OBEROSTERREICHISCHE 41. Jahrgang Heft 4
7 OBEROSTERREICHISCHE 41. Jahrgang 1987 Heft 4 Herausgegeben vom Landesinstitut für Volksbildung und Heimatpflege in Oberösterreich Elisabeth Aistleitner-Schögl Der oberösterreichische Vierkanter im Wandel der Gegenwart Herbert Kneife! Maulbeerpflanzungen in Enns im 19. Jahrhundert Zur Geschichte der Seidenraupenzucht in Oberösterreich Hans Sperl Materialien zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Mühlviertels Ehemalige Brauereien im Bezirk Urfahr-Umgebung Romana Niederdorfer Godenschalen aus der volkskundlichen Abteilung des Ennser Museums Friedrich Wilhelm Kremzow Das Projekt einer Zahnradbahn auf die Hütteneckalpe bei Bad Ischl Alois Zauner Der „Bauernbefreier" Hans Kudlich Zu seinem 70. Todestag Fritz Feichtinger Bruckner & Forster. Die Bruckner-Büsten von Franz S. Forster, St. Florian Alfons Wunschheim Das Oö. Jagdmuseum in Schloß Hohenbrunn bei St. Florian Zu seinem 20jährigen Bestehen Manfred Bayer Ziele der wissenschaftlichen Weiterbildung an der Universität Linz Buchbesprechungen
Medieninhaber: Land Oberösterreich Herausgeber: Landesinstitut für Volksbildung und Heimatpflege in Oberösterreich. Leiter: W. Hofrat Dr. phil. Dietmar Assmann Zuschriften (Manuskripte, Besprechungsexem plare) und Bestellungen sind zu richten an den Schriftleiter der Oö. Heimatblätter: Wiss. Oberrat Dr. phil. Aldemar W. M. Schiffkorn, Landesinstitut für Volksbildung und Heimatpflege in Oö., 4020 Linz, Landstraße 31 (Landeskultur zentrum Ursulinenhof), Tel. 0 732/2705 17-0* Jahresabonnement (4 Hefte) S 160,- (inkl. 10% MwSt.) Hersteller: Druckerei Rudolf Trauner Ges. m. b. H., 4020 Linz, Köglstraße 14 Für den Inhalt der einzelnen Beiträge zeichnet der jeweilige Verfasser verantwortlich Alle Rechte vorbehalten Für unverlangt eingesandte Manuskripte über nimmt die Schriftleitung keine Haftung ISBN 3-85393-042-5 Titelbild: Zweig eines Maulbeerbaumes. Aus: Ludovicus Reichenbach: Icones florae germanicae et helveticae. Vol. XII. Lipsiae 1850 (Bibliothek des Oö. Landesmuseums) Mitarbeiter: Dr. Elisabeth Aistleitner-Schögl, Knollerstraße 7, 6020 Innsbruck Dr. Manfred Bayer, Johannes-Kepler-Universität Linz, Senatsabteilung für Weiterbildung, 4040 Linz-Auhof W. Hofrat Dr. Josef Demmelbauer, Bezirkshaupt mann, Parkgasse 1, 4910 Ried Hofrat Prof. Dr. Katharina Dobler, Mulden straße 21, 4020 Linz Prof. Fritz Feichtinger, Finkstraße 2, 4040 Linz OMR Dr. Herbert Kneifel, Konsulent, Groller straße 8, 4470 Enns Dr. Friedrich Wilhelm Kremzow, Steiner Land straße 4, 3500 Krems Dr. Gerhard Marckhgott, öö. Landesarchiv, Anzengruberstraße 19, 4020 Linz Romana Niederdorfer, Bäckermühlweg 65, 4030 Linz Dr. Bernhard Prokisch, Coulinstraße 5, 4020 Linz W. Hofrat i. R. Prof. Dr. Aldemar Schiffkorn, Stock hofstraße 33 a, 4020 Linz Mag. Elisabeth Schiffkorn, Akaziengang 8, 4040 Puchenau W. Hofrat Dr. Hans Sperl, Bezirkshauptmann i.R, Nikolaus-Otto-Straße 20, 4020 Linz Senatsrat Dr. Georg Wacha, Stadtmuseum Nordico, Bethlehemstraße 7, 4020 Linz Dr. Alfons Wunschheim, Josef-Genuiter-Weg 11, 4060 Leonding ÖR Alois Zauner, Konsulent, Stadlbauergut, 4501 Neuhofen
Der oberösterreichische Vierkanter im Wandel der Gegenwart Von Elisabeth Aistleitner-Schögl Der Bauernhof in seinem äußeren Erscheinungsbild ist ein wesentliches Ele ment der Kulturlandschaft. In Oberösterreich trifft dies vor allem für den Vierkanthof schon wegen seiner großen Verbreitung zu, sodaß in ihm nicht selten die oberöster reichische Hofform schlechthin gesehen wird. In der Vergangenheit wurde der Vierkanthof oftmals als eine der großartig sten und vollkommensten bäuerlichen Bauformen beschrieben. In den letzten Jahr zehnten ist das Interesse daran jedoch erheblich abgeklungen und erst in jüngster Zeit wiederum, wie aus einigen seit Ende der siebziger Jahre erschienenen Arbeiten hervorgeht, rege geworden. Bauernhausforschung ist ein interdisziplinärer Auftrag. So bemüht sich die Volkskunde um die Erforschung der älteren Baubestände und die Genese der Gehöftformen, was umso dringlicher ist, als der nach dem Zweiten Weltkrieg ein getretene Strukturwandel der Landwirtschaft zu einem rasch fortschreitenden Abbau des überlieferten Bestandes beigetragen hat. Ein wesentliches Ziel der geogra phischen Betrachtungsweise ist es, „Bau und Funktion in ihrer gegenseitigen Bedingt heit zu erkennen" (Kriechbaum 1933, 213). Im Gegensatz zu der eher historisch (zurückblickend) eingestellten volkskundlichen Gehöftforschung geht es dabei mehr um Veränderungen, welche die Anpassung an neue Wirtschaftsziele mit sich brachte. Der Bauernhof, wie er heute vor uns steht, ist eine Entwicklungsform, die auf eine nur schwer erfaßbare Uranlage zurückgeht. Neben den Einflüssen des Klimas, der Gelän debeschaffenheit, der begrenzten Verfügbarkeit von Baustoffen, konstruktiven Not wendigkeiten in Wechselwirkung mit soziokulturellen Faktoren wie Gruppenzuge hörigkeit, Beharrungstendenzen oder Neuerungsbereitschaft war daran vor allem die Art der Bodennutzung und somit die Wirtschaftsweise beteiligt. Dies gilt umso mehr für ein baulich derart aufwendiges Anwesen wie den Vierkanter, was ihn zu einem besonders lohnenden Gegenstand der geographischen Forschung macht. Nach den tiefgreifenden Veränderungen im Bereich der Landwirtschaft seit den fünfziger Jahren scheint die Erhaltung dieser oft riesigen Gebäudekomplexe auf den ersten Blick kaum noch rentabel. Schlagworte wie Spezialisierung, Motorisie rung und Rationalisierung, der Übergang vom Gesinde- zum Familien-, wenn nicht gar Ein-Mann-Betrieb legen die Vermutung nahe, daß große Teile des Vierkanters überflüssig geworden sind und er somit anderen Hofformen weichen müßte. Von
