OÖ. Heimatblätter 1990, 44. Jahrgang, Heft 3

Das atlantische und das kontinentale Europa Der Öffnung zum Atlantik in den mittleren Breiten verdankt Europa seine Lagegunst. Naturgemäß kommt sie im Westen besonders und im Osten mit wachsender Entfernung davon nur mehr abgeschwächt zum Tragen. Einem atlanti schen steht demnach ein kontinentales Europa gegenüber. Die Übergänge sind zwar all mählich, aber um die Unterschiede in ihrer Tragweite nicht zu übersehen, sollte man die Extreme bedenken. Die Moskwa beginnt schon Anfang November zuzufrieren, und die Teiche in ihrer Nähe verlieren erst Ende April ihre Eisdecke. Unter den Brücken von Köln hin gegen treiben meistens bloß drei Wochen lang Eisschollen flußabwärts. Mit kaum sechs Monaten muß das Wachstum der Vegetation im mittleren Rußland auskom men, am Niederrhein stehen ihm acht bis neun Monate und an den Küsten Englands, Wales und Irlands noch mehr zur Verfügung. Der winterharte Nadelwald verdrängt im östlichen Europa immer mehr die Laubgehölze, und nur jene, denen der Frost nicht allzusehr schadet, erreichen den Ural: wie etwa die Stieleiche, die Winterlinde sowie, diesen noch überschreitend, die Zitterpappel, die Eberesche und natürlich die Birke, der vielbesungene russischste aller Bäume. Dem vom Westen kommenden Reisen den wird dies geradezu symbolhaft bewußt, wenn er vom Moskauer Stadtzentrum zum Flughafen Domodjedowo fährt, von wo die Linien in das Innere der Sowjetunion ihren Ausgang nehmen. Im äußersten Westen wiederum, auf den Britischen Inseln, aber auch im westlichen Frankreich, ist die Kälte des Dezembers und Jänners so gering, daß sie dem Laubwald die größere Chance gibt und sogar etliche immergrüne Arten überdauern, darunter die Stechpalme, der Efeu und stellenweise der Lorbeer baum, der mit einem respektablen Umfang noch in der gleichen Breite wie Warschau im Park von Dublin überwintert. Wie in Osteuropa jenseits der südrussischen Getrei desteppe allmählich der Wald zu einer immer mehr hervortretenden Vegetationsfor mation wird, ist es hier die offene Heide mit Ginster und Ericaceen. In Schottland bedeckt sie bis zu einem Drittel des Landes, wozu allerdings der Mensch viel bei getragen hat. Das atlantische und das kontinentale Europa sind indessen nicht nur in ihrer Landesnatur ungleiche Partner, was wiederum in der Gegenüberstellung der Extreme besonders deutlich wird. A grazing kingdom, ein Weidekönigreich, hatte - sicher etwas übertreibend - Gilbert Withe 1788 die Britischen Inseln genannt. Die Enclosure-Bewegung, eine schon im Mittelalter zu Lasten der Bauern und zugunsten der grundherrschaftlichen Schafweidewirtschaft betriebene Zusammenlegung und Vergrünlandung sowie später die forcierte Ausbeutung des Waldes als Lieferant der Holzkohle zu Beginn des Industriezeitalters hatten es dazu gemacht. Mit Hecken umgebene Blockfluren, Einzelhöfe und Weiler, die vielerorts an die Stelle der alten Angerdörfer traten, waren das Ergebnis. Auf der anderen Seite des Kanals, in der Normandie und Bretagne, trägt die Kulturlandschaft der Bocage mit ihren Hecken ähnliche Züge. Weiter im Inneren des Landes, im Pariser Becken und in seinen Randgebieten, sind die offenen, streifenförmig gegliederten Dorffluren das

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