OÖ. Heimatblätter 1990, 44. Jahrgang, Heft 3

Willi K. Müller; Festliche Begegnungen. Die Freun de des Turiner Grabtuches in zwei Jahrtausenden. Zwei Bände, Frankfurt u.M.: Verlag Peter Lang, 1989. 843 Seiten mit Kartenskizzen und 220 Schwarzweißabbil dungen, sfr 149,-. ISBN 3-631-40711-4 Im Zuge seiner ausgedehnten Forschungen zur Epidemilogie beschäftigte sich der Neurologe W. K. Müller auch mit der Geschichte des angeb lichen Grabtuches Christi, auf dem jenes „Acheiropoietos'-Bild (nicht gemalt und nicht gezeichnet) ersichtlich ist, das die Gemüter zuweilen so erhitzt. Zuletzt war dies 1988 der Fall, als mittels der Radiokarbon-(C-14-)Methode drei verschiedene For scherteams die Entstehung des Grabtuches auf den Zeitraum zwischen 1260 und 1390 datierten. Aus einer ersten Beschäftigung entstand ein umfangreiches Werk, in dem der Autor diese jüng sten Feststellungen keineswegs negiert, vielmehr versucht er in äußerst akribischer Weise eine histo rische Kontinuität einer derartigen Ghristusdarstellung bis in die Zeit Kaiser Konstantins d. Gr., also bis zur Verkündung des Toleranzediktes (313) zurückzuverfolgen, die immer wieder „festliche Begegnungen" auslöste. Breiten Raum nehmen dabei selbstverständ lich die Vergleiche mit dem „hl. Mandylion" von Edessa (heute Urfa in Südostanatolien, Türkei), das zu einem ganz besonderen Kultbild der Ostkirche geworden ist, und anderen Ghristusbildern ein. Die Geschichte des Grabtuches, das erst 1578 in den Dom von Turin kam und von dessen tatsächlicher Existenz wir erst seit 1357 wissen, wird genauestens geschildert. Die offizielle Meinung der ka tholischen Kirche hinsichtlich der Echtheit - dieser Aspekt kommt in diesem Werk selbstredend zu kurz - war immer schon skephsch. Im Lexikon für Theologie und Kirche wird das „Grabtuch von Tu rin" nicht als eigenes Stichwort angeführt; unter „Tod Jesu" wird auf die Tatsache verwiesen, daß das echte Grabtuch Jesu nicht aus einem Stück, sondern aus einer Mehrzahl von Binden bestand. In dieser umfangreichen Darstellung des Autors, beginnend mit einer Auslegung der entsprechen den Stelle im Johannes-Evangelium bis hin zur Übergabe des Turiner Grabtuches von der Dyna stie Savoyen-Piemont an die römisch-katholische Kirche im Jahr 1984 und zu den oben erwähnten Untersuchungen 1988, ist aber auch sehr viel historisches Beiwerk enthalten, das zeitweise nicht einmal am Rande mit der eigentlichen Materie zu tun hat und den Leser eher verwirrt. Diese „Rekonstruktion einer Geschichte von zweitausend Jahren" bildet den Hauptteil des ersten Bandes. Dazu kommen einige Kartenskiz zen sowie eine reichhaltige Bilddokumentation nicht nur über das Turiner Grabtuch und das hl. Mandylion, sondern auch über andere Darstel lungsformen Christi, wie z.B. Gregoriusmesse, Vesperbild, Not Gottes oder die Anastasis der Ost kirche, alles in allem eine sehr wertvolle und inter essante Zusammenstellung, wenngleich im Detail auch hier einige Vorbehalte anzumelden sind. Im zweiten Band sind zunächst die Stamm bäume jener Familien wiedergegeben, die im Text zur Geschichte des Grabtuches erwähnt sind, der „wissenschaftliche Apparat" in Form von Quellen texten und Urkunden, weiters ein höchst umfang reiches „enzyklopädisches Stichwortverzeichnis", das zugleich Register und ausführlichstes Glossar mit einer Unmenge an historischen und kunstge schichtlichen Ausführungen und Erläuterungen ist, von Aachen bis Zypern. Acht Seiten davon be schäftigen sich z. B. allein mit dem HohenstaufenKaiser Friedrich II. Unter „Ökologie" erfahren wir, daß mit diesem Begriff ursprünglich „die Wissen schaft von den in Naturherden auftretenden Infek tionskrankheiten" gemeint war - was hat das mit dem Turiner Grabtuch zu tun? Das in der Volks frömmigkeit einst so bedeutende und derzeit wie der aufkommende „Heilige Grab" wird hingegen nicht erwähnt (unter „Oster-Spiele" werden „bau liche Imitationen des Grabes Christi zu Jerusalem" - richtiger der Grabkapelle in der Grabeskirche - angeführt). Der Band endet mit einem fast tausend Werke umfassenden Literaturverzeichnis. „Auf seltsam verschlungenen Wegen hat sich die Geschichte des Turiner Grabtuches als eine Kette ,festlicher Begegnungen' zugetragen. Sie er weckten Hoffnungen und lösten Erwartungen aus, die später sich nicht erfüllten" und „Durch fast die ganze Dauer der Geschichte des Christentums läßt sich die Existenz eines solchen Acheiropoietos-Bildes nachweisen" - zwei Kernsätze in der Einleitung des Autors, denen er ausgedehnte Studien und Forschungen widmete, die in diesem zweibändi gen Werk niedergelegt sind und entsprechende Beachtung verdienen. Dietmar Assmann

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