Eine ähnlich geschlossene Siedlungs- und Wirtschaftslandschaft wie in Europa hat sich jedoch dort nicht entwickelt. Auch der dichte Wald, dem sich die ersten Siedler nur zögernd näherten, bildete hierbei kein Hindernis, und die Rodung des Mittel alters hatte sich seiner so sehr bemächtigt, daß im mittleren Teil Europas die Nutzflä chen dadurch um zwei Drittel vergrößert wurden. Der Wechsel von Feld, Wiese und Wald als Endergebnis der im Neolithikum einsetzenden Erschließung bestimmt somit das Bild der Kulturlandschaft Europas, und dort, wo der Wald oder die geschlossenen Ackerschläge zum beherrschenden Element werden, bleiben ihre Dimensionen doch kleiner als etwa in der Zone der borealen Nadelwälder Kanadas und Nordasiens oder im einstigen Weizengürtel Nordamerikas, der sich über 20 Breitengrade erstreckt. Der Pflug ist zwar weit und breit das übliche Ackergerät und die eiserne Pflugschar eine europäische Erfindung. Bei den Formen der von ihm durchzogenen Flur fällt es indessen schwer, sie einem übergeordneten europäischen Muster zuzuordnen, oder zumindest ist dies der vergleichenden Kulturgeographie noch nicht in überzeugender Weise gelungen. Ahnliches gilt für das Bauernhaus und den Grundriß der ländlichen Siedlungen. Wohl aber ist dies bei den Städten möglich. Auch darin gebührt dem Orient zeitlich der Vortritt. Aber Europa hat einen sich davon abhebenden eigenen Typ her vorgebracht, der auf das Mittelalter zurückgeht und somit auch nicht unmittelbar an die antiken Vorbilder anschließt. Seine Eigenarten treten dort klar in Erscheinung, wo es sich nicht erst um eine Schöpfung des Industriezeitalters handelt und die Über fremdung durch die moderne Allerweltsarchitektur in Grenzen blieb. Die Bürger gemeinde mit eigenen Privilegien, organisiert in Zünften und Gilden, wurde zum historischen Leitbild der europäischen Stadt. Ferner der auf Rentabilität und Kapital ausgerichtete Wirtschaftsgeist als Grundlage eines Handels- und Gewerberechtes, wie es die orientalische, indische und chinesische Stadt nicht kannte.^ Das Industrie zeitalter mit seinem Zustrom aus dem Umland verlieh ihr seit der Mitte des 19. Jahr hunderts vielerorts in Form von Ring- und Radialstraßen sowie rasterförmig geglie derten Neubauvierteln, deren historisierende Fassaden über die dahinter verborgene Tristesse hinwegtäuschen, einen weiteren Zug. Das Wachstum in die Höhe, das ab Ende des Jahrhunderts den nordamerikanischen Städten ihre emporstrebende und unruhige Skyline gab, blieb demgegenüber lange Zeit zurück, da es die meist das Pariser Beispiel nachahmenden Bauvorschriften nur in beschränktem Ausmaß zu ließen.'' Die Stadt mit ihren Kirchen, Museen, denkmalgeschmückten Plätzen und anderen Zeugen von Wissenschaft, Bildung und Kunst ist ein Abbild der jeweiligen Kultur. Sie bringt daher das zum Ausdruck, was im besonderen Maße das Wesen Europas, seine im ganzen doch durchschimmernde Einheit - um dem Titel dieses Vortrages gerecht zu werden - ausmacht: seine kulturell deutlich abgehobene Stel- ^ Vgl. Brunner 1953, S. 153 f. Vgl. Lichlenberger u.a. 1970, S. 46f.
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