OÖ. Heimatblätter 1989, 43. Jahrgang, Heft 3

Ordnungen - all das mußte dieses Werk nach 1945 im Kontext der Erfahrungen von Faschismus und Krieg, von Zerstörung und Wiederaufbau als „tönendes Echo" der Zeit erscheinen lassen. In diesem Sinne sind auch die Rezeptionsangebote in den Vor- und Nach worten der „Witiko"-Ausgaben nach 1945 zu verstehen. Auch der „Witiko" wurde durch die Brille des „sanften Gesetzes" gelesen, d. h. als Darstellung und Nachweis eines zu allen Zeiten in der Geschichte wirksamen Gesetzes, das durch den Sieg des Guten die Erhaltung des Menschengeschlechtes garantiert. Diese geschichtsmetaphysische Deutung ist durchaus gekoppelt mit der Affirmation allgemeinmensch licher, insbesonders ethischer Grundsätze. Man begegnet ihr bereits im Vorwort zu der 1946 erschienenen Ausgabe des Scientia-Verlages in Zürich (jetzt in Aalen), wo Konrad Steffen meint: Im „Witiko" stellt Stifter „das Walten des sanften Gesetzes" in der Geschichte dar, das mit eiserner „Folgerichtigkeit von Sünde und Strafe" bewirkt, „daß Völker und Stämme emporkommen und schwinden, daß Frevel den Frevel ruft und nur Vernunft und Mäßigung den Frieden bringen". Große Breitenwirkung hat Fritz Krökels Nachwort zur Winkler-Ausgabe aus dem Jahre 1949 erzielt, da sie von verschiedenen Buchgemeinschaften in Lizenz verbreitet worden ist. Krökels auf lite rarhistorische Sachlichkeit bedachter Kommentar enthält interessante Hinweise auf die Rezeptionsgeschichte wie auf Aktualisierungsmöglichkeiten im zeitgeschicht lichen Kontext. Zum einen tritt er der nationalsozialistischen Aneignung des „Witiko" entgegen, wie sie in bestimmten Kreisen der Sudetendeutschen nachgewirkt hat. Zum anderen appelliert er in seinen Schlußworten - zu einem Zeitpunkt, da mit der Währungsreform der Grundstein für das Wirtschaftswunder gelegt war - an die Gegenwart: „Was wäre ,Witiko' ohne das Herzogtum Böhmen? Und was wäre sein Land und Volk, wenn nicht Menschen wie Witiko in ihm lebten und wirkten und zu Macht und Ansehen kämen? Da gibt es kein Auseinanderklaffen, das Land und der Einzelne gedeihen miteinander und verderben miteinander, die Zusammengehörig keit, der Einklang ist vollkommen. Unter diesem Gesetz sieht und erzählt Stifter die Begebenheiten. Und uns dünkt, daß er damit, und in manchem anderen, in die Zukunft weist." Bernt von Heiseler hat in der Einleitung zur Volksausgabe von Stifters Wer ken (Bertelsmann, 1965/69) „ein Wort zu sagen zu den Geschicken des böhmischen Raumes, der den Deutschen und Tschechen gleicherweise zugeordnet und nach den Ereignissen der jüngsten Zeit als Aufgabe ganz neu gestellt ist, einer versöhnlichen Lösung harrend". Mit ambivalenten Gefühlen wird den Deutschen die Aufgabe der Völkerverständigung zugewiesen; Stifters Werk, „das aus der Wesensmitte des Deutschtums kommt", könne dabei „bedeutsame Hilfe" leisten. Und noch 1952 bezeichnet er „Witiko" als „heiliges Buch" und faßt die Heilkraft dieses Buches mit den lapidaren Worten zusammen: „Hier geschieht nur das eine, das Einfache: Eine Ordnung wird verkündet. Die Ordnung aber ist es, die uns nottut, sie ist es allein, die uns hilft" (Heiseler, aus „Gedanken zu ,Witiko'"). Heiseler liefert das Stichwort für eine andere Akzentuierung des metaphy sisch-idealistischen Paradigmas: „Recht und Ordnung", „Sitte und Gesetz" werden zu Schlüsselbegriffen einer Leseart des „Witiko", die man als moralische Aufrüstung

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