vorrangigem Interesse ist daher die Entwicklung in den letzten Jahrzehnten, verbun den mit der Frage, ob und wie der Vierkanter den modernen Anforderungen an ein Gehöft noch entspricht. Um eine Antwort darauf zu finden, ist eine umfangreiche Bestandsaufnahme unerläßlich, wie sie im Rahmen der den folgenden Ausführungen zugrunde liegenden am Institut für Geographie der Universität Innsbruck angefer tigten Dissertation^ erfolgte. 1. Zur Entstehung und Verbreitung Unter den zahlreichen Theorien, die sich mit dem Vierkanter beschäftigen, scheint sich jene durchgesetzt zu haben, die im Kerngebiet (echter Vierkanter) im Haufen- oder Streuhof seinen „Urahnen" sieht. Über sein Alter und die Anfangs stadien im Detail indessen können nur Vermutungen angestellt werden. Erwiesen dürfte jedoch sein, daß der Vierkanter das Ergebnis eines relativ jungen Entwick lungsprozesses ist, der im 17. und 18. Jahrhundert einsetzte und erst im Laufe des 19. Jahrhunderts landschaftsprägend wurde (vgl. Kriechbaum 1933, 218). Im Laufe dieses Vorganges kamen zunächst die einzelnen Bauteile des Streu hofes in eine feste Ordnung, und durch das „Einfangen" des Hofes, oft zunächst nur durch eine Bretterwand, entstanden die Früh- und Vorformen der Vierkanthöfe. Sie waren in ihren Dimensionen bescheiden und nur eingeschossig. Im weiteren Verlauf hat man zunächst den Hausstock, später auch die übrigen Wirtschaftsgebäude durch den Aufbau eines Halbstockes bzw. eines Stockwerkes vergrößert. Erst im 19. Jahr hundert entstanden jene aufwendigen, umfangreichen Baukörper, die heute den Vier kanthof repräsentieren. Besonders die „Bauernbefreiung" 1848 war daran beteiligt, was u. a. an zahlreichen Jahreszahlen, die das Baudatum festhalten, ersichtlich ist. Zu Recht spricht Dimt (1983, 250) von einer damals in Schwung gekommenen „Vier kanthofmode, die vermutlich auch als gleichberechtigtes Bauen neben Adel und Bür gertum empfunden wurde" und sich nun auch dort ausbreitete, wo bis dahin andere Anwesen vorherrschten. Der Idealtypus des Vierkanters ist somit das Ergebnis dieser Periode verstärkter Bautätigkeit. Dazu kamen allerdings auch technische Voraussetzungen: der Stein- bzw. Ziegelbau, der das geschlossene Aneinanderfügen der Gebäude ermöglichte und die Feuergefahr eindämmte, sowie die Strohdeckung, die das Zusammenfügen der Dächer erleichterte. Ferner dürfte die Intensivierung der Getreidewirtschaft, die Großscheunen brauchte, dem Bau von Gehöften zugute gekommen sein (vgl. Heckl 1941, 3). Einen wesentlichen Beweggrund für den straffen Zusammenbau sieht Kriechbaum (1933, 221) schließlich auch im Verlangen nach einem sicheren Abschluß gegen die Außenwelt und nach einem möglichst vollkommenen Schutz des Innenhofes. Schögl, E. (1984): Der Vierkanter in Oberösterreich. Geographische Dissertation, Universität Innsbruck, 375 S.; dabei wurden alle Gehöfte mit Vierkantform, und somit alle äußerlich als Vierkanter erschei nenden Bauten (ohne Unterschied, ob sogenannte echte oder unechte Vierkanter) erhoben.
Haus- und Gehöftlandschaften, die durch einen bestimmten Verbreitungsiyp gekennzeichnet sind, sind keine klar voneinander getrennten Räume. Ihre Grenzen sind fließend und nur schwer faßbar. Während im Kerngebiet das Idealschema ver treten ist, treten im Randgebiet und in den Grenzräumen meist Mischformen auf. Zudem sind die einzelnen Gebäude einer Gehöftlandschaft in der Regel unterschied lich alt, was ebenfalls zu mehr oder weniger abweichenden Varianten führt. Eine von Ort zu Ort fortschreitende Erhebung ist für einen einzelnen ange sichts der Größe des Arbeitsgebietes nicht zu bewältigen. Wenig Erfolg bringt auch die Auswertung der leider teilweise veralteten und uneinheitlichen Katasterpläne bei den jeweiligen Vermessungsämtern. Den ersten Anhaltspunkt über die heutige Ver breitung liefert das Studium der österreichischen Karte 1; 50.000, aus der - als Grob orientierung - alle Gemeinden mit Vierkanthöfen zu ermitteln sind. Als nächster Schritt wurde eine Befragung in den betreffenden Gemeindeämtern gewählt, da man diesen die notwendigen Orts- und Sachkenntnisse zubilligen muß. Rund 200 Ge meindestuben wurden mit einem entsprechenden Fragebogenpersönlich aufgesucht, sodaß nunmehr erste genauere Hinweise über Vorkommen, Anzahl, Betriebsgröße und sozioökonomische Bewirtschafterkategorien der Vierkanter vorliegen. Als Entstehungs- und Kerngebiet des Vierkanthofes wird heute der Winkel zwischen Donau, unterer Traun und unterer Enns, das sogenannte Florianer Landl, angesehen, wo seine größten und stattlichsten Vertreter stehen. Von hier aus hat sich der Vierkanthof nach allen Richtungen hin ausgebreitet und andere Formen ver drängt bzw. in sich aufgesogen, sodaß er heute als die beherrschende Gehöftform fast im gesamten oberösterreichischen Zentralraum und weit darüber hinaus gilt. Im Osten ist er auch im niederösterreichischen Alpenvorland, bis etwa an die Erlauf, anzutreffen. Im Süden endet die relativ geschlossene Verbreitung entlang der Linie, die von Gmunden nach Kirchdorf a. d. Krems und weiter bis Grünburg und Kleinraming führt. Jedoch ist der Vierkanthof vereinzelt auch in die Alpentäler vor gedrungen, so z. B. im Mühlbachtal bei Traunkirchen, im Almtal bis fast nach Grün au, im Kremstal bis in die Gegend von Micheldorf, im Steyrtal bis gegen Molin und an der Enns bis in das Gebiet um Losenstein. Schwieriger ist die Abgrenzung im Westen, da sich hier ein breites Über gangsgebiet befindet, in dem Vierseitbildungen verschiedenster Art und sämtliche Grade des Zusammenschlusses der Gebäudetrakte die Regel sind. Die festgestellte Grenze des annähernd zusammenhängenden Vorkommens folgt der Traun bis Lambach. Darüber hinaus sind Vierkanthöfe nur mehr vereinzelt zu finden. Bei Lambach biegt sie scharf nach Norden um und zieht nun geradlinig bis zur Einmün dung der Großen Mühl in die Donau. Der Bereich zwischen Donau und unterer Traun ist allerdingseher eine Mischzone,da hier ebenfalls mehrereFormenvon Vier seitbildungen vorkommen und insgesamt gegen Westen das vom Vierkanter bestimmte Siedlungsbild allmählich ausklingt. Nördlich der Donau ist der Vierkanter vor allem in den großen Donauebenen (Feldkirchner-Ottensheimer Becken, Linzer Bucht, Machland) zu Hause. Er steigt aber auch auf die Höhen des Mühlviertels hinauf bis zu seiner Nordgrenze, welche die Orte Aschach an der Donau, Gramastetten, Altenberg bei Linz, Freistadt,
St. Oswald bei Freistadt, Weitersfelden, Unterweißenbach, Pabneukirchen und Grein markieren. Jenseits davon kommt es nochmals zu einer auffallenden Häufung im Bereich der Reihendörfer Leopoldschlag, Windhaag bei Freistadt und Reichenthal, deren Vierkanthöfe durch den Ausbau und die Erweiterung von Dreiseithöfen (Scheinvierkanter oder unechte Vierkanter) entstanden. Der Vierkanthof ist somit in allen drei Naturlandschaften Oberösterreichs, dem Alpenvorland, dem Granit- und Gneishochland sowie den Alpen (hier aller dings im wesentlichen beschränkt auf die Flyschzone) vertreten. Die Schwerpunkte seines Vorkommens liegen jedoch in den Gebieten mit hohem Agrarpotential. Die Verbreitung des Vierkanters in Oberösterreich iiüÄ. :r:: V.. Isis Kerngebiet Mischgebiet mit Dominanz Mischgebiet ohne Dominanz Quelle: Eigene Erhebungen (Schögl 1984, 74) Sj Ausstrahlungsgebiet
