nicht ganz klar, was die betreffende Person mit Österreich zu tun hatte. Das Fehlen des Meister sanges und der Musikpflege in den kleinen Adels häusern der Renaissance wird der Bedeutung die ser Lebensbereiche der Musik in Österreich kei neswegs gerecht. Daß der Zeitraum zwischen ca. 1600 und ca. 1750 auf nur 20 Seiten präsentiert wird, entspricht dem Stellenwert der Barockmusik in Österreich ebenfalls nicht. Nicht nur das, was sich am Wiener Kaiserhof ereignet hat, sondern auch das durch das Anwachsen der Bedeutung der österreichi schen Adelsfamilien gesteigerte Repräsentations bedürfnis und dessen musikalischer Ausdruck werden nicht entsprechend ihrer nachhaltigen Wirkung und Wichtigkeit behandelt. Jedenfalls hätten die Vorklassiker eine ausführliche Darstel lung ihrer musikhistorisch wichtigen Leistungen verdient, denn in dem ausgezeichneten Beitrag „Vom Barock zur Wiener Klassik" kommt das kaum zum Ausdruck. Wesentlich ausführlicher kommt der Zeit raum zwischen 1750 und 1800, die Wiener Klassik, auf 62 Seiten zur Sprache. Hier treten die Unzahl großer und weniger bedeutender Komponisten und Musiker und auch die Vielfalt musikalischer Ereignisse entsprechend hervor. Unvermeidlich drängt sich der Eindruck auf, daß hier ein Mozart fan - der Herausgeber persönlich - am Werk war, da dieser Meister allein auf ca. 30 Seiten mit seinen Kompositionen, Tätigkeiten, Reisen und neben sächlichen (mitunter sogar lächerlichen) Details behandelt wird. Besser als diese Schönfärberei, die weder Mozart noch der Ausgewogenheit dieses Buches guttut, wäre ein Blick in die aktuelle Mozartliteratur gewesen. Andere Große wie J. Haydn, Ludwig v. Beethoven oder Franz Schu bert kommen hingegen „besser" weg. Die Vielfalt des Musiklebens im 19. Jahrhun dert kommt auf 125 Seiten seiner Bedeutung ent sprechend zur Geltung. Daß Wien eine hervor ragende Stellung einnahm, ist unbestritten; bedeu tende Ereignisse in der Provinz sind allerdings nur zwischen den Zeiten herauszulesen. So hätte zum Beispiel der Linzer Musikpapst des Vormärz, Franz X. Glöggl, eine kurze Darstellung verdient. Vergeblich suchte ich auch eine Behandlung der für das Musikschaffen und -leben des Vormärz so bedeutenden Romantikerkreise. Die meist mehr seitigen Sonderbeiträge über jene Epochen, in denen sich herausragende Entwicklungen ereignet haben, und die großen Komponisten heben deren musikhistorische Bedeutung gebührend hervor. Sehr großzügig - die 226 Seiten machen bei nahe die Hälfte des Buches aus - wird das 20. Jahr hundert behandelt. Hier kommt das Prinzip der Ghronik am besten zum Tragen. Viele Beiträge er scheinen als aktuelle Dokumentationen, und man fühlt, daß das durch das Erscheinen des Buches be dingte Ende nicht endgültig ist, sondern daß man weiterschreiben müßte. Die zahlreichen (verhält nismäßig vielen) Sonderbeiträge erfassen wirklich das österreichische Musikleben dieses Jahrhun derts in einer beachtenswerten Vollkommenheit. Hier kommen auch jene Lebensbereiche der Musik zur Sprache, die in anderen Darstellungen der österreichischen Musik nicht oder zumindest nur am Rande zu finden sind; zum Beispiel Volks musik, Militärmusik, Blasmusik, Jazz, Austropop, Außenseiter und Alternative, Tonträgerindustrie und Verwertungsgesellschaften, Musik im Radio und Fernsehen. Wertvoll finde ich den Sonder beitrag über „Musik zwischen Kunst und Ware", der eine kritische Auseinandersetzung mit den heutigen Bedingungen einer gewinnbringenden Vermarktung der Musik bringt. Die abschließende Frage „Österreich - ist das Musik?" geht dieser kli scheehaften Aussage nach, macht aber auch den Stellenwert Österreichs in der gesamten Musik geschichte deutlich und läßt dann die Frage anklin gen, ob das österreichische Musikschaffen und -le ben dieser großen in der Vergangenheit erworbe nen Bedeutung heute und in Zukunft gerecht zu werden imstande sind. So gut mir - trotz einiger Mängel und Schwä chen - diese Darstellung der österreichischen Mu sik gefällt, für so wichtig halte ich es aber auch, eine andere zu lesen. Struktur, Aufmachung und Ak tualität dieser Musikchronik machen bald eine Neuauflage wünschenswert; bleibt zu hoffen, daß es auch gelingt, die Epochen bis zum Barock ihrer Bedeutung entsprechend zu überarbeiten. Karl Mitterschiffthaler Der Caecilianismus - Anfänge, Grundlagen, Wir kungen. Internationales Symposium zur Kirchen musik des 19. Jahrhunderts. Hrsg. V. Hubert Unverricht. Eichstätter Abhandlungen zur Musikwissenschaft, Band 5. Tutzing: Hans Schnei der, 7988. 368 Seiten, 72 Abbildungen, DM 706,-. ISBN 3-7952-0550-6 Hatte man die Früchte des Cäcilianismus lan ge als „musikalische Brettlgotik" oder noch mehr als unmusikalisch generell abgetan, so bemüht man sich heute diesbezüglich um ein wesentlich differenzierteres Urteil.
RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2