OÖ. Heimatblätter 1987, 41. Jahrgang, Heft 3

teien werden „zu einer neuen Gliederung des Volkes führen, die aus einer seelenlosen Masse eine lebendige Einheit in der Vielheit gestalten werde''. Damit ist die der „individualistischen" entgegengesetzte „organische" Staats auffassung wenngleich zu keiner Begrifflichkeit, so doch ins Bild und ins anschau liche Modell gebracht. Sie deckt sich vielfach mit den gesellschaftsbezogenen Aus sagen im „Welttheater" und mit Hammersteins kulturpolitischen Reden. Diese orga nische Staatsauffassung läßt sich mit den Mitteln der Ideologiekritik durchaus widerlegen; Kelsen hat dies in „Wesen und Wert der Demokratie" auch in beein druckender Weise unternommen. Ihre Schwächen hat auch Kelsens staatsrechtlicher Widerpart, der österreichische Staatstheoretiker der Weimarer Republik, Hermann Heller^ erkannt, indem er ihr vorwirft, daß sie genauso wie die individualistischen Lehren ein dialektisches Moment der gesellschaftlichen Wirklichkeit isoliert und ver absolutiert: „dort das Individuum, hier das Ganze" und solcherart den Einzelmen schen zu einer bloßen Funktion des Ganzen herabwürdigt (Staatslehre, S. 97). Der hier von Heller in anderem Zusammenhang zitierte Hofmannsthal hatte in der „Schrifttumsrede" von den „verstreuten wertlosen Individuen" gesprochen, die zum „Kern der Nation" werden, so, wie „alles im äußeren Zerklüftete hineingerissen wer den (muß) ins eigene Innere und dort in eines gedichtet werden (muß), damit außen Einheit werde, denn nur in dem in sich Ganzen wird die Welt zur Einheit". Diese kritischen Erkenntnisse ändern aber nichts an der Geschichtsmächtig keit der organischen Staatsauffassung in der Zeit des Faschismus, des Ständestaa tes und des Nationalsozialismus, der für seine „Volksgemeinschaft" auf die „gemeinschaftsbildenden Kräfte", von denen etwa Triepel sprach, zurückgreifen konnte. Auch die „österreichische Idee" in der Ausformung der dreißiger Jahre barg als Kind der „konservativen Revolution" in sich die meisten Aspekte der antiliberalen. ^ Geb. 1891 in Teschen an der Olsa, in dem 1779 der sogenannte Erdäpfelkrieg durch den Friedens schluß beendet wurde, der das Inn viertel zu Österreich brachte, in jenem Teschen, durch das heute die Grenze zwischen Polen und der CSSR verläuft. Er stammte aus jüdischer Familie; sein Vater war Rechtsanwalt, seine Mutter war verwandt mit Josef Redlich, dem letzten Finanzminister der Monar chie unter Kaiser Karl. Sein Jusstudium absolvierte er in Wien, Graz, Innsbruck und Kiel. In Wien war er Hörer von Bernatzik, der auch Lehrer Kelsens war, dessen wissenschaftlicher Gegner er in der Folge wurde. Als Angehöriger der österreichischen Armee holte er sich an der russischen Front ein Herz leiden, das auch seinen frühen Tod verursachte. Seine Wirkungsstätte wurde aber das Deutschland der Weimarer Republik Professor an mehreren deutschen Universitäten. Seit März 1933 im Exil in Ma drid, starb Hermann Heller dort im November 1933, erst 42 Jahre alt. Aufschlußreich: Adolf Mtrkl: Der staatsrechtliche Gehalt der Enzyklika „Quadragesimo Anno" (aus dem Jahre 1933) in WRS (vgl. oben, Anm. 6), S. 381 ff., sowie derselbe: Individualismus und Universa lismus als staatliche Baugesetze (aus 1934), WRS, S. 417 ff. In der im Heft 8 der Juristischen Blätter 1934 erschienenen Schrift „Ursprung und Schicksal des Leitgedankens der Bundesverfassung" weist Merkl darauf hin, „daß die ständische Staatsauffassung in der organischen Staatsauffassung wurzelt..." (WRS, S. 1951). - Über den Begriff des Organismus in der Staatslehre (insbesondere) des 19. Jahrhun derts und zu den Schwierigkeiten des Begreifens der organischen Staatslehre wegen ihrer Unklarheit: Otto Kimminich: Der Staat als Organismus: Ein romantischer Irrglaube, in: Von der freien Gemeinde zum föderalistischen Europa, Festschrift für Adolf Gasser zum 80. Geburtstag (1983), S. 319 ff. 267

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