Das in der nachstehenden Tabelle ausgewiesene Verbreitungsgebiet erstreckt sich über II politische Bezirke^ mit insgesamt 288 Gemeinden, von denen 185 Vierkanthöfe aufweisen. In Summe wurden in diesen 185 Gemeinden Ober österreichs 9.624 Vierkanter erfaßt. 9.244 (=96%) davon waren Bauernhöfe, 380 (=4%) dienten nicht mehr der Landwirtschaft. Davon standen - in meist sehr schlechtem Bauzustand (oft nur noch Ruinen) - 138 leer, und 242 hatten eine andere, nichtagrarische Verwendung gefunden, sei es als Wohnhäuser, Zweitwohnsitze, Lager, aber auch als Hotels, Schulen etc. Tab. 1: Landwirtschaftliche Betriebe und Vierkanter (jeweils ab 2 Hektar) Eferding Freistadt Gmunden Grieskirchen Kirchdorf/Krems Linz-Land Perg Steyr-Land Urfahr-Umgebung Vöcklabruck Wels-Land Landwirtschaftliche Betriebe 1.520 4.425 2.009 1.827 2.207 1.617 2.986 1.752 2.576 432 2.091 23.442 Vierkanthöfe Anteil der Vierkanthöfe an den landwirtschaftlichen Betrieben in Prozent gesamt 9.226 39,4 Quellen: Bodennutzungs- und Arbeitskräfteerhebung 1979 und eigene Erhebung. Nach der Häufigkeit des Vorkommens sind die Bezirke Lirrz-Land, SteyrLand, Wels-Land und Kirchdorf a. d. Krems dem Kerngebiet zuzurechnen, wo weit über die Hälfte aller Landwirte einen Vierkanter bewirtschaften. Annähernd die 50Frozent-Marke erreicht die Vierkantform im Bezirk Gmunden. Als Mischgebiet mit gemeindeweise sehr unterschiedlichen Werten, im Mittel aber mit einem Anteil von etwa einem Drittel sind die Bezirke Eferding, Urfahr-Umgebung, Perg und Freistadt zu bezeichnen. Im Ausstrahlungsgebiet von Vöcklabruck und Grieskirchen nimmt der Vierkanter nur noch weniger als ein Zehntel der Gehöfte ein. Obwohl heute die Flächenausstattung eines landwirtschaftlichen Betriebes nicht mehr unbedingt über seine tatsächliche wirtschaftliche Stärke entscheidet, ist doch bemerkenswert, daß die Vierkanter zu einem überdurchschnittlich hohen ^ Insgesamt wären es 14 Bezirke; die Vierkanttiöfe in den Statutargemeinden Linz, Wels und Steyr konn ten jedoch nicht erhoben werden.
Prozentsatz den gröiSeren Betriebseinheiten angehören, wie ein Vergleich mit der Bodennutzungserhebung 1979 zeigt. Tab. 2: Verteilung der landwirtschaftlichen Betriebe und der Vierkanter nach Betriebs größenklassen (in den Gemeinden mit Vierkantern) Landwirt. Betriebe insgesamt Vierkanter absolut % absolut % Zwergbetriebe (0,5-2 ha) Kleinbäuerliche Betriebe 5.121 17,9 18 0,2 (2-5 ha) Mittelbäuerliche Betriebe 5.616 19,7 333 3,6 (5-20 ha) Großbäuerliche Betriebe 10.458 36,6 4.336 46,9 (20-100 ha) Großbetriebe 7.262 25,4 4.524 48,9 (100 ha und mehr) 106 0,4 33 0,4 gesamt 28.563 100,0 9.244 100,0 Quelle: Bodennutzungserhebung 1979 und eigene Erhebung. Während von allen landwirtschaftlichen Betrieben des Erhebungsgebietes mehr als die Hälfte (51,7 %) weniger als 10 Hektar Grund besitzen, fallen nur 14 % der Vierkanter in diese Kategorie. Nahezu jeder zweite Vierkanter verfügt über min destens 20 Hektar selbstbewirtschafteter Gesamtfläche. Die stattlichsten Vertreter sind erwartungsgemäß im Bezirk Linz-Land zu finden, wo sogar 61,4% diese Größenstufe erreichen. Umgekehrt zählen die Vierkantbildungen in Vöcklabruck und Gmunden mit nur gut einem Drittel in den beiden höchsten Größenklassen zu den flächenärmsten des Bundeslandes. Die insgesamt günstige Flächenausstattung läßt es verständlich erscheinen, daß eine der markantesten Entwicklungen des letzten Jahrzehnts, die Umstellung von Voll- auf Nebenerwerb, nur in abgeschwächter Form auf Vierkanter übergegriffen hat. So beträgt der Vollerwerbsanteil bei den Vierkanterbetrieben immer noch beachtliche 74%, während er bei der Gesamtzahl der landwirtschaftlichen Betriebe im Untersuchungsgebiet auf 39% abgesunken ist. Eine verminderte Vollerwerbs quote von unter 70 % bei den Vierkantern weisen einerseits Gmunden und Vöckla bruck sowie die beiden Mühlviertler Bezirke Perg und Freistadt auf. Als bemerkens wertes Detail sei noch der Bezirk Linz-Land angeführt, wo laut vorliegendem Zahlen material jeder Vollerwerbsbetrieb (990) ein Vierkanter sein müßte. Hinsichtlich der Produktion steht - ohne hier auf die im Verbreitungsgebiet unterschiedlichen agrarräumlichen Bedingungen und Wirtschaftsweisen genauer
einzugehen - der Ackerbau (Mais, Weizen, Zuckerrübe, Gemüse) im Vordergrund. Hinlänglich bekannt dafür ist der Bereich der Traun-Enns-Platte, wo meist eine spezialisierte Veredelungswirtschaft, sei es Schweine-, Rinder- oder Geflügelhaltung, hinzukommt, falls die Viehhaltung nicht überhaupt aufgegeben wurde. In den Rand lagen wird überwiegend Acker-Grünland-Wirtschaft, zum Teil noch verbunden mit einer gemischten Veredelungswirtschaft, betrieben. Der Trend zu einer stärkeren Spezialisierung ist allerdings auch hier unübersehbar. 2. Der Vierkanter im Funktionswandel der Gegenwart Die Gebäude eines landwirtschaftlichen Betriebes sind wichtige Hilfsmittel für die Produktion und die erfolgreiche Wirtschaftsführung und müssen daher der jeweiligen betrieblichen Zielsetzung entsprechen. Das bedingt keine starren Gebilde, sondern eine ständige Anpassung der Gehöfte an die geltenden wirtschaftlichen Gegebenheiten. Die Entwicklung der Landwirtschaft verlief bis in das 19. Jahrhundert ohne tiefgreifende Umwälzungen. Ausschlaggebend war das Streben nach Selbstversor gung, verbunden mit einer vielfältigen Produktionsweise, die im Gesindebetrieb mit einem hohen Einsatz an manueller Arbeit bewältigt werden mußte. Die Anforderun gen an die Gebäude blieben daher im wesentlichen lange Zeit gleich. Mit dem Beginn der Industrialisierung, insbesondere aber nach dem Zweiten Weltkrieg, kam es im Bereich der Landwirtschaft durch die Abwanderung der Arbeitskräfte sowie die Mechanisierung der Betriebe zu einer wahrhaft revolutionä ren Entwicklung. Die Bauern waren gezwungen, innerhalb weniger Jahre eine totale Änderung der betriebswirtschaftlichen Orientierung und der ArbeitsVerrichtung vorzunehmen und sich den geänderten Verhältnissen anzupassen. In der Praxis bedeutete dies eine Abkehr von der Subsistenzwirtschaft zugunsten einer zuneh menden Spezialisierung. Im Laufe der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts vollzog sich somit der Wandel von den ursprünglich arbeitsintensiven, auf Naturalwirtschaft und Selbstversorgung ausgerichteten Bauernwirtschaften zu kapitalintensiven und marktorientierten Betrieben mit entsprechender Betriebseinrichtung und -führung. Für den vielseitig orientierten Betrieb gab es einen klar festgelegten Bedarf an baulicher Substanz.Ein Bauernhofbenötigt Räume für den Menschen(Wohnhaus), das Vieh (Ställe), die Ernte (Scheune) und das Gerät (Schuppen). Diese vier Funktions bereiche entsprechen den Hauptgebäuden bzw. -trakten eines Vierkanthofes, dessen mächtiger Baukörper eine durchschnittliche Seitenlänge von 30 bis 40 Metern im Geviert erreicht. Der unter gänzlich anderen Voraussetzungen errichtete Baubestand genügte nach dem Zweiten Weltkrieg den geänderten Wirtschafts- und Arbeits weisen nicht mehr. Ebenso blieben die neuen persönlichen Bedürfnisse der bäuer lichen Bevölkerung (leider oft unkritisch der „städtischen" Lebensweise entnommen) nicht ohne Folgen für das Gehöft. Der klassische Vierkanthof, jener Typus, der Ende des 19. Jahrhunderts seine volle Entfaltung erreichte, war für vielseitig geführte Ackerbaubetriebe mit aus-
