradler in der mitteleuropäischen Landwirtschaft In Mitteleuropa zeichnen sich zwei ehemalige Gebiete für Dreiradler ab. In Nordwestdeutschland," Holland" und Belgien findet sich der eine Raum, der andere umfaßt im Süden den SchwarzU.a. Kubisch, S. 17, 19, 75 ff. ■ Detlef Eggen, Friedrich Wollers, S. 67. Dr. Hein rich Mehl vom Schleswig-Holsteinischen Lan desmuseum D-2380 Schleswig berichtet, daß in diesem Bundesland ein dreirädriger Erdkarren nie gebaut wurde, gleiches bestätigt Dr. Arnold Lühning, der das Land 30 Jahre lang nach Gerä ten durchforscht hat. Die Angaben bei Eggen und Wollers können sich nur auf Ostfriesland beziehen (Schreiben vom 2. 7. 1991). Oudemans, S. 66 ff.
wald/^ Kärnten, Südtirol, Steiermark^' und das Mühlvierteld^ Die Verbreitung war wohl in jedem Gebiet inselförmig. In Nordwestdeutschland wurden dreirädrige Erdkarren für kleinere Trans porte auf den Bauernhöfen gebaut. Den Karren zog ein Pferd. Er besaß ein gro ßes, starres Vorderrad, das zum Lenken herumgerissen wurde. An Böschungen war das Fahren recht gefährlich, da der Erdkarren im Gegensatz zum Mühlviert1er Dreiradler keine Bremse besaß.^^ Ein fiolzstock mußte zwischen Rad und Radgestell gesteckt werden, damit das Rad schleifte und die Karre gebremst wurde. Die Ladefläche konnte nach hin ten umgeklappt werden. Ein naher Verwandter des nordwest deutschen Erdkarrens ist der Dreiradkar ren in Holland.^® Nur wenig größer als der Erdkarren, wurde er vorwiegend in den ebenen Gebieten des Landes einge setzt. Einen vergleichbaren Typ gab es im belgischen Flandern, der auch mit Jauchefaß statt Transportkasten verwen det wurde. Alle diese deutschen, hollän dischen und belgischen Dreiradler schei nen eine Kippvorrichtung zum schnelle ren Entladen besessen zu haben. Dreirädrige Jauchewagen verwende ten französische Landwirte im 19. Jahr hundert." Zwei Tragbalken für das Faß waren in gleichem Querschnitt als eine Art Doppeldeichsel mit leichtem " Haegele, Tafel 17. Haiding, S. 227 ff. S. Anmerk. 4. " S. Anmerk. 12. S. Anmerk. 13, S. 67. " Chancrin, Fig. 710, Duby, Georges und Wallen, Armand, Bd. 3, S. 211. EN BEAUCK. Cabiine <le Berger. K m i« Schäferkarren um 1900 in der Beauce/Frankreich mit drei starr angeordneten Rädern (Ansichtskarte).
Schwung nach unten soweit verlängert, daß zwischen ihnen das starr montierte kleinere dritte Rad als Stütze angebracht war. Zwei Pferde wurden vor die Dop peldeichsel gespannt. Ahnliche Karren gab es in kleinerer Ausführung für den Zug mit Menschenkraft. Um 1900 entstand in der Beauce das Foto eines Schäferkarrens mit drei starr angeordneten Rädern. Die kleineren Hinterräder, die die Hauptlast tragen, be sitzen zwölf Speichen, das größere Vor derrad nur zehn. Diese bäuerlichen Fahr zeuge gab es wohl ausschließlich in ebe nen Landschaften. Im benachbarten Niederbayern, im Gäuboden, findet sich in den Werkstatt büchern der bedeutenden Wagnerei Nirschl in Deggendorf kein Hinweis auf ein dreirädriges Fahrzeug.^" Alpen und Mittelgebirge Völlig anders setzten Landwirte in Gegenden mit Äckern an steilen Hängen den Dreiradler ein. Hier gab es ein Pro blem, das Prasch^^ vereinfacht so dar stellt: „Auf steilen (Wiesen und) Ackern im Mölltal ist das Seil der beste Helfer. Früher wurde die unterste Furche jähr lich ratenweise im Buckelkorb zuoberst getragen. War einer 30 Jahre lang Berg bauer, so hat er mindestens dreimal sei nen eigenen Acker am Buckel hinaufge tragen. Bis eben die Seiltasche erfunden wurde... Dazu gehört der Dreiradler..." Weiter schildert Prasch die Zugtech nik mit Seiltasche und Dreiradler. Ent- "■" Scheurer, S. 22. Prasch 1966, S. 50, 1988, S. 154. Drei Umlenkrollen: zwei „Seiltaschen" aus Kärnten (a, b), ein „Fläschenhock" aus dem Schwarzwald (c). Diese Hilfsgeräte für steile Bergäcker wurden oberhalb an einem Baum oder starkem Pfahl befestigt. Dann zog ein Zugtier am „umgelenkten" Seil, bergabgehend, den beladenen Dreiradler bergauf. Im Mühlviertel konnte diese im Inneralpengebiet und im Schwarzwald übliche Zugtechnik nicht nachgewiesen werden (a und b Prasch 1978, S. 139 und 191, c Haegele, Tafel 17).
weder zieht ein Roß quer zum Hang den Dreiradler am Seil über die Umlenkrolle der Seiltasche nach oben, oder ein Klein motor übernimmt die Aufgabe. Dann er klärt Prasch die Bauart der Seiltasche: „Zwei kleine Walzen verhindern, daß sich das Seil verheddert, das durch die Rillen des Holzrades laufen muß. An der Seiltasche befindet sich ein starker Ha ken, um das Gerät verankern oder an ei nen Baum hängen zu können." Ein derar tiges Hilfsgerät fand sich im Mühlviertel für den Zug hangaufwärts bisher nicht. Hier trug man ohne Schultergurte die Erde mit Tragen für zwei Personen hang aufwärts, bis für größere Hänge der Dreiradler mit Pferdezug verwendet wurde.^^ Der Geräteführer des Schwarzwäl der Freilichtmuseums Vogtsbauernhof^^ zeigt die Abbildung einer „Fläschenbock" genannten Vorrichtung für die Ar beit mit dem Dreiradler. Name und Vor richtung erinnern an den bekannteren „Flaschenzug". Der Geräteführer be schreibt die Verwendung: „Der FläschenFreundiiche Mitteilung von Franz Wimmer, Hofkirchen i. M. mm Zeichnung eines Dreiradlers mit Lenkeinrichtung. Sie wurde durch Verschweißen des Drehkranzes unbrauchbar ge macht, um das Fahren in Schlangenlinien zu verhindern. Das Fahrzeug stammt aus der aufgelassenen Landwirtschaft des ehemaligen Gasthauses Anna Berger, Pfarrkirchen i. M. (Zeichnung Lisa A4. Henry).
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