Ihre Bewährung findet die Menschenwürde dort, wo sie in den Rang eines Rechtswertes er hoben ist. Platz dafür ist primär in der Staatsver fassung, im Grundgesetz. Nach den furchtbaren Geschehnissen des Zweiten Weltkrieges, in der Hitler- und in der Stalin-Diktatur gleichermaßen, haben die Redaktoren des Bonner Grundgesetzes an dessen Spitze den Satz gestellt: „Die Menschen würde ist unantastbar. Sie zu achten und zu schüt zen ist Aufgabe aller staatlichen Gewalt." Was die ser Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz juristisch bedeutet, das stellt die Verfasserin im einzelnen anhand von Aspekten der Rechtsprechung des Bundesverfas sungsgerichtes in Karlsruhe zu dieser Verfas sungsbestimmung dar. Was sieauf über 200 Seiten zusammenträgt, kann hier verständlicherweise nicht aufbereitet werden. Es seien daher lediglich die unmittelbar auch den Nichtjuristen anspre chenden Themen herausgehoben, wie das Diffe renzierungsverbot zwischen würdigem und un würdigem Leben (S. 59 ff.) - aus der NS-Zeit klingt noch das „lebensunwerte" Leben nach - oder der Schutz der Würde des vorgeburtlichen Lebens, um den es - auch - in der Diskussion um die Abtrei bung geht (S. 62 ff.), sowie die verschiedenen Welt anschauungen entspringenden unterschiedlichen Ansichten zum Würdekonzept des Grundgesetzes und seiner Interpretation durch das Bundesverfas sungsgericht in Karlsruhe: Hier geht es um theolo gisch-christliche Ansätze, um die materiale Wert ethik im Sinne Max Schelers, der wegen ihres sub jektiven Einschlages Carl Schmitt die Schrift mit dem plakativen Titel „Die Tyrannei der Werte" ent gegengesetzt hat, um soziologische Würdekon zepte der letzten 20 Jahre oder um die Beurteilung durch den Behaviorismus, für dessen extremen Vertreter, den kürzlich verstorbenen Amerikaner Skinner, Autor von „Jenseits von Freiheit und Würde", diese Begriffe überholte Kategorien sind, weil nicht der Mensch sein Verhalten steuere, viel mehr kontrolliere es die Umwelt (S. 125 ff.). An gesichts des Zusammenbruchs des „real existie renden Sozialismus" wird das marxistische Kon zept (S. 152 f.) zumindest derzeit keine große An ziehungskraft mehr beanspruchen können. Ist - und darauf kommt es bei einer juristischen Veran kerung schließlich an - die Würdenorm klagbar? Darüber wogen die Meinungen in beinahe schon unübersehbarer Menge hin und her. Eine Übersicht darüber bietet die Verfasserin auf S. 167 ff. In Österreich existiert auf Verfassungsebene keine dem „Menschenwürde-Artikel" des Bonner Grundgesetzes entsprechende Verfassungsbe stimmung. Demselben Anliegen dient aber der seit 1. Jänner 1812 in Geltung stehende § 16 ABGB, wo nach jeder Mensch angeborene, schon durch die Vernunft einleuchtende Rechte hat. Eine Bestim mung, die gleichsam als Vorverständnis unserer gesamten Rechtsordnung zugrunde liegt. Dem nach ist oberstes Rechtsprinzip auch unserer Rechtsordnung das Urrecht der Persönlichkeit, das ist nach den Worten des maßgebenden Redak tors und ersten Kommentators des ABGB, Franz Zeiller, „das Recht, die Würde eines vernünftigen, freyhandelnden Wesens zu behaupten ..." Für die rechtliche Ausgestaltung unserer Rechtsordnung, welche durchaus Lücken aufweist, durch die hin durch allgemeine Persönlichkeitsrechte des Men schen, sohin auch seine Menschenwürde, verletzt werden können, ist das Studium der vorliegenden Untersuchung sehr zu empfehlen. Josef Demmelbauer Heinz Ludwig Arnold: Krieger, Waldgänger, Anarch. Versuch über Emst Jünger. Göttingen: Wallstein-Verlag 1990. 47 Seiten, broschiert, DM 79,-. ISBN 3-89244-015-8 Im Heft 2/1990, S. 179/180, habe ich das letzte Werk des nun 95jährigen Ernst Jünger vorgestellt: „Die Schere", unter einem auch eine - blasse - Fest schrift für ihn und ein ihn betreffendes Sonderheft der Reihe „text -F kritik". Dessen Herausgeber hat nun in der gleichfalls von ihm herausgegebenen Reihe „Göttinger Sudelblätter", die sich im Namen von dem großen Physiker und Philosophen Lichtenberg herleiten, einen glänzenden Essay publiziert, der das Werk Ernst Jüngers auffächert: als Krieger, als der er bereits in der zitierten Be sprechung erkennbar gemacht wurde, als Wald gänger, welcher Begriff Jüngers 1951 erschienenen Schrift „Der Waldgang" entnommen ist, in der es um Elitenbildung als Abwehr gegen den Auto matismus der Zeit geht, und als Anarchen. Dieser Begriff bedarf der Aufhellung: Der Anarch - nicht ein Anarchist etwa vom Schlage Bakunins - ist der Protagonist von Jüngers nach „Heliopolis" zwei tem Zukunftsroman „Eumeswil" aus dem Jahre 1977 (nicht 1979, wie auf S. 35 des Essays steht). Die Handlung dieses über 430 Seiten starken Buches hat Gertrud Fussenegger - sie schätzt Jün ger sehr - in einer ebenso knappen wie meisterhaf ten Besprechung in den Salzburger Nachrichten vom 3. Dezember 1977 komprimiert. Der Anarch, in „Eumeswil" Martin oder Manuel Venator ge-
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