gedehnter Viehhaltung zweifelsohne eine ideale Bauform, fleute allerdings findet man nur noch ganz selten einen Vierkanter in seinem überlieferten Zustand. Einer seits sind Gebäudeteile mit der spezialisierten Wirtschaftsweise überflüssig gewor den, andererseits entstand zusätzlicher Raumbedarf. In den letzten Jahrzehnten sind dabei mehrere Phasen zu unterscheiden; 2.7 „Aushauphase des klassischen Vierkanters" Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden zunächst die alten betriebswirtschaft lichen Konzepte mit ihrer Vielseitigkeit, nunmehr allerdings stärker marktorientiert, beibehalten, und die Erneuerung der Bausubstanz erfolgte nach den althergebrach ten Vorstellungen. Die Technik und die bauliche Anpassung waren nur Mittel, die Handarbeit zu ersetzen. Der Trend zum „Einfangen" des Innenhofes blieb bis in die fünfziger Jahre bestehen. Neue Methoden in der Landwirtschaft hatten zu dieser Zeit eine Verdreifachung der Hektarerträge zur Folge. Gleichzeitig kam es häufig zur Vergrößerung des (vielseitigen) Viehbestandes und der Maschinenpark vieler Betriebe begann nun stark anzuwachsen. Daraus resultierte auch auf Vierkanthöfen nicht selten Platzmangel und die Gehöfte wurden weiter ausgebaut bzw. vergrößert. Neben Ausbauten einzelner Trakte (z.B. Vergrößerung von Ställen) entstanden zusätzliche Anbauten an die bestehende Baumasse, sodaß die reine Vierkantform aufgegeben wurde. Abseits der Vierkanter wurden als Nebengebäude vielfach neue, geräumige Wagenhütten errichtet. Zahlreiche Gärfutterbehälter gehen auf diese Zeit zurück. Die genannten Vergrößerungen erfolgten jedoch oft planlos und nur auf die momentane Situation abgestimmt. Anbaumöglichkeiten 2.2 „Auflösungsphase des Vierkanters" Ab den sechziger Jahren kam es immer mehr zur Vereinfachung und Spezia lisierung der betriebswirtschaftlichen Orientierung. Im Bereich des Ackerbaus erfolgte weitgehend eine Kulturartenbereinigung, was im Kerngebiet des Vierkant hofes zu einer regelrechten Maisexplosion auf Kosten der arbeitsintensiven Feld früchte wie Kartoffel oder Rotklee führte. Ebenso kam es zu einer starken Auswei tung der Weizen-, Gerste- und Zuckerrübenfläche. Auch die Viehhaltung wurde häufig auf nur mehr eine Art der Veredelung (Schweinemast oder -zucht) reduziert oder teilweise sogar ganz aufgegeben.
Die veränderten Erntetechniken, die Beschränkung des Anbaus auf wenige Kulturarten bei oft gleichzeitiger Vergrößerung des Ackerlandes und Verminderung bzw. Aufgabe des Grünlandes sowie die Einschränkung des Viehbestandes auf eine Tierart, ebenfalls häufig verbunden mit einer Vergrößerung des Bestandes, führten nun dazu, daß Teile der Vierkanthöfe leerstanden oder für die neuen Nutzungs zwecke als ungeeignet erschienen. Der Vierkanter wurde oftmals als zu groß und unbrauchbar, die Geschlossenheit des Gehöftes für die moderne mechanisierte Arbeitsweise als hinderlich empfunden. Der bis dahin anhaltende Drang zum Schlie ßen des fdofes verkehrte sich nun in das Gegenteil. Vorherrschende Ansicht zahlreicher Landwirte und Experten der Landwirt schaftskammer zu dieser Zeit war, daß eine moderne Landwirtschaft mit zwei, bei VeredelungsWirtschaft mit drei Gebäuden das Auslangen finden kann. Ein freiste hendes Wohnhaus und eine beidseitig durchfahrbare Remise sollten für reine Acker baubetriebe genügen, für Viehhaltungsbetriebe wäre zusätzlich eine Veredelungs anlage notwendig. „Modernes Gehöft" Außer den Wirtschaftstrakten wurden in dieser Phase häufig auch die Wohn trakte als zu groß und den neuen Verhältnissen nicht mehr entsprechend erachtet. Es kam daher verstärkt zum Bau freistehender Wohnhäuser, die den geänderten Wohn ansprüchen der bäuerlichen Bevölkerung Rechnung tragen sollten. 263 der erhobe nen Vierkanter verfügen über ein freistehendes Wohnhaus außerhalb des traditionel len Gebäudeverbundes. Das Wohnhaus ist jedoch ein Bestandteil des landwirtschaftlichen Betriebes und sollte daher den übrigen Gebäuden entsprechend zugeordnet bzw. eingegliedert sein. Die Lösung bäuerlicher Wohnprobleme durch die Errichtung freistehender Wohnhäuser hat sich nach der derzeit vorherrschenden Meinung nicht bewährt. 2.3 Neue Wertschätzung für eine als überholt gehaltene Gehöftform Die genannten modernen Konzepte haben die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllt. Nach übereinstimmenden Berichten von Fachleuten hat die Praxis gezeigt, daß neben den oben erwähnten „Grundgebäuden" noch weitere Lager- und
Aufbereihangsanlagen sowie zusätzliche Arbeitsräume benötigt werden. Diese „zusätzlichen" Bauten werden bei modernen Gehöften aus arbeitstechnischen Grün den rund um den Innenhof errichtet und teilweise sogar durch Verbindungstrakte oder Windschutzvorrichtungen miteinander verbunden. Der in den sechziger Jahren verpönte Hang zum „Einfangen" des Hofes ist somit wieder in Erscheinung getreten, was eine abermalige Trendwende in der Entwicklung der Vierkanter seit Ende der siebziger Jahre auslöste. Neben dem großen materiellen wird nun auch der kulturelle Wert dieser tra ditionellen Gehöftform erkannt und versucht, Vierkanthöfe soweit als möglich zu erhalten. Nach Ansicht der Experten der Bauernkammern kann ein Vierkanter bei entsprechendem Umbau und Adaptierung an die Wirtschaftsweise durchaus allen Anforderungen an ein modernes Gehöft gerecht werden, zumal sich immer noch keine anderen vorteilhafteren Lösungen (Gehöftformen) anbieten. 3. Innere Anpassung des Vierkanters an moderne Wirtschaftsweisen Festzuhalten bleibt, daß es heute kaum einen landwirtschaftlich genutzten Vierkanter gibt, an dem seit dem Zweiten Weltkrieg keine baulichen Veränderungen vorgenommen wurden. Rein äußerlich ist ihre Weiterentwicklung besonders gut zu erkennen, wenn verschiedene Baustufen nebeneinander bestehen. Häufig zu beob achten ist beispielsweise eine Vergrößerung der Fensteröffnungen, begründet durch den Wunsch nach helleren Wohnräumen. Der Trend zu großen Schiebetoren scheint durch die immer größer werdenden Landmaschinen unaufhaltsam, ebenso, wie die Verwendung moderner Baustoffe die Anpassung der Gehöfte verdeutlicht. Klassischer Vierkanter Quelle: Koll 1950, 52
