OÖ. Heimatblätter 1990, 44. Jahrgang, Heft 4

Stewart Chamberlain als Sozialdarwinist; damit ist die Übertragung der bio logischen Entdeckungen Darwins auf die gesellschaftliche, also soziale Entwicklung gemeint. So, wie sich die Annahme einer fortschreitenden Evolution als Weg zum Fortschritt deuten läßt, so kann aus Darwins Entdeckungen schwerpunktartig auch das Ende des göttlichen Schöpfungsgedankens, der Wegfall eines Weltzieles abge lesen werden. Diese pessimishsche Form des Sozialdarwinismus verfocht Gumplowicz mit Schärfe und stilishschem Glanz.^ Nicht die Menschen als Individuen, sondern Menschengruppen - er nennt sie „Rassen" - treten in den „Kampf ums Dasein", im innerstaatlichen Bereich, indem die siegreiche Gruppe die unterlegene unterdrückt und für sich arbeiten läßt, im zwischenstaatlichen Bereich, indem der eine Staat den anderen in die Knie zwingt. Damit ist auch dem Klassen kampf im Inneren eine sozialdarwinistische Deutung gegeben. Dieser Kampf werde, meint Gumplowicz, ein dauernder sein, er bringe aber keinen allgemeinen menschlichen Fortschritt; die zunächst erfolgreichen Klassen oder „Rassen" müßten in der Folge wiederum anderen weichen. Hinter dieser Theorie steht die Schwermut des Pessimismus, den er vom Optimismus wie folgt abgrenzt: „Der Pessimist in praktischer Philosophie ist für gewöhnlich im Leben ein Optimist. Der verhängnisvolle Lauf der Welt überrascht ihn nicht, er erwartet nichts Besseres; er weiß, daß die Welt schlecht ist, daß sie nichts anderes sein kann... Anders verhält es sich mit dem Ophmisten in der praktischen Philosophie. In der Überzeugung, daß die Dinge besser stehen könnten, wenn nur der Mensch sich bessern würde,... erlebt er beständig neue Enttäuschungen und fällt von einer Ver zweiflungin die andere. Für gewöhnlichbietet uns der Optimistin der prakhschen Philosophieim Leben jenes Bild, das wir mit dem Wort ,Pessimist'verknüpfen."'* Das Anschauungsmaterial für seine Theorie lieferte ihm der Nahonalitätenstreit in der Monarchie. Gumplowicz war Jude, der zur Verbesserung seiner aka demischen Karriere als Staatsrechtslehrer in Graz zum Protestantismus konvertierte. Zuvor war er ein - erfolgloser - nationalistischer polnischer Aufwiegler gegen den Habsburger-Staat gewesen. Die Nationalitäten der Monarchie waren seine „Rassen", den Staat aber sieht er als den Inbegriff sozialer wechselseitig sich bekämpfender Gruppen, das Recht als die zwischen ihnen jeweils festgesetzten Schranken ihrer Machtausübung. Im Laufe der Geschichte schiebe sich zwischen die zwei ursprünglichen Rassen der Eroberer und der Eroberten, die - zeitgemäß - als Adel und Volk erscheinen, durch Zuwanderung eine dritte Rasse, die Handel treibt und die intellektuelle Berufe ergreift, der Mittelstand. Die politischen Spannungen zwischen diesen Rassen werden durch Mischung gemildert, damit werde der Staat stabilisiert. Seltsam weitsichtig erscheint uns die Antwort, die Gumplowicz auf die ümfrage nach dem politischen Ideal des 20. Jahrhunderts im Jahre 1897 gab, nämlich ^ Eine Auswahl aus seinen Schriften hat Emil Brix unter dem Titel „Ludwig Gumplowicz oder Die Ge sellschaft als Ganzes" 1986 herausgegeben. ^ William M. Johnston, österreichische Kultur- und Geistesgeschichte, S. 326.

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