Die Hauptstadtfrage im Lande ob der Erms Von Siegfried Haider enn Linz im heurigen Jahr das Jubiläum „500 Jahre Landeshauptstadt" mit einer beeindruckenden VielzahJ von Veranstaltungen feiert, dürfte es nicht uninter essant sein, zu fragen, wie die Stadt zu diesem Vorrang gekommen ist; bzw. über haupt die Funktion der Hauptstadt für den oberösterreichischen Raum aus histori scher Sicht zu prüfen.* Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Hauptstadtfrage nicht nur ein Problem der oberösterreichischen Geschichte ist, sondern auch der all gemeinen, besonders jedoch der deutschen Verfassungsgeschichte. So wurde etwa von manchen Forschern eine Auffassung vertreten, die sich am deutlichsten unter dem Schlagwort „Das Reich ohne Hauptstadt" - gemeint ist das römisch-deutsche Reich des hohen Mittelalters - zusammenfassen läßt. Nach dieser Ansicht könnte nur ein politisch straff und zentralistisch organisierter „Staat" eine Hauptstadt haben. Selbst wenn man aber diesem allzu jurishschen und engen Sinn nicht folgt, sondern pragmatisch davon ausgeht, daß jede von Menschen bewohnte Region ihren „zentra len Ort", ihren „Vorort" oder ihre „Hauptstadt" hat, so bleibt doch das banale Faktum bestehen, daß eine „Landeshauptstadt" die Existenz eines „Landes" voraussetzt - und auch dieser Begriff wurde lange Zeit von den Verfassungshistorikern diskutiert. Im folgenden wird allerdings nicht bloß darüber berichtet werden, wie sich nach einem langwierigen und komplizierten Entstehungsprozeß des politischen Gebildes „Land ob der Enns" in diesem eine bestimmte Hauptstadt herausbildete; unser Thema soll vielmehr in einem zeitlichen Abriß skizzenhaft durch die verschiedenen Epochen von der Römerzeit bis in unsere Gegenwart im Hinblick auf den geographischen Raum des heutigen Bundeslandes Oberösterreich verfolgt werden. Durch diesen Überblick wird deutlich werden, daß der Begriff „Hauptstadt" in den verschiedenen Zeitabschnitten unterschiedlich definiert werden muß und daß diese Definition auf das engste mit der jeweiligen polihschen Struktur, wir sagen heute modern „Staats form", zusammenhängt. Den Begriff „Hauptstadt" verstehe ich in Anlehnung an die bekannte deutsche Stadthistorikerin Edith Ennen primär in der politischen Funktion eines Ortes bzw. einer Siedlung begründet, wobei der im spezifischen Sinne städtische Charakter dieser Siedlung im frühen und hohen Mittelalter nicht unbedingt gegeben sein muß. Wie wir sehen werden, kann eine Hauptstadt auch Residenzstadt sein, sie muß aber nicht oder ist es allenfalls nur in einer besonderen, eingeschränkten Weise. In der Regel ist sie aber Versammlungsort oder Sitz der zentralen Organe und Behör den eines Staatswesens bzw. der politischen Repräsentanten eines Landes, was natürBei diesem Aufsatz handelt es sich um das geringfügig überarbeitete Manuskript eines Vortrages, den der Verfasser am 24. April 1990 auf der 98. Jahreshauptversammlung des Museumvereins LauriacumEnns gehalten hat.
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