Die größten Veränderungen bei den Vierkanthöfen sind jedoch im Inneren der Gehöfte vor sich gegangen. Bezüglich der Raumgliederung war der klassische Vierkanthof durch eine gewisse Einheitlichkeit geprägt, deren Ursache in der einst überall recht ähnlichen vielseitigen Wirtschaftsweise wie auch in der einheitlichen Lebensweise zu suchen ist. Obzwar heute das Bemühen um eine Beibehaltung der Grundrisse im Vor dergrund steht, ist bei fast allen Vierkantern eine Funktionsänderung von Gebäuden bzw. Gebäudeteilen eingetreten, die im Zuge der Umstellungen in der Landwirtschaft entsprechend dem Bedarf des jeweiligen Betriebes vorgenommen wurden. Der Auf gabe der Rinderhaltung folgte meist ein Umbau der Rinder- zu Schweineställen, auch Scheunen wurden häufig zu Ställen. Ehemalige Pferdeställe, Schuppen und Scheu nen werden nicht selten als Einstellräume für Landmaschinen und als Garagen ver wendet, um nur einige der zahlreichen neuen Nutzungsmöglichkeiten zu nennen. Trotz einer vermeintlich größeren Einförmigkeit der Wirtschaftsweise, die sich aus der Einschränkung auf wenige marktorientierte Betriebszweige ergibt, sind die Unterschiede heute sowohl regional als auch den individuellen Bedürfnissen ent sprechend wesentlich größer geworden als früher. Wie zahlreiche Gewährspersonen und Fallbeispiele bezeugen, sind für Vierkanter kaum noch typische Gesetzmäßigkei ten hinsichtlich Raumgliederung oder Raumnutzung festzustellen. Bestenfalls kön nen je nach Anzahl der Stallungen Raumnutzungstypen ausgegliedert werden, die bei unterschiedlichen Betriebsgrößen gleichermaßen Gültigkeit haben. Raumnutzungstyp 1 Dieser hat gegenüber dem klassischen Vierkanthof die geringsten Verände rungen aufzuweisen. Die vier Seiten des Vierkanters entsprechen Wohn-, StallScheunen- und Einstelltrakt. Raumnutzungstyp 2 Vierkanter dieses Typs verfügen über einen ausgeweiteten Stallbereich, sodaß der vierte Gebäudeteil als Einstell-Stalltrakt zu bezeichnen ist. Raumnutzungstyp 3 Hierher gehören jene Vierkanter, deren Stallungen sich „ums Eck" erstrecken; zumindest Teile zweier aneinanderstoßender Trakte werden davon eingenommen. Außer dem Wohnbereich kommt als dritte Funktion noch ein Einstell- und Werkstät tenteil hinzu. Raumnutzungstyp 4 Abgesehen vom Wohnhaus, werden alle übrigen Gebäudetrakte als Stallun gen genutzt. In diese Stalltrakte sind mehr oder weniger große Einstell- und Lager räume integriert. Ebenso wie beim Typus 3 fehlt auch hier die Scheune. Diese beiden letztgenannten Raumnutzungsschemata zeugen von einer intensiven Veredelungs wirtschaft.Außerhalbdes Hofes ist hier noch häufig eine freistehendeMaschinen halle (modernes Nebengebäude) zu finden.
Schema der heutigen Raumnutzungstypen i I Wohnhaus ■:'hy-i Abstell- u. Lagerraum Quelle: Schögl 1984, 175 Die aufgezeigten Modelle können freilich nur in stark vereinfachter Form die ganze Bandbreite der heutigen Gebäudenutzung wiedergeben. Zu zahlreich sind die Möglichkeiten, den Vierkanter den Vorstellungen und Bedürfnissen der einzelnen Landwirte anzupassen. Wesentlich erscheint jedoch, dal3 - abgesehen von den intensiven Veredelungsbetrieben des Typs 3 und 4 - kein direkter Zusammenhang zwischen Raumnutzungstyp und einer bestimmten Betriebsweise festzustellen ist. Ebensowenig sind regionale Schwerpunkte in der Verteilung eines bestimmten Typs zu erkennen. Trotz unterschiedlichster individueller Lösungsversuche durch die jeweili gen Betriebsinhaber sind beim Wirtschaftstrakt häufig ähnliche Enfwicklungen zu beobachten. Die Konzentration in der Tierhaltung auf nur eine bzw. wenige Arten hatte nicht selten einen Umbau nunmehr überflüssiger Sfälle zur Folge (beispiels weise Rinder- zu Schweineställen). Falls nicht viehlos gewirtschaftet wird, benötigt der moderne Betrieb infolge der Bestandsvermehrung bekanntlich mehr Stallfläche, die meist auf Kosten der Scheune dazugewonnen wurde. Überdies erfordert die heu tige Wirtschaftsweise wesentlich mehr Einstellräume aller Art, wie z. B. Garagen für Pkws und Maschinen, Lager- und Abstell- sowie sonstige Arbeitsräume, die vielfach in den ehemaligen Schuppen untergebracht sind. Insbesondere die Scheune hat durch die veränderten Erntemethoden sehr an Bedeutung verloren, ihre Stelle nimmt in vielen Fällen eine Art Mehrzweckhalle ein. fiand in fiand mit der gestiegenen Motorisierung und Mechanisierung ging logischerweise eine Verbesserung der inne ren Verkehrslage mit dem Ausbau von Zu- und Durchfahrtsmöglichkeiten. Wohl kaum eines fiinweises bedarf es, daß ferner die für Vierkanter durchaus nicht untypi schen Nebengebäude (man denke nur an die traditionellen Troadkästen, Mostpres sen etc.) den geänderten Anforderungen entsprechend angepaßt wurden. Ahnliches wie in einer voreiligen Einschätzung des Vierkanters in seiner Gesamtheit gilt auch für den Hausstock: auf den ersten Blick den zeitgemäßen Wohn verhältnissen nicht mehr entsprechend und zu groß geraten. Zugleich mit den sozia-
