Richard von Schaukai: Leben und Meinungen des Herrn Andreas von Balthesser. Stuttgart: Klett-Cotta 7986. Cottas Bibliothek der Moderne. Bd. 46. 720 Seiten, S 756,-. ISBN 3-608-95277-2 Der jetzt in Eferding lebende hochbetagte, aber immer noch publizierende Germanist Adal bert Schmidt behandelt im Band 1 seiner zweibän digen Literaturgeschichte „Dichtung und Dichter Österreichs im 19. und 20. Jahrhundert" Richard von Schaukai zwischen Schnitzler und Stefan Zweig. Schaukai, 1874 in dem uns wieder näher rückenden Brünn geboren, war Verwaltungsjurist, zuletzt Sektionschef, als der er 1918, nachdem er noch von Kaiser Karl geadelt worden war, in Pen sion ging. Wie Hofmannsthal fühlte er sich nach dem Untergang der Monarchie dem ÖsterreichGedanken verpflichtet, auf dessen Grundlage er so wie Hermann Bahr 1926 eine Würdigung Stifters als des „spezifischen Österreichers" schrieb. Nicht ganz 20 Jahre früher hatte Schaukai „Leben und Meinungen des Herrn Andreas von Balthesser" des „prächtigsten Dandy der österreichischen Poe sie" (Peter Härtling) veröffentlicht. Wer mit dem „ironischen Ton von Geschmack und Geschmäcklertum der damalig Heutigen" (A Schmidt, „Dich tung und Dichter Österreichs im 19. und 20. Jahr hundert", Bd. 1, S. 245) nichts mehr anzufangen weiß, wird durch eine Fülle geistreicher, zuweilen aber bloß geistreichelnder Aphorismen entschä digt, etwa durch die folgende kluge Beobachtung: „Nichts ist dem Mitteilsamen lästiger als ebenso ausführliche Vertrauensseligkeit des Partners." Wie bekannt der Jüngeren fast unbekannte Schaukal um die Jahrhundertwende war, illustriert die Tagebucheintragung Hermann Bahrs vom 11. Juli 1904, in der er vom Besuch Max Mells bei ihm be richtet: .. Ein schönes Gesicht unter den dunklen Haaren. Äußerlich still, schüchtern. Innerlich fest, bestimmt. Geht erst nach und nach heraus. Mag Ibsen nicht. Mag Schaukai..." Und in den ersten Kriegsmonaten zehn Jahre später beklagt Josef Redlich, Staatsrechtler, Politiker, zweimal - 1918 und 1931 - kurze Zeit Finanzminister, in einem Brief an Bahr, daß der größte Kampf, der auf dem Planeten geführt werde, ein „kleines Ge schlecht" von leitenden Männern gefunden habe. „Und weder Dehmels noch Schaukais Verse helfen einem über diese Empfindung hinüber." Schaukais späte Lyrik verdiente es mehr noch als der vorlie gende Band, einem größeren Leserkreis vorgestellt zu werden. Im Klappentext ist ja Karl Kraus zitiert, der Schaukai einen der wenigen heimischen Lyri ker nannte, „die durch Zeilen wertvoller sind als die beliebteren durch Bücher". Eine kleine Vorstel lung von der Kraft und der Stille dieser Lyrik ver mittelt der schon eingangs genannte A. Schmidt, Bd. 1, S. 245-247. Dem deutschen Traditionsver lag gebührt Dank dafür, daß er diesen geradezu klassischen Österreicher Schaukai vor dem end gültigen Vergessenwerden zu bewahren versucht hat. Josef Demmelbauer Ronald Inglehart: Kultureller Umbruch. Wertwan del in der westlichen Welt. Frankfurt a. M.: Campus-Ver!ag7989.556 Seiten,gebun den mit Schutzumschlag, DM 738,-. ISBN 3-593-34753-0 Das Buch ist 1989 in den US A unter dem Titel „Cultural Change" erschienen und wurde noch im selben Jahr ins Deutsche übersetzt. Unmittelbar darauf kam es im Campus-Verlag, Frankfurt a. M., heraus. Bei solcher Eile muß sein Inhalt zumindest diskussionswürdig sein. Es liegt aber auch am Ver fasser: Der amerikanische Politologe Ronald Ingle hart - er beansprucht im Verzeichnis des Schrift tums etwas mehr als die Seite 538 - hatte in den siebziger Jahren mit seiner „silent revolution", die er für die westlichen Demokratien Europas konsta tierte, Aufmerksamkeit auf sich gezogen: Es ist ja nicht eines, ob man im Getriebe der Zeit gewisse Strömungen spürt oder ob sie einen in sich hinein ziehen. Und letzteres war damals so an diesem Buch: Gleichsam wie in einem Brennpunkt war aus diesem Buch die Verschiebung von materialishschen zu postmaterialistischen Wertvorstellungen im Westen abzulesen. Das von Weltwirtschaftskri se und Arbeitslosigkeit in der Zwischenkriegszeit, vom Kampf ums Überleben im folgenden Zweiten Weltkrieg und vom Wiederaufbau dominierte Be mühen um wirtschaftliche und physische Sicher heit legen die nachkommenden Generationen, ge stärkt durch eine relativ lange Zeit des Schweigens der Waffen, die man im Blick auf die jahrzehnte lange atomare Bedrohung eine Friedenszeit zu nennen sich sträubt, zurück zugunsten der „Selbst verwirklichung" und einer neuen Lebensqualität, die allerdings auf Aggression, teilweise sogar auf Terror zu verzichten nicht imstande ist. Da kann eine Art von Generationenkonflikt nicht ausblei ben: Die Jungen wühlen in der Vergangenheit der
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