OÖ. Heimatblätter 1990, 44. Jahrgang, Heft 3

cherorts, in Polen, der Tschechoslowakei und in Ungarn, das Bekenntnis dazu nicht verstummen ließen, sondern ihm einen neuen Inhalt gaben. Bei Mitteleuropa handelt es sich indessen, wie es das Wort schon ausdrückt, um eine Kategorie der räumlichen Gliederung, wofür die Geographie als Raumwissenschaft eine Kompetenz beanspru chen kann. Mitte impliziert die Vorstellung des Mittelpunktes, wo sich die Wege zur Peripherie treffen und über das Geometrische hinaus die am Rande besonders aus geprägten Unterschiede ineinander übergehen. So sympathisch uns die in Görz, Triest, in Friaul, der Lombardei und sogar in der Toskana lebendig gewordene Rückbesinnung auf Mitteleuropa berührt, weil sie unserer Geschichte nach langen Jahren der Ignoranz und Diffamierung gerecht wird, so müssen wir doch zugeben, daß die so zu verstehende Mitte Europas dort liegt, wo sie ohne historischen Ballast, ohne politische Ambitionen sowie obne Gegenwarts sorgen über Neutralität und Sicherheitsrisiko zu suchen ist, nämlich zwischen der jütischen fialbinsel und dem Südfuß der Alpen, dem Rhein und dem Bug. Die Achsen, welche die äußersten Endpunkte Europas verbinden, kreuzen sich hier. Der Übergang vom atlanhschen zum konhnentalen Europa vollzieht sich hier und wird zwischen Elbe und Oder am deutlichsten spürbar. Dazu kommt die Drehscheibe des Verkehrs, die den Norden mit dem Süden, den Osten mit dem Westen verbindet, entlang des Rheins, des Mains und der Donau, über die hessischen Senken und - wenn auch abgewertet durch die Teilung der letzten 45 Jahre - parallel zur Saale und über die Mährische Pforte. Nicht aus Zufall war einst der Potsdamer Platz in Berlin der verkehrsreichste Europas. Über Grenzen Mitteleuropas zu streiten ist müßig, da sie, wie gerade das eben angesprochene, dafür abgegebene Votum in seinem östlichen Teil beweist, im Den ken seiner Bewohner verankert und daher in Raum und Zeit fließend sind. Das der zeit überall so rege gewordene Interesse an seinem politischen Schicksal wäre in die ser Intensität kaum aufgekommen, wenn man es nicht als über alle Grenzen wirken des Zentrum empfände. Aus der Sicht des westöstlichen Lagerdenkens wurde Mit teleuropa gelegentlich - so vom Idistoriker Joseph Rovan - als Gegeneuropa bezeich net. Wer einem solchen Denkmodell, wofür Zeitgeschichtler und Journalisten zustän dig sein mögen, nicht verpflichtet ist, sieht in ihm eine geographische Realität, welche die Vielfalt unseres Erdteils verknüpft und dadurch seine Einheit unterstreicht. Literaturverzeichnis Brunner, O.: Stadt und Bürgertum in der europäischen Geschichte. In: Neue Wege der Sozialgeschichte. Göttingen 1956, S. 80-96. Hakala, J.; On the regional differences of the cost of living in Finnland. In: Nordia 1983, vol. 17, Nr. 1, S. 35-40. Hassinger, H.: Geographische Grundlagen der Geschichte.^ Freiburg 1953. Hofmeister, B., u. K. Rother: Die mittleren Breiten. Geographisches Seminar Zonal. 1985. Jordan, T. G.: The European culture area. New York 1973. Lichtenberger, E.: The Nature of European Urbanism. In: Geoform 4/1970, S. 45-62.

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