len Veränderungen der letzten Jahrzehnte, dem Übergang vom Gesinde- zum Fami lienbetrieb, sind allerdings auch die Wohnansprüche der ländlichen Bevölkerung berechtigterweise gestiegen. Stube und Küche waren für die verminderte Personen zahl tatsächlich häufig zu groß dimensioniert, für das nach wie vor übliche Neben einander mehrerer Generationen auf einem Bauernhof erwiesen sich die vorhande nen Raumreserven aber durchaus als Vorteil. Speziell die Schlafräume wurden meist ausgedehnt, sodaß gerade die Obergeschosse wesentlich mehr als früher in den Wohnbereich miteinbezogen wurden. Zudem benötigt ein moderner Bauernhof noch zahlreiche Räume ehemals unbekannter Art (Sanitärräume, fieizraum, Wirt schaftsraum, Arbeitszimmer, Werkstätte etc.), die in den geräumigen Wohntrakten der Vierkanter relativ leicht unterzubringen waren. Verkleinert wurde der Hausstock nicht selten durch den Einbau von Garagen. Ein wie einstmals typisches Raumgliederungsschema kann auch für den Wohntrakt der Vierkanter nicht mehr erstellt werden. Die Palette möglicher Grund risse reicht von bloßen Funktions Veränderungen einzelner Räume - die eingetretenen Veränderungen werden oft schon allein durch die Umbenennung einzelner Räume wie Wohnzimmer statt Stube deutlich - bis zu völlig neuen Gesamtlösungen, bei denen selbst das durchgängige Vorhaus aufgegeben wurde. Jedenfalls wird die Integration des Wohnhauses in den Hofverband heute durchwegs als sinnvoll aner kannt. 4. Der Vierkanter als bleibender Repräsentant des oberösterreichischen Bauerntums? Alleine nach den Finanzierungskosten zu schließen, wäre einer derart groß dimensionierten Hofform wie dem Vierkanter auf längere Sicht wohl kaum der ge sicherte Weiterbestand zuzubilligen. Ein völliger Neubau würde sich mit etwa 8 bis 10 Millionen Schilling zu Buche schlagen, die Errichtung eines „modernen" Gehöftes käme auf rund die Hälfte. Verständlich, daß seit 1945 im Untersuchungsgebiet ledig lich drei Vierkanter völlig neu erbaut wurden. Im direkten Vergleich hierzu scheint die Abtragung von 163 meist leerstehenden Vierkanthöfen seither geradezu erschreckendzu sein, angesichtseiner heutigenGesamtzahlvon 9.624 aber kaum ins Gewicht fallend, geht doch die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe allgemein lau fend zurück. Die Fluktuation, die sich aus der Auflösung ehemaligerVierkanter und dem Ausbau ehemals anderer Gehöftformen zu Vierkanthöfen (beispielsweise Mühlviertier Dreikanthöfe) ergibt, konnte allerdings nicht erfaßt werden. Seine Hauptfunktion wird aber weiterhin im rein landwirtschaftlichen Bereich zu suchen sein, eine Verwendung für andere Zwecke ist noch sehr selten. Nur 339 der landwirtschaftlich genutzten Vierkanter weisen eine zusätzliche Betriebs stätte (z. B. Gasthaus) auf. Auch der in manchen Landesteilen als Hoffnungsträger für zusätzliche Einkommensmöglichkeiten der Bauern eingeschätzte „Urlaub auf dem Bauernhof" spielt praktisch keine Rolle. Ganze 218 landwirtschaftliche Vierkanthöfe (2,4 %) vermieten Zimmer an Fremde. Mangelnde touristische Attraktivität des Ver-
breitungsgebietes, aber auch Nachteile wie das Zusammenfallen der Arbeitsspitzen in der Landwirtschaft mit der Fiauptreisezeit dürften dafür hauptverantwortlich sein. Von den nicht mehr dem agrarischen Bereich angehörigen 380 Vierkantern stehen 138 leer, bei den verbleibenden 242 scheint allerdings die Benutzung für Zweit- und daher Freizeitwohnungen eine gewisse Bedeutung zu haben. Ohne aus nostalgischen Gründen einer Erhaltung gewachsenen Kulturgutes anzuhängen, ist jedenfalls in absehbarer Zeit mit dem Weiterbestand dieses statt lichen Gehöfts - wenn auch nicht in seiner klassischen Form - zu rechnen. Der Vier kanthof mag zwar von der betriebswirtschaftlichen Seite her nicht immer das Opti mum darstellen, von der Lebensqualität und auch von der emotionalen Einstellung her wird er inzwischen durchaus wieder als ideal angenommen. Mit einem Mini mum an Mauern wird ein Maximum an Raum umschlossen, Hofarbeiten können auf kürzestem Wege verrichtet werden, und die Bauform erlaubt einen leichten Über blick über das gesamte Hauswesen. Seine Anpassungsfähigkeit ist in zahlreichen Fällen bewiesen, und Bauen auf dem Land erfolgt immer noch nach eigenen Gesetzen. Gerade die meist praktizierte Form der abschnittsweisen „Runderneuerung", verbun den mit dem Einsatz kostengünstiger Arbeitskräfte (Eigenleistung, Verwandtenund Nachbarschaftshilfe), erleichtert die Aufbringung der notwendigen finanziellen Mittel wesentlich. Nicht umsonst entsteht häufig der Eindruck, Vierkanter seien stän dige Baustellen. Oberstes Gebot ist allerdings die ständige Instandhaltung dieses auf wendigen Baukörpers. Wird er während nur einer Berufsgeneration vernachlässigt, muß er als hoffnungslos verloren gelten. Literatur Amt der oö. Landesregierung (Hrsg.) (1983): Das Bauernhaus in Oberösterreich. Erhaltung und Neugestal tung landwirtschaftlicher Bauten. Schriftenreihe 1983, Linz, 36 S. Dimt, G, (1983): Volkskundliche Dokumente zur Landesgeschichte. In: Amt der oö. Landesregierung (Hrsg.): Tausend Jahre Oberösterreich. Bd. 1, S. 241-253. Dimt, G. (1984): Die Vierkanthöfe im Gallneukirchner Becken - Evolution, Innovation ? In: Jahrbuch des Oö, Musealvereins, Bd. 129, S. 211-234. Eitzen, G. (1967): Bauernhausformen und ihre Beziehung zu Wirtschaftsformen. In: Veröffentlichungen des Instituts für mitteleuropäische Volksforschung an der Philipps-Universität Marburg/Lahn, Bd. 4, S. 36-43. Grüll, G. (1975): Bauernhaus und Meierhof. Zur Geschichte der Landwirtschaft in Oberösterreich (= For schungen zur Geschichte Oberösterreichs 13), hrsg. vom Oberösterreichischen Landesarchiv, Linz, 359 S. Heckl, R. (1941): Der Vierkanter als baulicher Ausdruck bäuerlicher Hofgemeinschaft. In: Der Heimatgau, Jg. 2, S. 1-11. Heckl, R. (1951): österreichische Haus- und Hofformen in ihrer Abhängigkeit von den Wirtschaftsformen (= Niederschrift über die Tagung des Arbeitskreises für deutsche Hausforschung in Burghausen a. d. Salzach 1951), S. 36-39. Holter, K. (1983): Bäuerliches Bauwesen rund um Wels. In: Beiträge zur Landeskunde von Oberösterreich, 1. Historische Reihe, Bd. 9, 47 S.
Koll, F. (1950): Der Bauernhof in Plan und Bau. Linz, 174 S. Kriechbaum, E. (1933): Das Bauernhaus in Oberösterreich. In: Forschungen zur deutschen Landeskunde, Bd. 29, H. 3, S. 119-289. Kriechbaum, E. (1950): Oberösterreich im Spiegel seiner Bezirke. In: Oberösterreichische Heimatblätter, Ig. 4, H. 4, 5. 289-345. Lipp, F. (1966/67): Bauernburgen. Von Haus und Hof oberösterreichischer Bauern. In: Volkskultur in Oberösterreich (= Oberösterreich 16, H. 3/4), S. 46-53. Luger, I. (1981): Lebende Tradition. Das bäuerliche Wohnhaus in Oberösterreich. Erhalten, Gestalten und Planen. Linz, 271 S. Müller-Wille, W. (1936): Haus- und Gehöftformen in Mitteleuropa. In: Geographische Zeitschrift, Bd. 42, S. 121-139. Notring-Jahrbuch (1973): Haus und Hof in Österreichs Landschaft. Wien, 242 S. Schickhofer, G., und Gaisrucker, H. (1980): Umgebaute Bauernhäuser. Beispiele aus Ober- und Niederöster reich. Bd. 2, Wien, 86 5. Schögl, E. (1984): Der Vierkanter in Oberösterreich. Geographische Dissertation, Universität Innsbruck, 375 S. Schröder, K. H. (1974): Das bäuerliche Anwesen in Mitteleuropa. In: Geographische Zeitschrift, Bd. 62, S. 241-271. Spielhofer, H. (1980): In alten Bauernhäusern leben. Sanierungs- und Umbaubeispiele. Graz, 185 S.
