OÖ. Heimatblätter 1990, 44. Jahrgang, Heft 3

Ursprüngliche. Ihre Erträge an Getreide und anderen Feldfrüchten gehören zu den höchsten der EG, sodaß die französische Agrarplanung in einem Szenario für das Jahr 2000 hier eine voll industrialisierte Landwirtschaft propagiert hat.^ Wie anders sich Kontinentaleuropa in weiten Teilen präsentiert, zeigt ein dringlicher als jede Statistik und langatmige Erörterung ein Flug über den einstigen Eisernen Vorhang. Auch nach seinem Abbau und dem gegenwärtigen Umbruch wird sich daran lange nichts ändern. Riesige einheitlich bestellte Schläge verstärken den Eindruck der Weite in den großen Ebenen. Da und dort, wie etwa in der Ukraine, unterbrechen sie die langgezogenen Reihen der alten Dörfer mit ihren niedrigen Häuschen und dem kleinen, höchstens einen halben Hektar umfassenden Hofland dahinter, das in privater Hand blieb und in vielem wesentlich mehr erzeugt als die endlosen Flächen des Kollektivs. Auch die Stadtlandschaft ist nicht identisch mit jener im atlantischen Westen, die den Idealtypus der europäischen Stadt verkörpert. Vor allem gilt dies für die rus sische Stadt, und zwar schon für ihren geschichtlichen Auftrag. Die militärische Sicherung und das damit verbundene Interesse des Staates spielte bei ihr eine wesentlich größere Rolle als wirtschaftliche Momente. Eine durch Privilegien geschützte Selbstverwaltung blieb ihr weitgehend fremd. Der Satz „Stadtluft macht frei" ist somit keine Erfindung Osteuropas. Die Burg, der Kreml, als Ausdruck der Herrschaft mit den darauf zulaufenden Straßen, der „Kremltyp", wie es im stadtgeo graphischen Schrifttum heißt, ist ein getreues Abbild der ihr einst zugedachten Rolle.'' Sie verleugnet durch ihre späteren Zutaten auch nicht, welche sie nach der Oktoberrevolution erfüllen sollte. Vor dem Ersten Weltkrieg lebte kaum ein Fünftel der Bevölkerung der Sowjetunion in Städten, heute sind es über drei Viertel. Die Urbanisierung hat somit Ausmaße erreicht, die sie durchaus mit jener im kapitalisti schen Westen vergleichbar macht, und wurde getreu dem Motto „Die Stadt ist die Kaderschmiede des Sozialismus" eher noch mehr als dort durch die Zielvorstellun gen der Planer bestimmt. Die Industrialisierung brachte ihr neue Aufgaben, und die in vorgefertigten Bauteilen hochgezogenen Wohnsilos, die sich in den randlichen Neu bauvierteln konzentrieren, haben ihr Außeres verändert. Daß sie nach wie vor im Dienst der zentralen Obrigkeit und nicht einer selbstbewußten Bürgerschaft zu stehen hatte, zeigt die Gestaltung des Zentrums, die den Architekten der fünfziger und sechziger Jahre vorschwebte. Nicht die Wirtschaftscity mit ihrer Vielfalt an Geschäften, die auch in den höheren Stockwerken das Wohnen verdrängen, wurde bei den Um- und Neubauten zur Leitlinie, sondern die Regierungs- und Parteicity mit der Paradestraße und dem Aufmarschplatz, umsäumt vom Kulturpalast und von den übrigen Repräsentationsbauten der staatlichen Autorität. Die solchermaßen in Stadt und Land, Vergangenheit und Gegenwart in Erscheinung tretenden Gegensätze machen es verständlich, daß bei einer Gliederung nach Kulturerdteilen häufig nicht ein gesamteuropäischer, sondern an seiner Stelle ^ Thiede, S. 367 ff. ' Vgl. dazu Schwarz, S. 345.

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