OÖ. Heimatblätter 1987, 41. Jahrgang, Heft 3

Es ist das Buch eines Jägers mit der Darstellung des Wildbestandes, der Vogelwelt, der Vegetation und der Landschaft entlang des Flusses, aber es finden sich darin auch wertvolle Hinweise auf die Bevölkerung dieser Gebiete, deren Sitten und Trachten, wie etwa die Schilderung eines Dorfes der Schokazen, eines aus der Türkei ausgewanderten Stammes katholischer Serben. Von da her verstehen wir Magris, wenn er die Donau auch mit Pannonien identifiziert. Spätestens seit dem Nibelungenlied, meint er, stehen sich der Rhein und die Donau in ständiger Herausforderung gegenüber: „Der Rhein ist Siegfried, die ger manische Tugend und Reinheit, die Nibelungentreue, die unerschrockene Liebe zum Schicksal der deutschen Seele. Die Donau ist Pannonien, das Reich des Attila, die asiatische Flut aus dem Osten, die am Ende des Nibelungenliedes die germanische Kraft bezwingt; als die Burgunder dieses Gebiet durchqueren, um sich an den treu losen Hof der Hunnen zu begeben, ist ihr Schicksal - ein deutsches Schicksal - besiegelt." „Auf diese Weise", schreibt Magris, „haftet zuweilen der Donau auch der Hauch eines antideutschen Symbols an. Entlang dieses Flusses begegnen sich, kreu zen und vermischen sich verschiedene Ströme. Der Rhein hingegen ist der mythische Wächter für die Reinheit der Nachkommenschaft. Die Donau ist der Fluß Wiens, Preßburgs, Budapests, Daciens. Wie der Ozean die griechische Welt umspannte, durchzieht die Donau das habsburgische Österreich und hält es zusammen, das der Mythos und die Ideologie zum Symbol einer vielgestaltigen und übernationalen Koine gemacht hat. So ist die Donau auch jenes deutsch-ungarisch-slawisch-romanischjüdische Mitteleuropa, das im polemischen Sinn dem germanischen Reich gegen übersteht, als eine ,hinternationale' Ökumene, wie es Johannes Urzidil von Prag aus verstanden hat, als eine Welt hinter den Nationen." Auf eine ähnliche Problematik ist auch das kürzlich erschienene Buch von Erhard Busek und Emil Brix „Projekt Mitteleuropa" (Verlag Carl Ueberreuter, Wien 1986) ausgerichtet. Darin heißt es: „Die Donau ist der Schicksalsfluß unseres Raumes! ,Donauraum' wurde oft genug als Synonym für ,Mitteleuropa' verstanden, wenn gleich es geografisch nicht deckungsgleich ist." Auf dieser Basis beruht auch das eigentliche Anliegen dieses Buches: Österreich wieder die Funktion als Dreh scheibe in der Mitte Europas zu verleihen und damit einer Welt der nationalen Selbst genügsamkeit und extremer politischer Gegensätze die grenzüberschreitende Utopie Mitteleuropa als kulturgeographischen Raum entgegenzusetzen. Eingehend auf die symbolische Bedeutung der Donau stellt Magris zwei Visionen von Mitteleuropa gegenüber: Jene hinter den Nationen stehende Völker gemeinschaft, im Sinne des Prager Dichters Urzidil, die heute oft als Harmonie unter schiedlicher Völker idealisiert wird und die in der letzten Zeit des Habsburger-Rei ches eine gewisse Realität dargestellt hat, dem nach seinem Ende, im Hinblick auf die darauffolgenden Barbareien, als tolerante Möglichkeit des Zusammenlebens ver ständlicherweise nachgetrauert wird; zum anderen die Ansicht Heinrich von Srbiks, der in der Koine verschiedener Völker, die von der plurinationalen HabsburgerMonarchie zusammengehalten worden ist, eine Möglichkeit erblickte, im östlichen 272

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