Maulbeerpflanzungen in Enns im 19. Jahrhxmdert Zur Geschichte der Seidenraupenzucht in Oberösterreich Von Herbert Kneifel In Enns stehen entlang des BahnholWeges mehrere Maulbeerbäume, die den letzten Rest planmäßiger Pflanzungen bilden, die im 19. Jahrhundert angelegt wurden. Archivalische Quellen im Stadtarchiv ermöglichen eine Einsicht in die Organisation und die Erfolge dieses der Einführung der Seidenraupenzucht dienen den Unternehmens, das ortskundlich und wirtschaftsgeschichtlich interessant istE Nach hoffnungsvollen Anfängen scheiterten die Versuche mangels entsprechender Rentabilität nach wenigen Jahrzehnten. Der Maulbeerbaiun: Pflege und Nutzung Der Maulbeerbaum ist ein Laubholzbaum, dessen Blätter den Seidenraupen als Futter dienen. Diese Pflanze bildet die einzige Nahrung für die Raupen. Bevorzugt fressen sie die Blätter des Maulbeerbaumes mit weißer oder rötlicher Frucht, weniger gern das Laub von Bäumen mit schwarzen Beeren. Dann liefern die Raupen auch kleinere und seidenärmere Kokons^. Zeitgenössische Anleitungen zur Seidenraupen zucht empfehlen zur Pflanzung den wilden oder gemeinen und den veredelten italie nischen Maulbeerbaum. Der gemeine Maulbeerbaum gedeiht in unserer Gegend am besten, liefert ein harziges, kleines und festes Blatt, das den Raupen sehr zuträglich ist. Besser ist aber der veredelte italienische Baum, der dünne, große, hellglänzende Blätter besitzt^. Die Bäume können auf jedem Boden gepflanzt werden, doch ist ein lockerer, sandiger, leichter Boden in sonniger Lage anzuraten. Die Bäumchen verbleiben 5 bis 6 Jahre in der Baumschule. Die Verpflanzung zum endgültigen Standort erfolgt im ^ StA, Sch, Industrie- und Gewerbeverein. ^ K. ]. Ebert: Die landwirtschaftlichen Verhältnisse in vergleichender Darstellung für das praktische Bedürfnis, Prag 1865. S. 320. ^ Ungenannt: Kurzgefaßte, praktische Anleitung zur Nutzen bringenden Seidenraupenzucht mit den bisher bekannten, zweckdienlichsten und wohlfeilsten Mitteln. Linz 1843 (gedruckt bei Friedrich Eurich). S. 9.
Frühjahr um die Mitte Aprih. In Alleen ist ein Abstand von 20 Fuß (ca. 6 m) zu berück sichtigen. Bei hochstämmigen Maulbeerbäumen sind pro Joch 70-150 Stück zu ver anschlagen'. Im Jahre 1841 wurden in der Baumschule in Aschach an der Donau vom Maulbeerbaum mit weißen Beeren angeboten: 100 Stück 2jährige Stämmchen um 2 fl. CM, 100 Stück 3jährige Bäumchen um 3 £[., 100 Stück 4jährige Bäumchen um 4 fl., 100 Stück 5jährige Bäumchen um 8 fl., 100 Stück 6jährige Bäumchen um 12 fl.®. Außer den Blättern, die für die Seidenraupenzucht notwendig sind, liefert der Saft der weißen Maulbeere guten Sirup und sehr gesunden Essig. Außer dem Holz wird ein gelber Farbstoff gewonnen. Das Holz ist sehr hart und wird deshalb von den Tischlern sehr geschätzt^. Auch in den nördlichen Kronländern des damaligen Kaiserreiches wurde - gefördert von den Regierungen - die Seidenraupenzucht ein geführt. Die Initiativen der Regierungen blieben aber erfolglos, weil es für den wirt schaftlich denkenden Landmann rentablere Kulturpflanzungen gab als Maulbeer bäume. Ein Obstbaum, auf die gleiche Stelle gesetzt, brachte ein sichereres und höheres Erträgnis®. Historischer Rückblick Wien war im 18. Jahrhundert ein Zentrum der Seidenfabrikation und blieb es noch bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts. Diese Entwicklung erklärt sich aus dem zunehmenden Wohlstand der städtischen und allmählich auch der Landbevölke rung, die sich für die Kleidung im vermehrten Maße Seidenstoffe leisten konnte'. Im Schloß Walpersdorf wurde schon im 17. Jahrhundert unter dem Schloßherrn Sinzen dorf eine Seidenmanufaktur eingerichtet, die zum wichtigsten Betrieb der österrei chischen Orientkompagnie wurde. Dazu kamen 1666 ein niederländischer Seiden spinner mit fünf Gesellen und zwei Lehrlingen, ein venezianischer Seidenfärber und ein französischer Färbergeselle nach Walpersdorf. Die hier erzeugten Seidenfäden wurden in Traiskirchen für den Bedarf des Hofes weiterverarbeitet. Aber nicht lange bestand dieser Betrieb, der einer der ersten merkantilistischen Betriebe in NiederEbenda. S. 15. ' Ferdinand Machts: Die Wertschätzung landwirtschaftlicher Güter. Wien 1870. S. 84. ^ Linzer Zeitung Nr. 81 vom 21. 5. 1841. S. 279. Linzer Zeitung Nr. 46 vom 22. 3. 1843. S. 184. ® August Freiherr von Babo: Natur und Landbau. Straßburg 1874. II. S. 324. ' Ernst Bruckmüller. In: Österreich zur Zeit Kaiser Joseph II. Nö. Landesausstellung 1980, Stift Melk. Kata log. S. 60.
Österreich war. Im sogenannten Museumstrakt des Schlosses erinnert ein Saal an die einstige Fabrikation in Walpersdorf^". In der Welser Heide sind Maulbeerpflanzungen und die Seidenraupenzucht schon um 1710 nachweisbar. Es wird vermutet, daß wegen ungünstiger klimatischer Verhältnisse ein Dauererfolg ausblieb". In Poneggen, Gemeinde Schwertberg, befand sich in der Mitte des 18. Jahrhunderts eine vom Grafen Josef Gundacker von Thürheim betriebene Anstalt für Seidenraupenzucht". Von Maulbeerpflanzungen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts berichten verschiedene Ortschroniken. Im Mühlviertel gab es 1813 neun Meister als Seidenzeugfabrikanten". Die Einführung moderner Maschinen dürfte zur Verarmung der dortigen Leinenweber geführt haben, die sich mit der Seidenraupenzucht eine neue Erwerbsmöglichkeit schaffen wollten. Im Gemeindegebiet Arnreit wurden zwischen 1836 und 1848 Maulbeer bäume gepflanzt. Der Ortschronist vermerkte dazu, daß wegen des rauhen Klimas die Versuche fehlschlugen". Der seit 1841 in Gramastetten niedergelassene Bader und Wundarzt Alois Peither hatte auf den praktisch wertlosen Gründen in der Kirch leithen Maulbeerbäume gesetzt, doch wollte die Seidenraupenzucht nicht recht gelingen". Privatmitiative in Oberösterreich In Oberösterreich ist die Einführung von Maulbeerkulturen und der Seiden raupenzucht mit dem Namen des pensionierten k. k. Hauptmannes Josef Reisinger verbunden, der für seine Initiative auch die Unterstützung des Landtages fand und mit Beschluß vom 15. September 1840 eine Subvention erhielt". Eine weitere finan zielle Förderung erfolgte 1843 aufgrund der guten Ergebnisse bei diesen Kulturen und für die Drucklegung der von Reisinger verfaßten Schrift über die Anpflanzung von Maulbeerbäumen. Ausgedehnte Maulbeerkulturen hatte Reisinger in Aschach an der Donau angelegt. Er wies in einem Aufruf in der Linzer Zeitung darauf hin, daß „Bäume und Seidenraupen im schönsten Aufkeimen begriffen sind und er jedem Besucher mit Vergnügen über die Behandlung der Seidenraupen, das Abhaspeln der Seide und überhaupt jede Aufklärung gibt"". Dieser Aufforderung ließ die Redaktion der Zeitung eine Ergänzung folgen, die über die Situation der Seidenraupenzucht in ' Mitteilungsblatt des Arbeitskreises der Betreuer volkskundlicher Sammlungen im Nö. Bildungs- und Heimatwerk. Beiträge zur Sachvolkskunde Nr. 1/1980. S. 9. ' Alfred Hofmann: Wirtschaftsgeschichte des Landes Oberösterreich. Bd. 1. Linz 1952. S. 102. ' Georg Grüll: Die Strumpffabrik Poneggen. In: Mitteilungen des Oö. Landesarchivs. 6. Bd. 1959. S. 12. ' K. K. Instanzkalender für das Erzherzogthum Österreich ob der Enns auf das Jahr 1813. S. 344. ' Die Nachricht aus Arnreit danke ich Josef Weichenberger, Traun, der mir Seite 29 der handgeschriebe nen Ortschronik in Ablichtung beschaffte. ' Schriftliche Mitteilung des Bürgermeisters Michael Freiseder vom 29.10.1984, dem ich dafür danke. ' Staubers Historische Ephemeriden. Linz 1884. S. 403 ff. ' Linzer Zeitung Nr. 98 vom 21. Juni 1843. S. 392.
