Nach dem Zusammenbruch der allen Monarchien will Hofmannsthal - mit dem größten Widerhall in seiner bekannten Rede „Das Schrifttum als geistiger Raum der Nation' (1927)^ - das Werte-Vakuum durch eine „konservative Revolution von einem Umfang, wie die europäische Geschichte ihn nicht kennt", auffüllen; hiefür scheint ihm sein Idealbild eines Österreich mit seiner „tausendjährigen Sendung in Europa" als Modell einer übernationalen Gemeinschaft geeignet wie kein zweites. Wesentlich für diesen Neubeginn ist aber seine Bindung an die gewachsenen alten Ordnungen. Dieser konservativen Revolution entspricht im Bereich der Gesell schafts- und Staatswissenschaften die organische Staatsauffassung^. Weit in die Antike zurückreichend (vgl. Menenius Agrippa und die aus gewanderte Plebs bei Livius), ist sie als Gegenpol zur individualistischen Sicht von Staat und Gesellschaft neu erstarkt. Diese war ausgegangen von einem natürlichen Zustand der einzelnen, die sich auf Grund vernunftmäßiger Erkenntnis durch Ver träge zur Gemeinschaft verbinden. Sie führte, insbesondere in der Französischen Revolution, zu einer kritischen Zersetzung „aller überlieferten Formen und Normen des Mittelalters" (Hermann Heller, Staatslehre, S. 95) und zur Vorbereitung der bür gerlichen Gesellschaft; zugleich bildete sie die Grundlage der juristischen Staatslehre Kelsens^ Den Gegensatz zwischen der antiken Staatsauffassung und der aus der Aufklärung hervorgegangenen Staatsauffassung hat Georg Jellinek^ in folgender Antithese auszudrücken gesucht: Im Altertum sei der Mensch um des Staates willen dagewesen, in der neueren Zeit sei der Staat des Menschen wegen da. Die organische Staatsauffassung lehnt nun den Individualismus der Aufklärung ab und sieht unter Rückgriff auf die Organismustheorien der Romantik, insbesondere auf Adam Müller und Franz von Baader, in menschlichen Verbänden ein „lebendiges Ganzes". Gegen die liberal-demokratische Staatsordnung, in der ein mechanisches Gesetz der Atomisierung, Isolierung und Künstlichkeit zuarbeite, erstehen in der Nachkriegszeit ständestaatliche Theorien, von denen das Werk des Wiener Professors Othmar Spann am einflußreichsten wird. Sein Buch „Der wahre Staat", erstmals 1921 erschie nen, sichert ihm zahlreiche Anhänger. Die tatsächliche Ungleichheit der Menschen mache, so Spann, eine hierarchische Ordnung notwendig, wie sie in der Natur begründet sei. Vorindustriellen Leitbildern verbunden und in scharfer Ablehnung des marxistischen Klassenkampfgedankens faßt Spann die Menschen auf derselben hierarchischen Stufe zu Ständen zusammen. Damit soll auch das Volk - zur Einheit gegliedert - ein organisches Ganzes werden. Ein dichterischer Vorläufer dieser die wirtschaftlichen und politischen Interessenkämpfe verabscheuenden Ordnungs ideologie, in der sich die Ordnung der Natur widerspiegle, ist Grillparzers „Bruder zwist": ^ Siehe dazu Klaus Koch in: ;,Die Presse" vom 5.16. April 1986 in der Reihe „Schlüsseltexte der dreißiger Jahre, die zu den neunziger Jahren aufschließen". ^ Vgl. Zippelius: Allgemeine Staatslehre (Politikwissenschaft), 9. Auflage (1985), S. 28 ff. ^ Wesentliche Arbeiten Kelsens hiezu finden sich in dem zweibändigen Sammelwerk „Die Wiener rechtstheoretische Schule" (= WRS), herausgegeben von Klecatsky, Marek und Schamheck. ^ Adam in der Staatslehre, zitiert nach Fleiner-Gerster: Allgemeine Staatslehre (1980), S. 44. 264
RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2