eine umfassende Besiedlung. Es herrscht weithin Mäßigung in allen Erscheinungen der Natur. Dem entspricht die Vegetation, die vor den Eingriffen des Menschen das Land bedeckte. Europa war ursprünglich ein Waldland. Selbst in der Ungarischen Tiefebene fehlte es nicht an Bäumen und auch nicht entlang der Küsten des Mittel meeres, wo heute eine kümmerliche Macchie oder gar die Zwergstrauchheide der Garrigue stocken. Im südrussischen Schwarzerdegebiet, das bei Kiew und Kuibyschen an der Wolga beginnt, war die Steppe allerdings immer heimisch. Und doch stellt nicht zuletzt die Anordnung der Vegetationsgürtel die Selb ständigkeit Europas in Frage. Der europäische Laubmischwald, in dem im Westen die Buche und im Osten die Eiche vorherrschen, endet zwar am Ural, aber die im Norden daran anschließenden Nadelwälder setzen sich ohne Unterbrechung in die sibirische Taiga fort, und die mediterrane fiartlaubregion hat an den Küsten der Atlasländer sowie jenseits der Ägäis an jenen Anatoliens und der Levante ein Gegenstück. Glei ches gilt für die Strukturen des geologischen Baus, vor allem das alpine System, dem nicht nur das junge Faltengebirge der Alpen, der Dinariden und der Karpaten ange hört, sondern auch Pontus und Taurus, die sich östlich des großen Gebirgsknotens von Armenien in den iranischen Randgebirgen und im Himalaja fortsetzen. Daß Erdteile als menschenerfüllte und demnach vom Menschen geprägte Lebensräume aufzufassen seien, wurde bereits erwähnt. Wie hebt sich nun Europa in dieser Hinsicht von seinen Nachbarn ab, nur als Variante oder als etwas Selb- und Eigenständiges? Oft haben Außenstehende für das, was uns betrifft, den besseren Blick. So hat ein anerkannter amerikanischer Geograph versucht, das auf den Men schen bezogene Charakteristische Europas anhand von zwölf Merkmalen zu bestim men,^ wozu er die Zugehörigkeit zur weißen Rasse sowie - zumindest in der weitaus überwiegenden Mehrheit - zur indogermanischen Sprachfamilie und zum christ lichen Bekenntnis rechnete. Ohne Zweifel haben diese und die anderen dabei vor gebrachten Kriterien, auf die hier nicht eingegangen werden kann, ihre Gültigkeit. Nicht zu übersehen ist jedoch die herausragende Stellung Europas in der weltweiten Verteilung der Bevölkerung. Zusammen mit Ostasien und Indien bildet es das dritte Dichtezentrum der Menschheit. Durch die gegenwärtige Bevölkerungsvermehrung und weit fortgeschrittene Urbanisierung sind zwar noch andere, so an der atlanti schen Küste Nordamerikas, hinzugekommen, ohne jedoch die gleiche Ausdehnung zu erreichen. Auch im europäischen Verdichtungsgebiet gibt es ein zentral-peripheres Gefälle, vor allem gegen Norden, und im Inneren Unterschiede, die aber nicht so weiträumig sind, um als absolut trennende Schranken zu wirken. Die Möglichkeiten der durch Feuchtigkeit und Wärme begünstigten Agrarproduktion bis über den 60. Breitengrad hinaus schufen die Voraussetzungen dafür. Die der Dichte entspre chende Bevölkerungszahl tat ein übriges, um schon früh eine arbeitsteilige Wirt schaft und einen aufnahmefähigen Markt als Anreiz dazu entstehen zu lassen. Sicher besitzt das seßhafte Bauerntum im fruchtbaren Halbmond Vorderasiens, in der lich ten Waldsteppe des assyrischen Gebirgsvorlandes, eine wesentlich ältere Wurzel. ^ T. G. Jordan zit n. Hofmeister 1985, S. 148 f.
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