nahmen, Fotos u. a. Es entzieht sich die Wirklichkeit unserer Umwelt, gleichwohl wir sie aus zweiter Hand ganz nahe vor die Augen gehalten bekommen, durch Zeitung, durch Radio, durch Fernsehen, und es scheint manchmal, als wäre trotz aller Lang streckenflüge, trotz aller Warenverschleppung rund um den Erdball irgendwo das Weltgefühl abhanden gekommen. Je vollkommener die technische Optik, die wir auf die Wirklichkeit richten, ist, um so mehr scheint der einzelne Bürger von einer halb blinden Maulwurfexistenz bedroht. Die Krise der Wahrnehmung der Realität trifft die Literatur zweifach: einmal den Hersteller. Was kann er heute für Wirklichkeit nehmen im Sinne eines Ausschnit tes aus einem Realitätskontinuum? Oder anders ausgedrückt: Wo muß er sein Ohr hinhalten, um „Urtexte" wahrzunehmen? Und dann denjenigen, der hier einmal als Verbraucher von Literatur bezeichnet werden soll, denn er ist ja von den Produkten abhängig. Die schriftstellerische Schöpfung kommt aus einer gewissenhaften Haltung, aus einem ursprünglichen Ernst und begegnet einer unseriösen und teilweise verdor benen Sprachhaltung der Konsumgesellschaft. Man sehe nur, wie die Werbung mit der Sprache umgeht, und man sehe, wie sich Werbung ausbreitet. Auf das Manipu lieren mit Sprache wird viel mehr sprachschöpferische Energie verwendet als auf die Literatur, die nur sich selbst vermitteln will und sonst nichts. Der „ernste Text" muß sozusagen vom Schriftsteller als „Hacker" in das ab geschottete System eines sich selbst mehr weniger fremden Menschen eingebracht werden und dort das Virus der Selbstfindung hinterlassen. Fehlende Kompetenz im Umgang mit Sprachgut erschwert natürlich den Zugang. Und Freiheit im Umgang mit dem Bildungsgut Sprache ist vielfach begrenzt. Der Bürokratismus kann dort erfolgreich auftreten, beeinflussen und zugleich seine Aktivitäten verschleiern, wo die Kompetenz fehlt oder nicht wahrgenommen wird. Für eine lebendige Region gibt es keine Grenze. Sie widersteht der bürokrati schen Fernsteuerung. Sie ist durch Kommunikation und Literatur gekennzeichnet. Wenn aber eine Region an ihren Äußerungen gehindert wird, dann liegt eine negative Herrschaftsausübung vor. Dann wird eine Region neurotisiert. Die Literatur macht die Region! Kann man einer Region wirklich eine „literarische Identität" zusprechen? Wir meinen, ja. Wir meinen, Literatur kann in einer Gesellschaft als Emulgat vorhanden sein. Wir glauben, daß es einen Konsens unter einer Reihe von Menschen geben kann, der sich von einer literarischen Kultur ableitet, und daß es von daher rechtens ist, von einer literarischen Identität zu sprechen und zugleich von einer Identität überhaupt. Fehlt diese Identität, findet eine Region nicht zu ihrem sprachlichen, zu ihrem künstlerischen Ausdruck, so wird sie zu einem Kaspar Hauser. Bald regt sich der Wunsch: „A söchener Reiter möcht i wärn, wie mei Vater aner gewesen is." Wie sehr erinnert dies an den rückwärts gewandten Umgang mit dem Begriff „Heimat". Er stellt vergangene geschichtliche Verhältnisse als einzig wünschenswert hin. Es war 165
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