OÖ. Heimatblätter 1988, 42. Jahrgang, Heft 2

3 Tagen habe ich die Grippe, die hier wieder nebst der Cholera besessen wird... Hätte ich nur ein bischen ein Geld,... aber ich hab' halt keines - ... Du schreibst von Schlingen. Keine neue und keine alte ist um meinen Nahen geworfen; denn jenes eine schöne ferne zarte Lichtgewebe aus meinem Jugendhimmel, das sich noch immer um mein Herz flicht, kann doch nicht Schlinge getauft werden... Wie ich mich sonst befinde? Ei, seit ich in Wien bin, nie so miserabel. Das Nervenfieber, welches sehr stark hier epidemisirte, hab zwar ich selber nicht gehabt, aber zwei meiner Schüler, wovon einer richtig von hinnen ging, der andere aber für heuer aussezte... willst Du noch mehr, um zu begreifen, daß es zum Teufels werden ist ganz und gar- kann ein Christ derlei Ungemächer vor aus sehen oder ihnen mitten im Curse abhelfen? Ich bin auch wirklich in eine Lage gerathen, daß ich manchen Tag nicht weiß, wovon ich morgen leben werde, und daß es vor Ostern sich ändere, ist gar keine Rede -... Es war entsezlich einsam in Wien... denke über die Alpen an Deinen traurigen Freund... In diesem Brief an seinen Freund äußerte sich Stifter rückhaltlos zu seiner finanziellen Situation und seiner seelischen Befindlichkeit und betonte ausdrücklich, daß er kein Geld habe, manchen Tag nicht wisse, wovon er am nächsten leben solle, und daß sich dieser Zustand bis Ostern (3./4. April) nicht ändern werde; daß keine alte Schlinge (Fanni) und keine neue (Amalia) um seinen Nacken geschlungen sei, daß er „knirschen oder weinen" möchte, denn „elend ist alles ohnehin". Diese Metapher „elend ist alles ohnehin" wiederholte Stifter in zwei weiteren Briefen (17. Juni, 9. Dezember 1836). Eigenartigerweise beklagte er sich in seinen Freundesbriefen immer wieder über Zeitmangel, der ihn am Briefeschreiben hindere, fügte aber doch seitenlange Abschriften von Gedichten anderer Autoren bei oder referierte über Neu erscheinungen. Jedesmal, wenn er einen Rügebrief wegen zu langem Schweigen erhielt, lautete seine Antwort, er hätte „aus Liebe" nicht geschrieben, weil zum Schrei ben die Zeit fehlte, um mit dem Freund „am Papier" zu „wohnen, essen, schlafen, spa zieren gehen, - kurz, recht zu Hause sein - ihn lieben und weit und breit kein Ende machen" zu können „mit Plaudern"^'. Die Schritts teilerei, die er um diese Zeit seit län gerem betrieb - „die Poesie feiert nicht" - und durch die er sich „anderen überlegen fühlte", war noch keine Erwerbsquelle, weshalb er an das „Stundengeben" gebunden blieb, dürftig genug, was den Ertrag betraf. Neuerlich bewarb er sich um eine „fixe" Stelle als „Assistent für Physik und Mathematik" und hatte „dieser Tage" (Mitte Juni) „viel Herumlaufens", abermals umsonst. Sein Realitätsbezug stand hinter seiner Phantasie und seinen Sehnsüchten zurück. Am 24. Juni schreibt er an seinen Freund Sigmund Freiherr von Handel: ... Meine himmelstürmenden Ideale der Frauenliebe sind elend hin, das Herz, närrisch und warm, einst pochend in Qberlust, und die Herrliche, Schwärmerische, Trunkene, Treue, Seraphreine, Künftige mit der namenlosesten, unsäglichsten Üherschwenglichkeit lieben wollend, mußte lächerlich verpuffen zwischen Himmel und Erde, und niemand war entzükt über seine schönen Raketen, niemand wärmte sich an seinem stillern Fortbrennen, höchstens die eine oder andere Suppe wurde daran gekocht, und aller Satan. Selbst alle Afterwüchse jener Wollustpoesie, zu deren Kelch ich griff, waren doch nur dumme Wülste an demselben Kaktus, an dem die wunder bare Gluthblume hätte blühen und leuchten können, das dürftige Herz vergriff sich nur am

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