OÖ. Heimatblätter 1987, 41. Jahrgang, Heft 4

wenn er 1891 in der „Überwindung des Naturalis mus" den naturalistischen Roman als erledigt an sah: „Sein erledigtes Schicksal werden nun wohl die Professoren in ihre Vorlesungen setzen." Nach Gottfried Keller und Fontane hat sich der gesell schaftskritische Roman, an deren und der großen Engländer und Franzosen Tradition anknüpfend, weiterentwickelt, wie etwa die Namen Hermann Broch oder Heinrich Mann bezeugen. Meist aber hatte er mit seiner Intuition recht; im übrigen ist sein Österreich-Romanzyklus ein schlagender Be weis gegen diese seine vorschnell geäußerte Mei nung. Nachdenklich stimmen muß das Resultat der Beschäftigung Bahrs mit der Nationalökono mie, die er 1884 in Berlin zu studieren begonnen hatte: „... Sie war uns fast, was den Neugierigen heute der Okkultismus ist: Einsicht in die geheim sten, Völkerschicksal bestimmenden Kräfte ver sprachen wir uns von ihr, auch wir wollten Zau bern lernen, eine glücklichere, würdigere Zukunft der Menschheit herbeizaubern." 1889 notiert er von dieser „schönen Wissenschaft, in der alles wahr ist": „...wenn ich alle Halbjahre einmal wie der nach einer ihrer Zeitschriften greife, finde ich immer den nämlichen Artikel ,Zur gegenwärtigen Wirtschaftskrisis'.' Man sieht. Bahr war jedenfalls originell. Schon darum ist unserer Landesregie rung und der Stadt Linz dafür zu danken, daß sie neben anderen das Erscheinen dieses Buches ge fördert haben. Josef Demmelbauer Kurt Luger: Medien im Jugendalltag: wie gehen die Jugendlichen mit Medien um - was machen die Medien mit den Jugendlichen? {-= Kulturstudien Bd. 7.) Köln - Wien - Graz: Böhlau 1985. 291 Seiten. ISBN 3-205-08865-5. Ein ungeheuer pessimistisches Bild der Ju gendkultur zeichnet Kurt Luger in seiner Arbeit „Medien im Jugendalltag". Kaum in einer seiner fünfzehn Fallstudien werden die Medien, von Fern sehen, Video, Tonband bis hin zum kaum gelese nen Buch, gebraucht, um sich zu informieren, son dern eher um die alltägliche Langeweile nicht überhandnehmen zu lassen. Eine der aufgestellten Thesen lautet, daß Lebensprobleme Auslösefaktor seien für eine bestimmte Art von Medienverhalten und nicht umgekehrt. Jugendliche, die Beziehungs schwierigkeiten innerhalb ihres Familienverban des nicht zu lösen vermögen, bauen sich mittels der Medien, an erster Stelle stünde hier wiederum das Fernsehen, eine Scheinwelt auf. Stundenlanges Fernsehen gewährleiste eine Flucht aus dem Fami lienalltag: „Die Familie wird von vielen Jugendli chen auch als ,Reservat für Herrschaftsausübung' erlebt, mit dessen Hilfe die Unterwerfungszwänge des Produktionsprozesses, dem die Erwachsenen ausgeliefert sind, für diese gewissermaßen erträg lich gemacht werden - allerdings zu Lasten der Jugendlichen." Die Flucht vor den Fernsehapparat - aus welchen Gründen immer - ist sicherlich eines der bedauernswertesten Phänomene unseres bezie hungsärmeren Medienzeitalters. Auch ältere Men schen verbringen mangels Kontakten mit der Außenwelt Stunden vor dem Fernsehgerät. Doch erscheint mir gerade die Auswahl der jugend lichen Gewährspersonen eher in Richtung einer wahrscheinlich unbewußten Untermauerung der vorgestellten These zu gehen. In den erhobenen Lebensumständen der befragten Personen scheint die Mehrzahl aus nicht intakten Familienverhält nissen zu stammen (Vater Trinker, Medikamentenmißbrauch), oder sie mußten einen einschnei denden Bruch in ihrem Leben erfahren (Tod eines Elternteiles). Auch bei funktionierendem Familien leben handelt es sich meistens um Jugendliche, die die Schule nicht beendet oder eine abgebrochene Lehre hinter sich haben. Die Selbstdarstellung der befragten Jugendlichen zeigt tatsächlich einen er schreckenden Mißbrauch der Medien auf, gerade auch Fernsehen scheint eine Art Sucht zu erzeu gen. Unglückliche Familienzusammenhänge dürf ten tatsächlich einen entscheidenden Einfluß auf das Medienverhalten haben, doch meine ich, daß, gesamt gesehen, doch prozentuell weitaus weniger Jugendliche Fernsehen als Narkotikum und Verdummungsinstrument benutzen. Derartig triste Lebensumstände generell bei den meisten Jugend lichen zu vermuten, widerstrebt meiner prakti schen Erfahrung. Ein Film wird nach dieser Unter suchung kaum mehr oder weniger zweckfrei zur Information, zur Unterhaltung oder als Animation bei Handarbeiten etc. erlebt, sondern dient haupt sächlich der Kompensation von Frustrationen und Depressionen bei unerträglich gewordenen All tagsbelastungen. Der Eindruck, der bei der Lektüre dieses Bu ches entsteht, dem ein Forschungsauftrag des Bun desministeriums für Wissenschaft und Forschung zugrunde liegt, ist ein derartig trostloser, daß er schleunigst maßgebliche Politiker auf den Plan rufen sollte, um geeignete Gegenmaßnahmen durch Erwachsenenbildung oder Familientherapie ins Leben zu rufen. Elisabeth Schiffkorn

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