OÖ. Heimatblätter 1989, 43. Jahrgang, Heft 3

Warum Geschichtsdramen geschrieben werden Lion Feuchhvanger schreibt hierzu in seinem Werk „Das Haus der Desdemona oder Größe und Grenzen der historischen Dichtung" folgendes: Das wichtigste hAotiv aber, das den echten Dichter dazu bewegt, in gewissen Fällen die Einkleidung ins Historische zu wählen, ist ein Tieferes. Der Dichter, ob ers weiß oder nicht, wählt die historische Einkleidung deshalb, weil er die allzu große Nähe vermeiden, weil er das Darzustel lende erhöhen, „darstellen", auf eine Bühne stellen, weil er es distanzieren will. Der Autor weiß, daß man eine bessere Perspektive nur aus der Distanz gewinnen kann, daß man die Linien eines Gebir ges aus der Entfernung besser erkennt als mitten im Gebirge. Der Autor, um sein zeitgenössisches Weltbild klarer aus sich herauszuprojizieren, rückt es in eine größere räumliche Entfernung. Er gestaltet nicht Geschichte um ihrer selbst willen, ersieht im Kostüm, in der historischen Einkleidung, im Stilisierungsmittel, ein Mittel, auf einfachste Art die Illusion der Realität zu erzielen. Erzwingt sich selber und zwingt auch den Leser, zurückzutreten, nicht die einzelnen Teile zu betrachten, sondern das Ganze zu überschauen, zwingt sich und ihn, zeitgenössische Inhalte aus der Perspektive zu sehenA Es ist eine bekannte Tatsache, daß sich bestimmte Epochen ganz bestimmten vergangenen Epochen in ihrem Wesen und in ihrer Weltsicht verwandt und sich besonders zu diesen hingezogen fühlen. Heimito von Doderer drückt dies in seinen „Dämonen" besonders treffend aus: fedes Zeitalter hat seine Vorlieben unter den vorhergegangenen Perioden, und das nennt man dann Renaissance oder Romantik oder Klassizismus oder sonstwie. ..an solchen Kehren leben ganze Völker und Kulturkreise dicht an einem früheren Abschnitte, ja tatsächlich viel näher als etwa am Jüngstvergangenen. Gebärden und Fühlweisen und Denkweisen kehren wieder und selbst die Landschaft wird in der wiedererwachsenden Art von ehemals gesehen: jedoch auch diesmal ist's ja etwas gänzlich Neues, Frisches - und so wird es auch erlebt! - denn eigentliche Wiederholung gibt es nicht. Jedesmal muß die Vergangenheit neu geordnet und gesichtet werden, da ja jedesmal ihr Schwerpunkt, nach welchem sich alles richten muß, anderswohin verschoben ist: nämlich in eine andere Gegenwart und das heißt aber zugleich auch in einen anderen jetzt tiefinnerlich verwandten und höchst gegenwärtigen Teil der Vergangenheit. Deshalb ist jede echte Geschichtsschreibung („wie ein großer Denker gesagt hat"), Geschichte der Gegenwart, mag sie auch jeweils mit Römer zeiten oder dem hohen Mittelalter oder irgendeiner anderen Zeitspanne sich befassen. Nein, die Vergangenheit ist nichts Festliegendes, wir gestalten sie immer neu. Die ungeheuren Massen ihrer Tatsachen sind nichts, unsere Auffassung davon aber ist alles. Darum muß jede Zeit von neuem Geschichte schreiben.^^ Diese Aktualisierung der Vergangenheit, die in der Dichtung wahrscheinlich am deutlichsten zum Ausdruck kommt, macht sich schließlich unter anderem der Historiker zunutze, zumal er durch die in der Dichtung zutage kommenden Wünsche " Lion Feuchtwanger, Das Haus der Desdemona oder Größe und Grenzen der historischen Dichtong. Rudolfstadt 1961, S. 156. (Zit. nach Martin Huber, Reformation und Bauernkrieg, S. 34 f.) Heimito von Doderer, Die Dämonen. Nach der Chronik des Sektionsrates Geyrenhoff. München 1956, S. 109 f.

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