OÖ. Heimatblätter 1989, 43. Jahrgang, Heft 3

bezeichnen könnte und die sich bis zum Ende der sechziger Jahre erhalten, ihren Höhepunkt aber in den fünfziger Jahren erreicht hatte. Im Blick auf die Konsolidie rung der neuen staatlichen Ordnung wird „Witiko" zum Leitbild rechten und richti gen politischen Handelns. Aus katholischer Sicht erörtert Eberhard Horst mehrmals („Kirche in der Welt", 1953; „Stimmen der Zeit", 1953/54; „Stuttgarter Zeitung", 1954) das Verhältnis von „Freiheit und Bindung" in Stifters „Witiko". Dessen Vorbildhaftigkeit für die „junge Generation" bestehe darin, daß gezeigt wird, wie man „in die Ordnungsgefüge der Menschen und in die höhere Ordnung Gottes" hineinwachsen müsse, um jene „Freiheit des Menschen" zu gewinnen, wie Stifter sie versteht, als „Freiheit der Ent scheidung für die jeweils höhere Bindung". Nur der „Primat des Sittlichen vor dem Politischen" könne die unheilvollen Auswirkungenneuzeitlicher Staatsautokratie und politischer Ideologien wirksam bekämpfen. Die „Betrachtungen zu ,Witiko' von Heinz Speiser (1969) sind in diesem Zusammenhang insofern interessant, als sie uns zum nächsten und letzten Rezep tionsmuster führen werden. Der „Witiko" enthalte nämlich „ein politisches Bekennt nis", das Speiser „noch ungehoben erscheint": „das friedliche Nebeneinander der Volksstämme".Er denkt dabei nicht nur an „die Möglichkeiteines gutnachbarlichen Zusammenlebens" zwischen Tschechen und Deutschen, sondern entwirft eine kos mopolitische Perspektive, im Zeitalter der Weltraumfahrt für ihn die einzig angemes sene, aus der Partikularismus, Chauvinismus und Dogmatismus anachronistisch erscheinen.Damitführt er jene Tradition weiter, die bereits in der Zwischenkriegszeit angesichts des aufflammenden Nationalitätenstreites in Böhmen den „Witiko" als Manifestation eines „Weltbürgertums aus dem Geiste Herders und Goethes" (Dopp ier) gedeutet hat, wie z.B. der pragerdeutsche Dichter Johannes Urzidil. Der durch die nachhaltige Identifizierung der Sudetendeutschen gerade mit „Witiko" bedingte Rezeptionstypus weist folgende Divergenz auf: Auf der einen Seite steht der nationalistische „Witikobund", in dessen Publikationen der „Witiko" nicht mehr als Mahn- und Trostbuch erscheint, sondern als Kampfschrift. „Witikos Ritt, sein friedlicher Ritt nach Böhmen, ist auch unserer Generation aufgetragen. Und Witikos Land muß wieder das Land unserer Kinder werden", so heißt es in einem Vor trag von Franz Höller auf einer Tagung des Witikobundes 1955. Andererseits hat Josef Mühlberger bereits Ende der zwanziger Jahre so wie der Prager Dichter Urzidil Stifter als Kosmopoliten und „Witiko" als Modell der friedlichen Koexistenz zwi schen Deutschen und Slawen propagiert. Stifter habe im „Witiko" die böhmische Geschichte als Zeugen aufgerufen für das Unglück, das durch Machtstreben, Gewalt und Rache entsteht, und seiner Überzeugung Ausdruck gegeben, daß das „Wort stär ker als die Wurfschleuder" sei - letzteres Zitat stammt aus einer Rede Witikos. Aus tschechischer Sicht - „Witiko" erschien nach dem Wissen des Vortra genden erstmals 1926 und neuerlich 1953 in tschechischer Sprache - ist ein Nach wort zu der letzteren von Bedeutung,in dem der Autor, der Prager Germanistund Bibliothekar Ladislav Heger, die positive Einstellung Stifters den Tschechen gegen über unterstreicht, die er in Abhängigkeit von Herders Glauben „an eine ruhmvolle Zukunft der Slawen" sieht. Stifter habe dieses Werk „auch für die Tschechen"

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