OÖ. Heimatblätter 1988, 42. Jahrgang, Heft 2

spricht (S, 1.826) von dem ,Kristallgewölbe eines Gletschers' [richtig:..unter das Krystallgewölbe eines Gletschers..d. Verf.] und schreibt dem Eise im Gewölbe ,ganz vollkommene Ähnlichkeit mit dem reinsten Bergkristalle' zu" (S. 267). Auch die Farbangaben stimmen überein; Simony hatte da von aber nicht gesprochen, zumindest erwähnte er es nicht im Brief an Emil Kuh. Stifter hat also - wie Gustav Wilhelm nachwies - Simonys Schilderun gen „wahrscheinlich bald nach ihrem Erscheinen", also 1843, gelesen und 1844 die persönlichen Ge spräche mit Simony geführt, so daß die Entstehung der Erzählung in diese Zeit zu verlegen ist und nicht in das Jahr 1845, in welchem Stifter übrigens an den „Schwestern" arbeitete, was ihm Heckenast, der ihn in Linz besucht hatte, dringend ans Herz legte, da die Erzählung fürs Jahrbuch „Iris" für 1846 benötigt wurde. Außerdem arbeitete er noch an der Erzählung „Der beschriebene Tännling" (er schienen 1846 in: Rheinisches Taschenbuch) und an der Umarbeitung der „Journalfassungen" für den 3. und 4. Band der „Studien"-Buch-Ausgabe bei Heckenast. Wie hätte Stifter bei dieser Arbeitsüberla stung noch Zeit gehabt, an „Der heilige Abend" (Bergkristall) innerhalb von drei oder vier Mona ten zu „feilen", da die Erzählung ja schon zu Weih nachten (20.-27. Dezember, in: „Die Gegenwart". Wien. Nr. 67-69, 71) 1845 erschienen war? Interes santerweise führte Wurzbach (Biographisches Le xikon. 34. Bd. Wien 1877, S. 324), der Simony noch persönlich kannte und viele Details aus seinem Le ben mitteilte, an: „...bemerkenswerth ist, daß die Schilderung des tief unter dem Gletscher sich hin ziehenden Eisgewölbes zu Adolph (!) Stifters's Er zählung: ,Bergkrystall', in dessen,Bunte Steine' die Scenerie lieferte..." Wurzbach gibt aber keine „Be gegnung mit den Kindern" an, und damit ist der Punkt erreicht, der zu einer genaueren Betrachtung des Briefes Simonys vom 19. August 1871 an Emil Kuh führen soll. Wird dieser Brief aufmerksam ge lesen, so verrät er viele interessante Details (S. 467 f.): Simony teilt mit, daß Stifter ihn „drin gend aufgefordert" habe, „nicht blos mit Bleistift und Pinsel, sondern auch mit der Feder zu arbei ten"; er brauche nur zu schreiben, wie er erzähle. Stoff hätte er für ganze Bücher, und der Verleger würde sich gewiß Hnden. Das heißt also, Stifter hatte Simony zu schriftstellerischer Arbeit ermun tert, was sicher überflüssig war, denn Simony hatte sich in dieser Hinsicht schon bewährt, und zwar nicht nur durch seine genauen und spannend ge schriebenen Erlebnisberichte vom Hohen Dach stein, sondern auch durch seine Erzählung „Hüt teneck", die er als Beitrag für das „III. Monatsheft li terarisch-belletristischen Privat-Vergnügens" (15. März-15. April 1845; Handschrift), „herausge geben" vom Sohn des Fürsten Metternich, Richard, als Niederschlag des im Salon Metternich versam melten „literarischen Kränzchens" verfaßte. (Stifter lieferte den Beitrag „zur Psichologie der Tiere. Vgl. SW XVII. Anmerkungen, S. 382 f.). Weiters führt Simony an, daß er manches „früher... aus Gesprächen und Schriften Stifters entnommen" habe, was beweist, er hat Stifters Er zählungen und Novellen gelesen (S. 45 7 f.). Gleich eingangs des Briefes aber bekennt er, daß „... der verknöcherten Phantasie eines alten Schulmeisters ... alte Erinnerungen... leider... nicht immer belie big zu Gebote" stehen und sich die „traurigen Ne bel des Lebensherbstes über die farbenreichen Ge filde der Vergangenheit gelagert..." haben. Mit der verknöcherten Phantasie hatte Simony nicht den Einfallsreichtum gemeint, sondern sein Erinne rungsvermögen, denn daß seine Phantasie noch ta dellos funktionierte, bewies er in der zur Entste hungsgeschichte des „Bergkristalls" - Simony spricht davon (S. 463), Stifter habe das Bild von der Gletscherhöhle „im ,Bergkristall' unter die Leute gebracht und so unnachahmlich schön, dass es kein Mensch schöner hätte fertig bringen können" - nachgelieferten „Begegnung mit den zwei Kindern", die bei einem Regenspaziergang erfolgt sein sollte. Wer halbwegs die Berge und das dort oft blitzschnell wechselnde Wetter kennt, wird zu stimmen, daß bei Regen sofort Nebel einfällt, der die Sicht sehr stark behindert, so daß oft die aller nächsten Gegenstände in der „Nebelsupp'n" unter tauchen. Wie sollte nun ein so erfahrener Bergstei ger, wie Simony, seinen Gast ausgerechnet bei „an haltendem Regen", der „nicht nur die ganze Nacht hindurch angehalten, sondern ... noch an Intensi tät und Stetigkeit" zunahm (S. 460), zu einem Spa ziergang geleitet haben? Der logische Schluß: Phantasiegebilde! liegt aus zwei Gründen nahe: 1. Simony hatte seine au genblickliche Situation während des Briefschrei bens - „das abscheulichste Unwetter" (S. 454) - in seine Schilderung einbezogen und 2. die Begegnung mit den Kindern als „Ideenassociation" und „Retouche des besagten Bildes" als literarische Ergänzung zur Entstehung der Stifterschen Erzählung, die er si cher kannte, erfunden. Stifter schrieb nämlich be reits am 9.1.1845 (nach dem Zusammentreffen mit Simony bei Metternich und im Zusammenhang mit einem geplanten Salzkammergut-Album) an

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