25. November 1925 an Bahr:Dfe nächstenJahrzehnte werden erst zeigen, wie in der Gestalt der schäbigsten „Demokratie", die man sich denken kann,... das Werk der Zerstörung des historischen Realen durch in Wahrheit wesenlose demagogische „Parteien" fortgesetzt und vollendet werden wird. Gegenüber so ressentimentgeladenen Äußerungen ist die 1920 erschienene Untersuchung des „Schöpfers" unserer Verfassung, Hans Kelsen, „Vom Wesen und Wert der Demokratie", von bestechender Klarheit und Sachlichkeit durchpulst und von einer sprachlichen Schönheit, die sie in den Rang eines literarischen Kunstwer kes erhebt, so daß es nicht verwundert, daß die zweite, umgearbeitete Auflage 1929 in alle Weltsprachen übersetzt wurde. Die Idee der Demokratie, „dieses mißbrauchtesten aller politischen Begriffe", sieht er auf dem Wert der Freiheit des Menschen in der Gesellschaft aufgebaut und ruhend auf dem Verzicht auf absolute Wahrheit, weil diese ebenso wie absolute Werte menschlicher Erkenntnis verschlossen sei. Der Ideologiekritiker Kelsen deckt dabei die Schwächen der Demokratie und die Problematik des Parlamentarismus auf, indem er die Fiktionen zeigt, die man braucht, um eine „Herrschaft der Beherrsch ten" annehmen zu können. Die wesentliche Fiktion ist hiebei das Majoritätsprinzip. Weil „das isolierte Individuum politisch überhaupt keine reale Existenz hat, da es kei nen wirklichen Einfluß auf die Staatswillensbildung gewinnen kann", ist, so Kelsen, die Demokratie notwendig und unvermeidlich ein „Parteienstaat". 1929, als die 2. Auflage dieses Demokratie-Klassikers erschien, hatte der Demokratiegedanke nicht nur seine Anziehung auf die Massen eingebüßt, es herrschte bereits eine anti demokratische Massenstimmung, der Bundeskanzler Neipel in seiner Tübinger Uni versitätsrede 1927 „wider die Demokratie der Parteien" Ausdruck gegeben hatte und die im Korneuburger Eid der Heimwehrverbände vom 18. Mai 1930, der Antithese zum marxistisch getönten Linzer Parteiprogramm der Sozialdemokraten, zu dem Satz „Wir verwerfen den westlichen demokratischen Parlamentarismus und den Par teienstaat!" verdichtet wurde. Dieses Unbehagen im Parteienstaat, am Parteiengezänk artikuliert auch ein maßgeblicher Teil der Staatsrechtslehre dieser Zeit. Einer ihrer Vertreter, Heinrich Triepel, mit dessen Schriften „Staatsrecht und Politik" und „Die Staatsverfassung und die politischen Parteien" sich Kelsen® auseinandergesetzt hat, argumentiert etwa so: Die ihrer Natur nach auf Eigennutz gestellten Parteien widerstrebten schon wesensgemäß ihrer Einbeziehung in eine organische Staatsgemeinschaft, sie seien ein dem Staatsorganismus fremder sozialer Körper, das Symptom einer Krankheit, ein Verfall, eine Gefahr für den Staat. Dagegen müsse man die berufsständischen Gebilde zum Fundament des Staates machen, allerdings müßten sie „auf einer so gro ßen Einfachheit und einer so vollständigen Gleichheit der Interessen ihrer Mitglieder beruhen, daß es in ihrem Kreise keine Gegensätze gäbe". Dann werde auch der Weg frei zu einer organischen Staatsauffassung, der die „atomistisch-individualistische" Staatsauffassung zu weichen habe. Andere gemeinschaftsbildende Kräfte als die Par- ^ In den Anmerkungen 16 bis 19 von „Wesen und Wert der Demokratie". 266
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