OÖ. Heimatblätter 1988, 42. Jahrgang, Heft 3

Literatur und Öffentlichkeit Die Öffentlichkeit hat einen berechtigten Anspruch auf Neues auf dem Ge biet der Literatur, wenn man davon ausgeht, daß das kreative Schrifttum von all gemeiner Bedeutung ist - und das ist weitgehend unbestritten -, und wenn man wei ters davon ausgeht, daß die sich ständig verändernden regionalen Text-Substrate immer wieder neu von den Schreibenden entschlüsselt werden müssen, da sie von Wichtigkeit für eine vertiefte, durchgestaltete Lebensführung des einzelnen und der Allgemeinheit sind. Freilich wirkt das bislang Ungehörte oft stark befremdend, erschütternd. Veränderung stößt mit dem Neuen immer auch gewohnte, vertraute Gegenwart in die Vergangenheit, hat damit etwas von Abschied und Tod. Das Neue wird als etwas Unerhörtes empfunden und führt unter Umständen zu einer Aus einandersetzung in der Öffentlichkeit. Die Erschütterung kann verschiedene Formen annehmen: Aufregung, Protest, Skandal etc. Doch wer bei diesen eigentlich vorkriti schen Stufen der Beschäftigung mit Literatur hängenbleibt, beharrt, genaugenom men, im Zustand des Illiteraten. Er ist kein wirklicher Leser. Gewisse Gruppen beschäftigen sich unter einem sehr verengten Aspekt mit Geschriebenem. Sie wollen nicht nachvollziehen, sondern sie lesen, um zu finden, was sie suchen. Sie fühlen sich als Angehörige einer imaginären oder wirklichen Interessensgruppe und suchen nach Stellen, die das Selbstbild ihrer Gruppe beschä digen könnten. Rnden sie dann solche, so ist der Text schlecht, finden sie keine, dann mag er hingehen. Ihre Gesichtspunkte sind außerliterarisch. Sie verfechten eine Scheinmoral, die sie oftmals mit Hilfe von Bigotterie und Prüderie abschirmen. Sie wollen den „Urtext", der hinter angesprochenen Sätzen steht, gar nicht kennenlernen. Diese Haltung ist oft unbewußt oder nur teilweise bewußt, sie wird von irrationalen Mechanismen beherrscht. Verdrängung und Unterdrückung einer „wirklichen Wirk lichkeit" spielen eine wesentliche Rolle. Angst kommt hinzu. Um wirklich lesen zu können, darf man nicht ängstlich sein. Gerade die verschiedenen Werthaltungen, die dann in der Summe eine Ideologie ergeben, sind auch Inhalt jeder Literatur. Sie spricht vom Aufeinander prallen verschiedener Ideologien. Von der Literatur selber aber Ideologie zu erwarten, dies ist ein Grundirrtum, dem der literarische Laie gern erliegt. Er meint, in der Ideologieverkündung liege das schriftstellerische Engagement. lean Paul Sartre, selbst gewiß nicht der Ideologiefeindlichkeit verdächtig, sagt: „So engagiert sich der Schriftsteller, wenn er in sich eintaucht mit der Absicht, nicht sein Individuum aus zudrücken, sondern seine Person innerhalb der komplexen Gesellschaft, die ihn bedingt und trägt." Und an anderer Stelle ebenso deutlich: „Die schlechte Literatur rettet sich durch ihren ideologischen Inhalt und die Politik wird schlechte Literatur." (In „Was kann Literatur?") Als Mitglied einer Zeitschriftenredaktion lernt man auch den Wunsch man cher Zeitgenossen kennen, daß sich die modernen Schriftsteller mit vergangenen Literaturepochen identifizieren mögen; der heutige Literat solle so tun, wie seine schreibenden Großeltern oder Urgroßeltern getan haben, er solle im Grunde Bekann tes wiederholen. Diese Menschen lieben den Gedanken an die „schöne" Literatur 163

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