OÖ. Heimatblätter 1990, 44. Jahrgang, Heft 3

Älteren herum ohne Einfühlung in deren zeitliches gesellschaftliches Umfeld, die Älteren reagieren darauf mit dem verständlichen Hinweis auf die „Gnade der späten Geburt". Damit wäre die heuti ge Lage skizziert, stünden wir nach den auch von den prospektiven Deutern der Lage der Welt im allgemeinen und Europas im besonderen nicht vorausgesehenen Änderungen in den kommuni stischen Staaten im Osten nicht vor einer neuerlich veränderten Situation. Die Menschen in der DDR und in den ehemaligen Satellitenstaaten der So wjetunion und auch die in diesem großen vom Zer fall bedrohten Reich wollen das gerade einmal kriegen, was die postmaterialistische Generation im Westen sich anschickt hinter sich zu lassen und zu neuen Ufern aufzubrechen, an denen es weniger Bedürfnisse zu befriedigen gibt. Viele Veränderun gen in unserer engeren Heimat sind zumindest un mittelbar angestrahlt von der langsam einherge gangenen Wirkung des Wert(e)wandels in der westlichen Welt; sie sind ohne sie nicht denkbar. Zu ihnen zählt der - im Gegensatz zum armen Osten - nicht zu verhehlende Niedergang religiö ser Einstellungen, den Inglehart im 6. Kapitel seines hier vorzustellenden Buches „Kultureller Um bruch" beschreibt, nicht ohne aber im 8. Kapitel auch den - derzeit allem Anschein nach unaufhalt samen und rapiden - Niedergang des Marxismus ins Visier zu nehmen. Nach dieser Skizzierung der „Großwetter lage" Europas, welche Inglehart beschreibt, und deren Störung vom Osten her ist nur noch Platz für eine - sehr - kurze Übersicht über dieses Buch, dessen Studium wesentlich mehr Einsichten ver mittelt als das Lesen vieler Tageszeitungen: Es ist in zwölf Kapitel unterschiedlicher Länge gegliedert und geht nach Art herkömmlicher soziologischer und politologischer Darstellung, also unter Zuhil fenahme statistischer Methoden, von der Rolle der politischen Kultur in stabilen Demokratien mit entsprechender wirtschaftlicher Entwicklung aus. In diese dringen postmaterialistische Werte ein: Wie tief sich dieser Prozeß vollzieht und wie er sich auswirkt, das ist das auf einigen hundert Seiten ausgebreitete Thema des Buches, dessen Durch ackern diese Anzeige nur anzuregen, nicht aber zu ersetzen vermag. Eines aber stimmt den Leser nachdenklich: Wird angesichts des auch den Westen in neue Herausforderungen verstrickenden Zusammen bruchs und Aufbruchs im Osten die vorliegende Lagebeurteilung Anspruch auf Dauer erheben können? Oder wird sie der Nachholbedarf an Si cherheit und Wohlstand zwar nicht als überholt, wohl aber für einige Zeit als weniger zeitgemäß er weisen? So steht am Ende für die nächsten Jahre ein Fragezeichen. Josef Demmelbauer

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