OÖ. Heimatblätter 1989, 43. Jahrgang, Heft 3

Die Frage stellt sich nun, wozu benötigte Josef Schiedermayr einen Heimat schein? Die Antwort lautet: Nicht er, sondern sein Bruder brauchte diesen zur Einwei sung in die Irrenanstalt in Linz. Das Statut dieser Anstalt (seit 1861 Landesanstalt), das von Anton Knörlein (1855-1873 Primarius) schon 1851 entworfen worden war, besagte im § 20: „Das Gesuch um Aufnahme kann von den Angehörigen oder Vertretern des Kranken, von einer Gemeinde oder von einer Behörde geschehen und ist zu belegen: a) Mit dem Zeugnisse zweier graduierter Arzte, hierunter eines Gerichtsarztes, daß der Aufzunehmende geisteskrank sei; b) mit der nach einem vorgeschriebenen Formulare (Fragebogen) und in der Regel vom behandelnden Arzte zu verfassende Krankengeschichte; c) mit der amtlichen Nachweisung der Zuständigkeit (Heimatschein, Paß ec.); d) mit der Erklärung, ob die Verpflegung des BCranken gegen Bezahlung aus dem eigenen Vermögen oder von Anderen und nach welcher Verpflegsklasse erfolgen soll, oder ob sie unentgeltlich beansprucht wird..." [Hervorhebungen v.Verf.]"® Logisch gesehen, war es für Johann Bapt. und Karl Schiedermayr ein leichtes, die Einweisung d^es Josef in die Irrenanstalt zu bewirken: Erstens waren sie als Brüder „Angehörige", die das „Gesuch" stellen konnten, zweitens war es für Dr. Karl Schie dermayr als Bezirksarzt nicht schwer, „zwei graduierte Ärzte, hierunter einen Gerichtsarzt" zu finden, die durch ein „Zeugnis" bescheinigten, „daß der Aufzuneh mende geisteskrank sei" (wie es den Anschein hat, war in kleineren Orten wie Kirch dorf der Bezirksarzt gleichzeitig der Gerichtsarzt, da ja auch meist das Bezirksamt als Bezirksgericht fungierte), drittens war der „amtliche Nachweis der Zuständigkeit" mit dem „Heimatschein" erbracht und viertens waren die Verpflegskosten durch die in guten Positionen sich befindenen Brüder gesichert. Die Einbeziehung des Justizministers - der mit größter Wahrscheinlichkeit eine Kuratelstellung des „kranken" Josef Schiedermayr ausgesprochen oder zumindest angeordnet hatte - durch den „Domherrn" sollte vermutlich eine rasche Erledigung der unleidlichen Angelegenheit ermöglichen. Der Domherr dürfte bei dieser Reise am 71. Dezember 1855 (sie!) - vier Monate nach der Geburt des Kindes Bertha Barghesi -, das ärztliche Zeugnis in der Tasche, den Minister aufgesucht haben. Wie es scheint, konnten dessen eventuelle Bedenken durch die medizinischen Belege zerstreut wer den, denn schon acht Monate später war der „Heimatschein" für Dr. Josef Schiedermayr, 35 Jahre alt, ausgestellt (20. August 1856; also fast genau ein Jahr nach der Gehurt seiner „unehelichen" Tochter Bertha), und es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß Josef Schie dermayr noch im Herbst/Winter 1856/57"' in die Irrenanstalt Linz - die damals noch im Prunerstift^^° untergebracht war - eingewiesen worden ist, wo er sechzehn Jahre (unge rechtfertigt?) verbringen mußte, bevor er am 8. Dezember 1874, 53jährig, verstarb, vier zehn Tage nach der Hochzeit seiner Tochter Bertha -19 - die er sehr wahrscheinlich in den letzten Jahren nie mehr gesehen hatte, da er ja schon 1866 - das Kind war zehn Jahre alt - als „verstorben" gegolten hatte. Der Domherr bemühte sich unablässig um den „Meßfonds"^'^ (Messelesen) in der Kapelle der Irrenanstalt und spendete 1872 einen größeren Posten an

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