OÖ. Heimatblätter 1991, 45. Jahrgang, Heft 2

Was alte Hochzeitsrechnungen erzählen In einem im Jahre 1910 erschienenen Goiserer Ortsführer ist über das örtliche Brauchtum zu lesen: „Wie fast überall, werden auch hier wichtige Ereignisse im menschlichen Leben gekennzeichnet und begleitet mit gewissen Sitten und Gebräuchen, die sich oft durch Jahrhunderte unverändert erhalten haben, doch hat auch hier der alles ebnende und gleichmachende Zeit geist das Seine getan, manchen abson derlichen Auswuchs beseitigt, aber auch manches Sinnreiche und Schöne. Unter wichtigen Ereignissen mit besonderen Gebräuchen seien hier in erster Linie die Hochzeiten erwähnt." Der Schreiber jener Zeilen hatte recht: Die Hochzeitsbräuche wurden schon im 19. Jahrhundert, erst recht aber nach dem Jahre 1910 „vom Zeitgeist" beeinflußt und eingeebnet. Bei welcher Hochzeit fungiert heute noch ein Lad mann (auch Prokurator genannt!), der beim Weisen um Mitternacht ellenlange Danksagungen, die mit Zitaten aus der Bibel gewürzt sind, an das Brautpaar und die Hochzeitsgäste richtet? Oder gar Truchsesse, die sich um das leibliche Wohl der Gäste und um die richtige und ehrliche Entrichtung der Mahlgelder kümmern? Höchst selten werden heut zutage noch „Dranggen" (Spottfiguren) für sitzengebliebene oder untreu gewor dene Burschen oder Mädchen auf Bäu men oder an Scheunen, an denen sich der Hochzeitszug vorbeibewegt, angebracht. Auch das typische Goiserer Hochzeits frühstück, bestehend aus einer Erbsen suppe und einem safrangelben Grieß schmarren (Hochzeitskoch) wird nur noch höchst selten aufgetischt. An dessen Stelle ist meist schon ein Sekt frühstück getreten! Welch ein Wechsel der Bräuche im Laufe der Zeiten bei Hochzeitsgastereien eintrat, dafür bekam ich Beweise in die Hand, als mir Herr Josef Scheutz, Nach komme einer Goiserer Gastwirtsfamilie, ein Bündel Hochzeitsrechnungen zur Durchsicht überließ, die er vor längerer Zeit im ehemaligen KreuzhuberGasthaus in Goisern (heute Kirchen gasse Nr. 17) aufgestöbert hatte. Die in teressanten Papiere waren mindestens schon 160 Jahre alt! Es ist erstaunlich, wieviel in der so genannten guten alten Zeit bei Hochzeitsmählern vertilgt wurde. Als zum Beispiel der Bäckermeister Michl Wie singer am 22. März 1826 beim Kreuzhuber mit seinen Hochzeitsgästen Ein kehr hielt, standen nach damaligem Brauch eine Festtafel für die Honoratio ren und für das Hochzeitspaar und deren engste Verwandtschaft und vier große Tische für die Freunde, Nachbarn und Bekannten des Paares bereit. An der Tafel wurden etwa vierzehn Gänge ser viert, an den anderen Tischen etwas weniger. Das Hochzeitsessen an der Fest tafel bestand 1. aus Hühnern mit Reis, 2. Rindfleisch mit zwei Soßen, 3. einer Schüßltorte, 3. Kalbsbraten, 4. Einmach fleisch, 5. Tauben mit Butterdampfl, 6. Schweinsbraten, 7. Spießkrapfen, 8. Zahlkrapfen, 9. gebratenen Hühnern, 10. Brottorte, 11. Schnecken (wahrschein lich eine süße Mehlspeise und keine natürlichen Schnecken), 12. gesulzter Zunge, 13. Zuckertorte, 14. gerösteten

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