durchpulst und von einer sprachlichen Schönheit, die sie in den Rang eines literari schen Kunstwerkes erhebt, so daß es nicht verwundert, daß die zweite, umgearbeitete Auflage 1929 in alle Weltsprachen übersetzt wurde. Die Idee der Demokratie, „dieses mißbrauchtesten aller politischen Begriffe", sieht Kelsen auf dem Wert der Freiheit des Menschen in der Gesellschaft aufgebaut und ruhend auf dem Verzicht auf absolute Wahrheit, weil diese ebenso wie absolute Werte menschlicher Erkenntnis verschlossen sei. Der Ideologiekritiker Kelsen deckt dabei die Schwächen der Demokratie und die Problematik des Parlamenta rismus auf, indem er die Fiktionen zeigt, die man braucht, um eine „Herrschaff der Beherrschten" annehmen zu können. Die wesentliche Fiktion ist hiebet das Majori tätsprinzip. Weil „das isolierte Individuum polihsch überhaupt keine reale Existenz hat, da es keinen wirklichen Einfluß auf die Staatswillensbildung gewinnen kann", ist, so Kelsen, die Demokrahe notwendig und unvermeidlich ein „Parteienstaat". 1929, als die zweite Auflage dieses Demokratie-Klassikers erschien, hatte der Demokratie gedanke nicht nur seine Anziehung auf die Massen eingebüßt, es herrschte bereits eine antidemokratische Massenstimmung. Allen jenen Schwärmern, die sich die Lösung aller gesellschaftlichen Probleme von einem „neuen Menschen" erwarten, sei aus Kelsens „Sozialismus und Staat" folgende Passage zu bedenken gegeben: „Der Mensch: das ist das Material, aus dem auch das Haus einer künftigen Gesellschaftsordnung gebaut werden muß; es ist dasselbe Material, aus dem schon der Staat von heute und gestern besteht und das gewiß mit ein Grund dafür ist, daß dieses Haus so viel zu wünschen übrigläßt, wenn darum auch keineswegs ange nommen werden muß, daß es aus eben diesem Material nicht viel besser gebaut werden könnte. Wer aber den Palast der Zukunft aus anderem Material errichten zu können glaubt, wer seine Hoffnung auf eine andere Menschennatur stützt, als jene ist, die wir kennen, der gerät unrettbar ins Nebelland der Utopie." Das Problem des Parlamentarismus Auch dem Osten wird sich nach Jahrzehnten der Diktatur das „Problem des Parlamentarismus" stellen, das Kelsen in den zwanziger Jahren abgehandelt hat. Aus diesem Werk seien die bewegenden Schlußsätze herausgehoben: In der Auseinandersetzung zwischen Diktatur und Demokratie werde sich diese, so meint Kelsen, immer wieder durchsetzen. (Diese Meinung hat sich nun im Osten wider alle Erwartung bestätigt.) „Freilich nicht die schrankenlose Freiheit der Anarchie, die nur das Gegenbild der Diktatur ist, sondern die Freiheit der Demokratie, das ist die Freiheit des Kompromisses, die Freiheit des sozialen Friedens." Gerade im Kompromiß liegt aber eine schlichtere Haltung als im heroischen Pathos der Diktatur, die ihre Fahne über die zum „Schweigen geknebelte, rechtlose Opposition schwingt. Aber so, wie der Verzicht auf die kühnen und trügeri schen Hoffnungen metaphysischer Spekulation immer wieder von neuem erzwungen wird, sooft der menschliche Geist vergeblich gegen die ehernen Schranken stößt, die der Erkenntnis gezogen sind, so sucht die von messianischen
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