Oberösterreich einen guten Einblick vermittelt, weshalb diese Anmerkung im Wort laut wiedergegeben wird: Der löbl. Eifer für die Maulbeerbaum- und Seidenraupenzucht verbreitet sich, seitdem die Herren Stände Oberösterreich obigen Hrn. Hauptmann zur Anlage einer großartigen Maulbeerbaumschule so großmüthig unterstützen, auf eine höchst überraschende Weise. Diese umfaßt gegen wärtig hei 300.000 Stämme und Sträucher, und doch hat sie sich noch nebstbei durch Ankauf aus Regenshurg und Niederösterreich verstärken müssen, um Anfragen genügen zu können. Qberdieß verdankt die Provinz im heurigen Jahre, dem die Seidenraupenzucht so aufopfernd und großmüthig unterstützenden Hrn. Chwalla, Seidenfabrikanten in Wien (Niederlage Linz) ein Geschenk von 10.000 Maulbeerbäumchen und Sträuchern, mit welchen so viele Individuen in der Provinz und namentlich in Linz, Enns, Steyr, Weyer, Sierning, Ehelsberg, Florian etc. betheilt wurden, welche deren Anpflanzungen nach Steinhaus, Feyregg, Wimsbach, Gmunden etc. verbreiteten. Man darf mit Sicherheit annehmen, daß in Linz, Urfahr und dem nahen Kleinmünchen, schon gegenwärtig über 80.000 Bäumchen und Sträucher von Morus alha, moretiana und multicaulis gepflanzt ste hen, und daß nach Hrn. Hauptmann Reisingers Anpflanzungen, als die größte im Lande, jene des Hrn. Skola, Verwalter der hiesigen Versorgungs-Anstalten mit circa 60.000 Stücken zu betrach ten ist, so wie nebstdem des letzteren Seidenraupenzucht, eben so musterhaft in technischer Bezie hung als höchst ehrenwerth aus Humanitäts-Rücksichten, alle Beachtung verdient. Es bleibt immer hin eine Trophäe unserer Zeit, daß man das, was man hier zu Lande einmal als nützlich erkennt, kräftig durchzuführen auch Beharrlichkeit besitzt; 10 Jahre in gleichem Eifer fortgefahren, und das Land wird sich eines neuen lohnenden Industriezweiges sicher erfreuen. Nach Reisingers Tod am 18. September 1845 bemühten sich die Offiziere Fischer und Günther um die Reisingerschen Anlagen. Die beiden hatten von Seite des Militärs keine Hindernisse, konnten aber den geforderten Nachweis einer legalen Übernahme der Reisingerschen Kulturen nicht erbringen, weshalb ihnen die finan zielle Förderung durch den Landtag versagt blieb'®. Der Verein zur Förderung der Seidenkultur in Oberösterreich Im Jahre 1856 bildete sich unter der Führung von Graf Barth von Barthenheim ein Komitee, dem die Gründung eines Vereines zur Förderung der Seidenkultur in Oberösterreich folgte. Zu dieser Vereinsgründung schreibt die Allgemeine landund forstwirtschaftliche Zeitung (Wien 1856, S. 108): Der Verein will eine Musterlehranstalt für Seidenproduktion aus eigenen Mitteln ins Leben rufen, die Verbreitung des Maulbeerbaumes anregen und das Land einer ausgiebigen Zucht zugänglich machen. Der Verein wird Raupeneier und Laub an arme Leute abgeben, damit selbe die Raupenzucht in ihrer Wohnung als ein Nebengeschäft betreiben, und durch Einlieferung der erziel ten Cocons sich binnen 5-6 Wochen 20-30 fl.CM verdienen können. (So sagt das Programm des ' Stauber. S. 405.
Vereines.) Der Verein wird ferner die erzeugten Cocons preiswürdig ankaufen, und alljährlich wird eine entsprechende Anzahl von Hasplerinnen in der Manipulation unentgeltlich unterrichtet. Das nöthige Capiial wird durch Emission von Aciien und allfällige freiwillige Beiträge aufgebracht. Eine Actie lautet auf 50 fl. CM, wovon man wenigstens 10 fl. CM als Caution und erste Einlage gegen einen Interimsschein einzahlen muß. 200 Actien dürften, wie das Comite meint, vorderhand genügen: sobald dieselben gezeichnet sind, wird sich der Verein als constituiert betrachten. Die Seidenkultur wurzelt ihrer Cultur nach auf dem Boden der Eandwir tschaft, greift aber gleichzeitig als technisches Gewerbe in das Gebiet der Industrie. Es haben daher sowohl die Land wirtschafts-Gesellschaft als auch der Gew erb-Verein in Linz gleiches Interesse an der Sache, und es kann uns nur wundern, daß die nöthigenZOO Stück Actien bei einem so geringfügigen Betrage und bei der Möglichkeit, für sämmtliche Actien nur 2000 fl. einzulegen, nicht in Linz augenblicklich vergriffen worden sind. Der Landtag subventionierte den Verein mit jährlich 500 Gulden bis zum Jahre 1862^'. Aus den Vereinsberichten geht hervor, dai3 sich die Zahl der Grund besitzer, welche Maulbeerbäume pflanzten, von Jahr zu Jahr vermehrte und die Ver suche mit der Seidenraupenzucht ständig zunahmen^". So konnten 1860 schon 325 Pfund 2 Loth Cocons eingebracht werden, außerdem wird mitgeteilt, daß die Maulbeerbäume sehr gut gedeihen und dem Herrn Ignaz Distlberger in Enns für 35 Pfund Cocons 1 Gulden 30 Kreuzer je Pfund bezahlt wurden^l Dem Verein gehör ten in Enns Dechant Anton Landgraf und die Stadtgemeinde als Mitglieder an. In Linz ließ die Direktion der Kaiserin-Elisabeth-Westbahn längs der vom Volksgarten zum Bahnhof führenden Straße eine lange Reihe von Maulbeerbäumen pflanzen^^. Der Oö. Seidebauverein betrieb eine groß angelegte Baumschule in Linz, wo tausende Maulbeerbäumchen aufgezogen wurden. Auf den Kaplanhofgründen ent lang der Straße zum neuen (allgemeinen) Krankenhaus entstand damals eine dop pelte Hecke von 1.400 Bäumchen. Plantagen befanden sich auch rund um das Exer zierfeld und in Lustenau^^. An Kleingrundbesitzer und Lehrer wurden Bäumchen unentgeltlich abgegeben. Eine besondere Aufgabe sah der Verein in der Erzeugung gesunder Seidenraupeneier und in der Einlösung und Abhaspelung der Kokons. Auf dem Lande befaßten sich insbesondere Lehrer, Arzte und Apotheker mit der Maul beerbaum- und Seidenraupenzucht^^. Der Apotheker Richard Zeller in Windischgarsten sandte im Frühjahr 1864 an die Geistlichkeit ein Rundschreiben mit der Bitte, in Schulnähe Pflanzungen anzulegen, die von den Schülern unter Aufsicht ihrer Lehrer gepflegt werden sollen. Im Naturgeschichteunterricht könnte man die Schüler über die Bäume und Raupen belehren, und es kann „der Lehrer den reiferen Kindern " Ebenda. S. 406. Bericht des Vereines zur Förderung der Seidekultur in Oberösterreich für die Periode vom 14. Mai 1860 bis 13. Dezember 1861. Linz 1862. S. 16. Ebenda. S. 16. Ebenda. Ferdinand Krackowizer: Heimatkunde von Oberösterreich. Linz 1872. 5. 92. Ludwig Edlbacher: Landeskunde von Oberösterreich. Wien 1888. S. 465.
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